Einzelnen Beitrag anzeigen
  #4  
Alt 24.10.2011, 15:34
Hazelnute Hazelnute ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 02.06.2010
Beiträge: 15
Standard AW: Wer seine Mutter verliert, der ..

Liebe Anja, liebe Mel,

habt Dank für Eure tröstenden Worte und Wünsche... es gibt wenig, was wirklich hilft, um mit diesem Schmerz umzugehen.
Ich weiß, das es wichtig ist, ihn immer wieder rauszulassen, ihn zu fühlen und sich ausdrücken zu lassen, ansonsten legt man sich die Basis für eine eigene Erkrankung.

Es ist das erste Mal in meinem Leben und ich bin schon Mitte 40, dass ich mit dem Tod so hautnah, in Form meiner geliebten Mama, konfrontiert bin und jetzt, heute, kann ich mit dem Begriff "konsumierene Erkrankung" ein Bild verbinden.

Das war für mich vorher nur ein Begriff...doch jetzt habe ich gesehen, erlebt, jeden Tag ein bischen mehr, wie der Krebs meine Ma "aufgefressen" hat.

Meine Ma hat gekämpft; wie eine Löwin und wollte doch so gern noch ein bischen leben. Bereits Wochen vor ihrem Tod rang sie schon mit ihm, in Form einer Sepsis, und an einem Abend saß sie mit unserer Hilfe auf der Bettkante und schaute mich und meinem Pa an und sagte: ich glaube, es wird Zeit, ich muß mich von Euch verabschieden.. Es zerriß uns das Herz, dieser traurige und gequälte Blick..

Doch auch diese Krisis hatte sie überstanden.

14 Tage vor ihrem Tod waren wir ein letztes Mal mit ihr an frischen Luft. Ein Rollsessel machte das möglich. Wir schoben sie in den Garten, die Sonne schien warm und alles machte Hoffnung.. vielleicht kommt sie doch wieder zu Kräften?.. wenn wir schon mit ihr rausfahren können, dann ist vielleicht morgen oder übermorgen noch was anderes möglich? Vielleicht laufen..?

Doch exakt ab diesem Tag ging rapide nach unten.. 10 Tage später kam sie ins Hospiz.

Eine Einrichtung, wo ich Hut vor all den Menschen ziehe, die dort arbeiten. Eine Einrichtung, die unbedingt unterstützt und gefördert werden muß, will man wirklich was sinnvolles tun...

An ihrem Todestag war ich früh um 8 Uhr bei ihr, zusammen mit der Pflegerin machten wir ihre Morgentoilette, sie war für alles viel zu schwach.. und sie unruhig. Eine Unruhe, wie ich sie von meiner Mutter nicht kannte. Sie wälzte sich alle paar min. von rechts nach links, dann wieder auf den Rücken, dämmerte vor sich hin und auf meine Frage, Mama, was möchtest Du? vielleicht was trinken? .. antworte sie ein erstes und letztes Mal klar und deutlich: Anneken, ich möchte sterben.

Mir blieb fast das Herz stehen. Das hatte sie noch nie gesagt.. noch nie so ausgesprochen. Ich sagte ihr, ich käme gleich wieder, müßte kurz was erledigen und fuhr unter Tränen nach Hause.

Etwas trieb mich... zu Hause angekommen weinte ich wie noch nie zuvor in meinem Leben und faßte den Entschluß, mich hinzusetzen und zu beten. Zuvor rief ich meinen Liebsten auf der Arbeit an und bat ihn aus der Ferne um "geistige Unterstützung" bei meinem Gebet. Er sagte nur: Ist es soweit? .. wir hatten vorher NIE drüber gesprochen, also das ich ihn vielleicht mal anrufe und um Unterstützung bitte oder so was... nie.... er sagte einfach: Ist es soweit? und ich sagte: Ja.

Es dauerte 10 min und er stand in der Tür, wir setzen uns hin, zündeten 2 Kerzen an und versanken beide in ein stilles Gebet... für 10 min.

Dananch für ich wieder ins Hospiz.

Und alles war anders ... meine Ma dämmerte vor sich hin, unruhig und nicht mehr ansprechbar. Tante Leni war da... seit Wochen wollte meine Ma keinen Besuch außer uns, doch an diesem Tag wollte Tante Leni unbedingt zu ihr... mein Pa kam, mein Liebster kam und wir saßen alle an ihrem Bett und hielten ihre Hand, nacheinander.

Ich sagte ihr sie solle sich keine Sorgen machen, ich würde auf Papa aufpassen, auch um mich soll sie sich nicht sorgen, ich hätte meinen Liebsten ... alle sagten was. Was beruhigendes, was verabschiedenes, ich lief irgendwann dem Bereitsschaftsarzt in die Arme und er gab ihr aufgrund der andauernden Unruhe und weil sie nichts mehr sagen konnte, obs irgendwo weh tut, eine Morphinspritze..

Aus diesem Schlaf ist sie nicht mehr erwacht... wir gingen gegen sieben, und ich bekam um 21.20 Uhr den Impuls, im Hospiz anzurufen. Die Nachtschwester sagte, sie sei grade bei ihr gewesen, sie würde immer noch schlafen, ich sagte, bitte gehen sie nochmal zu ihr, ich habe da so ein Gefühl.

Sie rief mich gegen 21.27 Uhr an. Mein Gefühl sei richtig gewesen, meine Ma sei gerade eingeschlafen. Für immer....

Wir durften sie in der Nacht noch besuchen; vor dem Zimmer stand ein Tischchen, mit Organza-stoffen und Kerzen geschmückt, eine schöne Pflanze und auch der Anblick im Zimmer war feierlich. Meine Ma sah so aus, wie wir sie verlassen hatten.

Im Hospiz werden Gäste an der Tür begrüßt und auch dort wieder verabschiedet. Am nächsten Mittag holte das Beerdigungsinstitut meine Ma ab.. ich war dabei wie die Männer sie im Sarg heraus trugen, die Schwester schlug einen Gong und begleitete meine Ma mit mir bis zur Türe.. Eine sehr schöne Geste..

Sie nicht mehr umarmen zu können, ihren Duft einzuatmen, sie berühren streicheln und halten zu dürfen... das ist das schlimmste, abgesehen von ihrer schönen Stimme, die ich jeden Tag gehört habe. Wir haben seit Jahrzehnten jeden Tag miteinander telefoniert....

Und ich konnte nichts tun... ich konnte ihr verdammt nochmal nicht helfen.
Nur zusehen..und mit ihr leiden..
Mit Zitat antworten