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Alt 08.02.2009, 22:46
parallele parallele ist offline
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Standard AW: Ich will mein Leben zurück

Hallo Ihr Lieben,
ich reih mich mit ein. Genau so empfinde ich es auch. Nur nach Rausschreien war mir nie, mehr nach endlosem Klagelied.
Zwischen den Angstzeiten lebe ich (zum Glück) "normal", so dass mich die Angst nicht ganz auffrisst. Da ist Alltag. Da ist Beruf. Familie. Freunde. Ich vergesse den Krebs und die Angst vor Rezidiv, Metastasen, qualvollem Ende. Bis es mich plötzlich einholt. Harmlos von einem Ereignis im nächsten Jahr redend, hängt sich das "wenn ich dann noch lebe" an. Und die Psychologin? Ich fühle mich sehr gut verstanden und aufgefangen. Aber es geht mir ebenso wie Dir, Christa, wenn ich die verzweifelten Stunden habe, bin ich weit weg vom Therapietermin. Und sitze ich ihr gegenüber, ist mir gerad fröhlich und so, als wenn nichts wäre. Da lässt sich die Verzweiflung nicht herbeiholen, da käme ich mir wie ein reproduzierender Künstler vor, wenn ich darüber rede - und die Gestimmtheit ist inzwischen eine ganz andere.

Auch die Erfahrung mit Freunden, Familie, Bekannten kommt mir soo bekannt vor. Niemand fragt mehr, wie es mir geht. Nicht, wenn ich die Jacke von mir werfe und zum Fenster stürze, Luft, Luft. Nicht, wenn ich humple und - nach den vorherigen Handgelenkschmerzen - nun vom wehen Knie erzähle, mich nicht bücken, nicht in die Hocke gehen kann. Oder wenn ich die dritte Migräne in einer Woche habe. Und wenn ich von mir aus erzähle und anfüge, dass die AHT so vieles auslöst - dann ist nicht viel Interesse da. Oder vielleicht ist es auch Angst auf ihrer Seite, dass sie nichts davon wissen wollen. Und vom Sterben? Von Rückfällen? - Du doch nicht! - Davon wollen alle gar nichts wissen. Ich arbeite ja voll und bin jetzt immer ab halb vier ziemlich am Ende (Arbeitszeit geht bis sechs). Gern legen Freunde oder Bekannte nah, ob ich nicht aufhören wolle oder halbe Tage anstreben will. Was aus Existenzgründen nicht geht. - Aber denkt mal nur nicht, dass mir (meinen lieben Mann mal ausgenommen) irgend jemand etwas abnimmt an Tätigkeit oder Verantwortung. Nicht die Freunde. Nicht die Kollegen im Büro, nicht andere, mit denen ich zu tun habe, ich mache noch eine Reihe von Steckenpferddingen. Überall will man mich offensichtlich, jetzt, wo ich den Krebs überlebt habe, nur so voll und ganz und gesund und wie früher - so, wie ich eben nicht mehr bin. (Christa: ich will mein Leben wiederhaben)

Ich empfinde auch eine seltsame Haltung der Mitwelt. Früher haben sie jeden, von dessen Krebs sie erfuhren, als sicheren Todeskandidaten angeguckt und möglichst nur hinterm Rücken über ihn/sie geredet. - Heute, wo die hoffnungsvollen Erfolge der Medizin melden, man muss nicht mehr am Krebs sterben - nehmen sie deine ganze Hand, du bist ja jetzt gesund und da wollen wir fein nicht mehr von der Sache reden und du verhältst dich bitte auch (pflegeleicht und unkompliziert) wie eine voll belastbare, eine gesunde, eine gutgelaunte, eine fröhliche und starke Person.

Auch begegnet ist mir öfter dies: dass man mir normal und normalfordernd und achsofröhlich begegnet und erklärt, dass man das nur so handhabe, damit man mich aus Trübsal hole (die ich meist zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht habe und äußere!) und ich nicht mehr an "das Schlimme" denken müsse - ich aber merke, dass der Hauptantrieb dieser lieben Mitmenschen ist, dass ich ihnen in meiner Krankheit und mit meinen Gedanken zu unbequem bin. Sie möchten es gern einfacher. (für sich) Und überhaupt ist man heutzutage ja die Generation der "we are the winner". Also gib Dir gefälligst Mühe, mindestens nicht wie ein Looser zu wirken.

Der Zwiespalt auch für mich: manchmal wünsche ich mir, ich würde mich einfach nur wie gesund und normallebig fühlen und so leben, so leben, als ob nichts wäre - und auf der anderen Seite empfinde ich, alles hat sich geändert, und i c h möchte hundert Dinge verändern (die sich nicht ändern lassen) und anders leben und möchte Zuwendung und Stütze erfahren und meine Schwächesituation und fehlende Kraft anerkannt wissen.

Und jetzt berappel ich mich wieder. Ich versuche es. Immer wieder. Denn ich weiß, ob ich drei Jahre habe oder dreiundzwanzig: wenn ich der Angst-Sicht zu viel Raum gebe, sind drei Jahre, sind dreiundzwanzig Jahre traurige und furchtsame Jahre mit wenig Lebenswert für mich.
Also: nächster Versuch.

Alles Liebe Euch,
die parallele
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