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Alt 30.05.2013, 13:51
Briele Briele ist offline
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Standard AW: Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Es ist lange her seit ich das letzte Mal hier geschrieben habe. Mir ist schwer ums Herz, heute vor einer Woche ist mein Mann gestorben. Ich werde und wurde in all den Jahren immer mit ganz liebevoller, zugewandter Aufmerksamkeit von Menschen quasi betreut, die ich hier kennenlernen durfte, die Freunde geworden sind. Trotzdem möchte ich heute in meinem uralten thread darüber schreiben.

Die letzten 10 Tage seines Lebens verbrachte er in der Palliativen Abteilung eines Krankenhauses und mir war, als arbeiten dort keine Menschen, sondern Engel. Daheim ging es trotz Unterstützung einer ambulanten palliativ-care Einrichtung einfach nicht mehr. Er hat nie genug Medikamente eingenommen, war getrieben von der Sorge sie könnten am Ende nicht reichen und diese Angst konnte ihm nichts und niemand nehmen. Neben der Krebserkrankung war er ja geplagt von einem ausgeprägten restless-leg Syndrom, was er manchmal als die schrecklichere Krankheit empfand.

Über die Wochen, vielleicht sogar Monate, hatte er mich mehr und mehr als seine Gegnerin empfunden, die seine Ängste nicht verstand, die nie Ruhe gab mit den Medikamenten. Und ich konnte keine Ruhe geben, bei dem Elend, das ich dauernd sah und erlebte. Neben all meinen Ängsten und Sorgen war es mir ein ganz großer Kummer, dass ich, wenn es so weitergeht, mir dann nur mehr wünschen würde, dass alles bald ein Ende hat.

Eine Schwester der ambulanten palliativ-care Einrichtung übernahm dann die Initiative, fragte ihn ob er in ein Hospiz möchte und er meinte, er würde lieber daheim bleiben, sähe aber ein, dass es nicht mehr geht. Ich verhielt mich passiv, sagte nicht ja, sagte nicht nein, war wie paralysiert vor Entsetzen. Es ging dann schnell. Hospizplatz war keiner frei, doch bereits für den kommenden Tag einer in der Palliativen Abteilung.

Es ist dann unmittelbar darauf, praktisch von einer Minute auf die andere etwas passiert, was ich nicht für möglich gehalten hätte, wofür ich unsagbar glücklich und dankbar bin: wir konnten augenblicklich wieder so zueinander sein, wie wir es immer waren - liebevoll, zärtlich, zugewandt.

Nachdem die Nächte zuvor ohne Rast und Ruh waren, war es in der letzten Nacht daheim noch anstrengender für uns beide, dass am Morgen der schreckliche Abschiedsschmerz von der Wohnung in den Hintergrund trat. Wir waren fix und fertig und warteten nur mehr auf den Rettungswagen. Es würde zu weit führen über diese Palliative Abteilung zu schreiben. Sie war die Rettung für uns beide. Es gab nicht einen Punkt den ich kritisieren könnte. Wir hatten Glück.

Man hat mit ihm die Medikamentation besprochen, ihn gefragt ob er mit den Vorschlägen einverstanden ist, und er akzeptierte alles. So konnte die schreckliche Unruhe eingedämmt werden, er war nahezu schmerzfrei, auch seine Panikattacken verbunden mit Luftnot konnten behoben werden.
Man hatte auch mich immer im Blick, das tat gut.

Ich war täglich viele Stunden bei ihm. Einmal dachte ich er würde sterben und blieb die Nacht bei ihm. Dann gab es drei Tage, in denen ich mir gut vorstellen konnte, dass er noch einige Monate leben wird. Wir waren in zwei Hospizeinrichtungen angemeldet.
Doch letzten Mittwoch Morgen rief mich die Ärztin an, er sei kaum ansprechbar, völlig desorientiert und ich möge kommen.

Ich saß dann 27 Stunden neben ihm. Er konnte nicht mehr sprechen, hat aber durch Hand- und Kopfbewegungen signalisiert, dass er versteht. Zweimal hat er mir gezeigt, dass er mich umarmen will.

Nach den vielen Stunden hat man mir mehrfach gesagt, ich müsse jetzt einfach heimgehen und ein paar Stunden schlafen und ich wollte nicht gehen, konnte aber auch nicht mehr da sitzen. Sie versprachen mir ständig nach ihm zu sehen und ich fuhr heim. Ich hatte zweieinhalb Stunden geschlafen, neben mir war das Handy, das Festnetztelefon und ich habe beide nicht läuten gehört als man mich vom Krankenhaus angerufen hatte. Die Schwester sagte mir dann, sie war bei ihm gewesen als sie sah, dass es nun zu Ende gehen wird. Zu diesem Zeitpunkt rief sie nicht an, weil klar war, ich würde den Weg nicht schaffen, nicht einmal wenn ich nur im Krankenhauspark gewesen wäre. Er war im Schlaf gestorben, zu einem Zeitpunkt als ich auch geschlafen hatte. Es ist passiert, als wir beide schliefen.
Man hat mir dutzendfach erklärt, dass Menschen oft sterben wenn der Angehörige weg ist, aber ich kann es mir noch nicht wirklich verzeihen.

Nun muß ich ohne meinen Mann weiterleben. Er war der liebenswürdigste, warmherzigste, freundlichste, großzügigste Mensch den ich je kannte. Einen Tag bevor er starb, sagte er zu einer Schwester, dass er sich große Sorgen um mich macht, weil ich nun ganz alleine bin, hier niemanden habe und ob man sich auch nach seinem Tod noch ein wenig um mich kümmern würde.

Es hat mich schon im Vorfeld bekümmert, dass mein Mann außer mir so gar keinen Menschen hat. Dann hat mir vor Monaten eine Freundin etwas erzählt, dass mir geholfen hat. Mit einem großen Freundeskreis hatte sie im letzten Jahr eine Freundin drei Monate lang in einem Hospiz begleitet. Sie erzählte, dass die sterbende Freundin nie alleine gewesen war, und sie alle zufrieden waren, das so gut hinbekommen zu haben. Nach dem Tod der Freundin fragte sie sich, wie sie es einmal haben wolle, wenn das Leben zu Ende geht. Und stellte mit Entsetzen fest, dass der Gedanke beim Sterbeweg nie alleine sein zu können einfach schrecklich sei. Das finde ich ehrlich gesagt auch.

Mir scheint es gehört zur Trauer dazu, dass man ständig herum stochert um eigene Unzulänglichkeiten zu finden, etwas, was man sich vorwerfen kann, zu bereuen ist. Nachdem es mir nun ansatzweise möglich wird mir nicht zu sehr vorzuwerfen, dass ich gegangen war, quält mich etwas anderes.

Werner war in letzter Zeit traurig und er hatte Angst. Einmal meinte er, er müsse nicht so traurig sein, wenn ich nicht so lieb wäre. Neben meiner eigenen Traurigkeit und Angst empfand ich die seine noch viel schmerzhafter. Ich habe natürlich versucht sie abzufedern, ihn aufzufangen, aber es ist mir nicht gelungen. Ich bin da gescheitert, habe versagt, war keine Hilfe. Das tut mir sehr weh.

Verzeiht mir diesen langen Beitrag. Aber Ihr wisst wie es ist: man möchte in die Welt hinausschreien: Er ist nicht mehr, er ist nicht mehr.

Eure traurige Briele