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Alt 16.10.2013, 17:44
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Dorathea Dorathea ist offline
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Standard AW: Darmkrebs, Leber- und Wirbelsäulenmetastasen

Hallo Renate!

Eine solche Diagnose und sogleich eine schlechte Prognose ist immer ein Schlag, der einem alles wegreißt..

Fragen.. Gedanken. Was tun? Wohin? Wie geht es weiter?

"Palliativ"... das Wort, welches einem wie ein Fluch vorkommt.. ein böses Omen. Es ist das letzte, was man als Angehöriger hören will.. ich weiß nicht, wie es ist, es als Betroffener zu hören.

Palliativ. Die schöne Erklärung von "ummanteln, behüten".. ein Hohn in manchen Ohren.

Mein Vater ist seit drei Jahren Palliativ-Patient.
Magenkrebs und Gastrektomie 2006. Rezidiv 2010 als Zufallsbefund einer Nieren-Op.. eine "unklare Neubildung", die sich als Metastase herausstellte. Er wurde am Abend nach der Op für "so gut wie tot" erklärt, irgendwo zwischen Türrahmen und Abendbrot auf einem Vierbettzimmer.

Wir wechselten das Krankenhaus, nun ist er in einem Darmkrebszentrum untergebracht, bei dem Selben Operateur und Team, die sich schon bei seinem Magenkrebs um ihn gekümmert haben.

Seitdem ist er "Palliativ", weil der Tumor sich so um die Aorta gelegt hat, dass es nicht mehr zu operieren geht.
Letzte Woche wurde er erneut Operiert, weil er Gefahr lief, einen DArmverschluss zu bekommen..

Illeo-Stoma und einen Jejunum-Katheter, falls es mit der Nahrungsaufnahme Oral nicht mehr funktionieren sollte. Wie lange noch? Das weiß keiner.




Palliativ.
Ich weiß nur, wie es ist als Tochter zu Realisieren, dass der Mann, der seinen 50. Geburtstag gerade hinter sich hat, sterben wird.
Ich weiß nicht, ob meine Eltern es mir gesagt haben, oder ob ich es erst für mich wahrgenommen habe, als der Brief mit der Lieferungsbestätigung vom Palliativ-Care Dienst auf dem Tisch lag.

Mein Rat an euch: Sprecht miteinander. Plant jeden Tag wie er kommt.. plant kurzfristig, spontan. Meine Eltern planen seit drei Jahren so.. sie fahren spontan irgendwohin, zwischen den Chemo-sitzungen. Manchmal lassen sie eine Sitzung aus, weil sie z.B. Essen gehen wollen (Oder das Essen liefern lassen, weil er das Haus nicht verlassen kann).

Ganz wichtig ist der Frühzeitige Beginn mit einer Schmerztherapie. Unser SChmerztherapeut im Klinikum sagt immer, dass es besser ist frühzeitig damit anzufangen.. es ist Vergleichbar mit uns selbst:
Wir stehen mit Kopfschmerzen auf und hoffen, sie hören auf. Ein paar Stunden später nehmen wir dann eine kleine, 400er Iboprophen.. aber der Schmerz ist schon so penetrant, dass sie nicht mehr wirkt. Wir brauchen mehr.. werden frustriert, weil sie auch lange braucht um zu wirken.
Würden wir direkt eine 400er nehmen, wären die Kopfschmerzen nach einer Stunde verschwunden und der Tag gerettet.

Kopfschmerzen sind keine Tumorschmerzen. Tumorschmerzen sind penetrant, aber lassen sich auf ein erträgliches Maß drosseln. Morphine sind in dieser HInsicht doppelt geeignet: Sie nehmen Schmerz und wirken Angstlösend.


Wenn ihr kocht, minimiert blähende Zutaten, wie Zwiebeln, Kohl etc. Die Aszites drückt von unten auf die Lunge, kann das Atmen behindern.. dazu noch der Druck vom Darm und es kommt zu einem Enge und Angstgefühl "Ich bekomme keine Luft".

Sprecht mit Psychoonkologen, oder der Krankenhausseelsorge.. sie sind für euch da, wenn ihr es wünscht. Wenn ihr jemanden braucht, der euch zuhört. Oder auch wenn du allein wen brauchst, der zuhört und dir Rat gibt wie du dich verhalten kannst, oder das ganze für dich verarbeiten kannst.



Und nun der Rat, der jetzt noch so gemein klingen mag:

Plant jeden Tag für euch selbst. Nehmt euch Zeit für euch. Meine Mutter sagt seit drei Jahren immer wieder, dass jeder Tag so sein soll, dass das schöne überwiegt und sie sich, wenn mein Vater nicht mehr da ist, an das schöne Erinnert und nicht an die Tränen, das Fluchen oder Schreien.


Mein Vater hat sich ein Aquarium gekauft, damit er, wenn er nicht mehr aufstehen kann und der Himmel bewölkt ist, den Fischen zusehen kann, denn sie beruhigen ihn.
Sie haben sich zusammen Friedhöfe angesehen und für "Die Oase der ERinnerung" entschieden. Ein Platz unter einem Apfelbaum.

Je mehr die zwei darüber geredet haben, geplant haben.. desto zufriedener sind sie in meinen AUgen. Sie haben ihren "Frieden" mit der Situation gemacht. Mein Vater spricht sogar auf der Onkologie mit anderen Krebserkrankten, die eine Neuerkrankung haben, oder die Diagnose "Terminales Stadium" erhalten haben.

Du wirst alle Kraft brauchen, um für dich selbst zu akzeptieren wie es ist.. vieleicht wirst du sogar länger brauchen als dein Mann. Für "uns" Familienangehörige ist es meist schwerer.. das sagt mir meine Erfahrung mit Palliativen Patienten, mit denen ich Tagtäglich arbeite.

Du wirst alle Kraft der Welt brauchen, und die Welt verfluchen dir deine Zuversicht zu rauben. Du wirst toben, schreien.. und wenn es nur innerlich ist. Und dann kommt irgendwann diese beruhigende Klarheit. Ich emfpand diesen MOment als Beruhigend, sogar zum Teil befriedigend für mein eigenes Seelenheil.
Ich kann nicht genau beschreiben was es ist, was diese Zufriedenheit ausmacht, diese "Akzeptanz", wie sie in den Theorien nach z.b. Kübler-Ross beschrieben wird, aber ich bin froh (ersteinmal) dort angelangt zu sein. Ob sich das ändert, wenn es dann doch auf das Ende zugeht? Das kann ich nicht sagen, aber ich werde es herausfinden, denn dieser Punkt liegt auf meinem Weg.

Ich wünsche dir alle Kraft, die du aufbringen kannst. Alle Wärme die du aufbringen kannst.. und alle Liebe, die euch durch diese Zeit begleitet.

Thea
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