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Alt 17.09.2013, 16:15
Alpenveilchen Alpenveilchen ist offline
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Standard AW: Böse Gedanken

Liebe Elisa,

wenn Menschen in einer Familie zusammenleben, bildet sich immer irgendwie ein Gleichgewicht. Jeder hat seine Rolle und man ergänzt sich, im Guten wie im Schlechten. Ist zum Beispiel jemand dominant, gibt es auch jemanden dazu, der sich anpasst und zurücksteht Wenn jemand sehr unfreundlich ist, gibt es oft jemanden, der das beschwichtigt und mildert, usw. usf. So funktioniert das Zusammenleben dann. Wenn ein Familienmitglied stirbt und plötzlich nicht mehr da ist, ist es nichts Ungewöhnliches, dass die alten Strukturen dann zusammenbrechen.

In Deinem Fall kann es gut sein, dass Dein gutherziger Vater mit dieser Güte Deine Mutter ins Abseits gedrängt hat. Sie hat vielleicht immer gefühlt, dass er ihr die Show stiehlt oder Ihr ihn lieber mögt als sie. Sie war vielleicht eifersüchtig auf Eure gute Beziehung miteinander. Deswegen hat sie vielleicht immer versucht, die Fäden in der Hand zu behalten, wie Du sagst, versucht zu manipulieren und zu steuern, damit sie eben auch eine Rolle bei der ganzen Sache hat, auch wichtig ist. Sie hat versucht, ihre Frustration und ihr Leid, ihren Neid und ihre Missgunst nicht zu zeigen. Sie wollte vielleicht die gute Stimmung nicht stören oder hatte Angst, ihre Gefühle zu zeigen, und dann noch mehr abgelehnt zu werden, als sie sich ohnehin schon fühlte. Du hast ihre negativen Gefühle vielleicht trotzdem immer wieder indirekt gespürt. Wenn diese Gefühle allgegenwärtig und stark sind, sind sie nur schwer vor den nächsten Angehörigen zu verbergen.

Jetzt, wo er nicht mehr da ist, braucht sie nicht mehr "ihm zu Liebe" die Stimmung aufrechtzuerhalten. Jetzt platzt vielleicht alles aus ihr raus, der ganze Frust, jahrelang nur die Nummer zwei gewesen zu sein. Das kann uralter Gram sein, der mit der jetzigen Situation, dem Erbe etc. eigentlich gar nichts zu tun haben braucht. Da wird das Erbe nur zum Aufhänger oder Blitzableiter, um endlich das zu sagen, was sie immer schon sagen wollte.

Ich kenne natürlich Deine Mutter nicht, aber ich kann mir nur schwerlich vorstellen, dass sie ein tieferes Interesse daran hat, zu manipulieren und/oder Euch emotional zu erpressen. Dagegen kann sich ihr Frust durchaus auf diese Weise zeigen.

Ich denke, Du hast zunächst mal so viel mit Dir selbst zu tun und Deiner eigenen Trauer, da Du erst vor vier Wochen Deinen geliebten Vater verloren hast, dass Du Dich jetzt nicht auch noch um die Gefühle Deiner Mutter kümmern kannst. Auch ein gemeinsames Trauern kann in dieser Situation schwierig sein, da die Trauer, die Deine Mutter bei Dir sieht und die ein Beweis Deiner Liebe zu Deinem Vater ist, gleichzeitig ihre alte Eifersucht schürt.

Deswegen denke ich, dass es das Beste für Dich ist, wenn Du so viel wie möglich alleine sein kannst, wo Du Zeit zum Nachdenken hast, Nachdenken über Deinen Vater, Eure Familie, wie alles so war, wie Du und andere sich gefühlt haben usw. Ich glaube, in dem was Du spürst steckt viel Wahrheit und Du solltest diese Wahrheit vor Dir selbst nicht verachten oder verbieten, nur weil sie in der Situation der Familientrauer nicht passend ist. Versuche, Deine eigenen Gedanken und Gefühle zuzulassen, von allen Seiten zu beleuchten und zu prüfen, ohne sie einer Moralzensur zu unterwerfen. Für diese privaten Gedanken brauchst Du Deine Mutter nicht, sondern eher Spaziergänge alleine, wo Deine Gedanken frei fliessen können.

Deine Mutter muss selbst mit ihrer Situation und ihrer eigenen Trauer fertigwerden. Sie hat, so wie Du das beschreibst, jahrelang in einem Spannungsfeld gelebt, das nur durch das gemeinsame Interesse am Familienfrieden zusammengehalten wurde, Deinem Vater zu Liebe. Jetzt ist dieses gemeinsame Interesse Deinem Vater zu Liebe nicht mehr da, und alle ihre Gefühle stürmen auf sie ein und platzen ohne Hindernis nach aussen aus ihr heraus. Sie muss selbst überlegen, was das für sie und die Beziehung zu Euch bedeutet. Es kann sein, dass sie es nicht wagt, nach Innen zu blicken und statt dessen die Schuld und Fehler bei Euch sucht. Das führt auf Dauer jedoch nur dazu, dass sie Euch auch noch verlieren wird. Doch die Kraft und das Interesse, nach Innen zu blicken, um einen anderen Weg einzuschlagen, muss sie selbst aufbringen. Das kannst Du ihr nicht abnehmen.

Liebe Elisa, versuche jetzt erst mal an Dich zu denken, gebe Deinen Gedanken und Gefühlen Raum und lasse Deine eigene Trauer zu, ungefärbt von den Gefühlen, mit denen Deine Mutter zur Zeit kämpft. Ein gemeinsamer Urlaub ist, so glaube ich, für keinen von Euch beiden zur Zeit gut. Ich glaube, jeder von Euch braucht jetzt erst einmal Abstand von der Familie und Zeit für sich selbst. Erst, wenn die eigenen Gedanken sortiert sind, ist wieder Raum da, um sich mit den Gefühlen anderer auseinanderzusetzen. Das gilt sowohl für Deine Mutter als auch für Dich.

Versuche, Zeit nur für Dich zu bekommen.

Ganz liebe Grüsse
vom Alpenveilchen
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