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Alt 21.07.2002, 03:28
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Standard Forum für Angehörige UND Betroffene

Liebes Känguruh, liebe brigitte,

ich verfolge nun schon einige zeit eure einträge, habe mich aber bislang nicht getraut, einzusteigen. nun habe ich gerade gelesen, im brustkrebs-forum, dass du gefragt hast, nicht wortwörtlich, aber so ähnlich, wie angehörige damit umgehen und sich fühlen.

ich glaube, heute habe ich die kraft, dir zu antworten. mein mann und ich sind 41 jahre alt. zum 1. mal erkrankte er mit 22 jahren an analkarzinom, er wurde operiert und betrahlt, ich war auch 22 und hatte keine ahnung, nur eine höllenangst, ihn zu verlieren. ich habe mich erkundigt, informationen eingeholt, bücher gelesen und ungefähr 10 jahre lang gedacht, ich bin schuld, weil wir viel stress hatten, ich nicht immer einfach war und überhaupt. ich hatte 2 jahre zuvor meinen vater verloren, er war 42 und ich fand ihn tot im bett und konnte nichts mehr für ihn tun. also habe ich bei der erkrankung meines mannes gedacht, das passiert mir nicht wieder und alles in meiner macht stehende getan, um ihm zu helfen. er ist der mittelpunkt meines lebens. den krebs hat er damals gut überstanden, die behandlung auch, einzige nebenwirkung, kinderlosigkeit. ich hätte für mein leben gern kinder gehabt, habe mich ich glaube ungefähr 10 mal operieren lassen wegen verklebter eileiter, mich aber geweigert, ihn zum arzt zu schicken. nach 10 jahren haben wir es doch untersuchen lassen, bestrahlungsspätfolge. auch ok, hauptsache, er ist gesund, traurig war ich trotzdem. 1999 wollte ich mich eigentlich aus anderen gründen trennen, habe es doch nicht getan, weil ohne ihn auch nicht geht, und habe es nicht bereut. 3 monate nach unserer krise ist ihm als betrahlungsfolge der darm geplatzt, 6 stunden not-op mit vorl. künstl. darmausgang. da ich wusste, wie er dazu steht, bin ich ihm nicht von der seite gewichen, habe mich im krankenhaus mit aufnehmen lassen, damit er den schock eines vorl. darmausganges besser erträgt und ich hatte ein saumässig schlechtes gewissen, wegen unserer ehekrise. 3 monate später wurde er zurückverlegt. dann reha gemeinsam dann wiederkommen und "pickel" am allerwertesten. langer rede kurzer sinn, er hatte ein rezidiv nach 16 jahren! wir haben alles versucht, einen endständigen ausgang zu vermeiden, aber die ärzte haben uns keine hoffnung gelassen und das als beste lösung vorgeschlagen. er ging ins khs, und nach 24 stunden wieder raus, weil er die tatsache noch nicht verkraften konnte. nach 3 wochen war er dann soweit, sich operieren zu lassen, also rektumamputation und endständiger ausgang, mir ging der arsch auf grundeis, dachte, der krebs streut, wenn er noch länger wartet. die zeit danach war grausam, mir machte der künstliche überhaupt nichts aus, ich versorge ihn sogar, aber ich muss ihn ja auch nicht tragen! das er damit ein problem hatte, brauche ich nicht zu sagen, auch wenn er dadurch das leben gewonnen hat, ist es für uns wohl nicht nachzuvollziehen, was es bedeutet, mit 38 jahren einen beutel am bauch zu tragen. aber wir haben es geschafft, damit umzugehen, hat nur etwas gedauert. dann war 1 1/2 jahre ruhe, dann bekam er hodenkrebs, er hatte gerade wieder angefangen zu arbeiten! auch das haben wir gemeinsam gemeistert. ich bin immer bei allen arztgesprächen dabei, bei (fast) allen behandlungen. also hoden entfernt, monotherapie mit carboplatin zur prophylaxe, alles ok gewesen. dann im februar dieses jahres 2. rezidiv eines analcarzinoms, plattenepithel in der sacralhöhle, festgestellt an meinem geburtstag. dann pe-entnahme an unserem 21. hochzeitszeitstag! inoperabel! was danach kam, kann ich dir mit worten nicht beschreiben, es geht einfach nicht, ich habe nur geweint, angst gehabt und wollte gleichzeitig stark für ihn sein. um es kurz zu machen, nach etlichen e-mails mit seiner krankengeschichte, internet-rechereche, beziehungen spielen lassen und ich weiss nicht was, haben wir einen arzt gefunden, der ihn noch operiert, allerdings mit der option, dass er diese op nicht überleben könnte, das gesamte becken ausgeräumt werden könnte, dass die lebensqualität extrem eingeschränkt werden könnte etc. er hat sich für diese op entschieden. ich habe 14 stunden vor dem op gewartet, habe nur geweint und war mit den nerven am ende. die worte meines mannes waren: hopp oder top, er ist der chef. als er die trombrosestrümpfe für die op anzog, sagte er, das loch im großen zeh ist für den zettel zum anbummeln, ich hätte schreien können, aber das ist der galgenhumor meines mannes. er hat diese op überlebt, allerdings wurde wirklich das gesamte becken ausgeräumt, einschl. blase, prostata, samenblase etc., und der tumor konnte nicht vollständig entfernt werden. um es kurz zu machen, seitdem kämpfen wir, ahb, krankenhaus zwischendurch, wundheilungsstörungen, entzündungen, fieber, teilweise aufgabe, er hatte keine kraft mehr zu kämpfen und wieder aufrappeln. vor 4 wochen wurde wieder ein tumor entfernt, jetzt ist wieder einer aufgetreten... bestrahlung geht eigentlich nicht, weil ausgestrahlt vor 19 jahren, chemo geht nicht, wenn op... usw.

liebe brigitte, du kannst mir glauben, ich kämpfe wie eine bekloppte, kann dadurch nicht arbeiten, weil eines geht nur, entweder für ihn dasein, oder arbeiten gehen, habe auch deswegen ein schlechtes gewissen meinen kollegen gegenüber, ich kämpfe mit den krankenkassen, weil eigentlich ausgesteuert, ich kämpfe mit den renterversicherungsträgern um ahbs, ich surfe wie blöd um informationen zu kriegen und telefoniere, um ärzte zu finden, die sich diesen besonderen fall, es gibt ihn so nicht, er passt in kein raster, in kein behandlungschema, genau ansehen, um ihm optimal helfen zu können. und ich werde zum rottweiler, wenn sie ihn schlecht oder falsch behandeln, weil er manchmal die kraft einfach nicht mehr hat. die einzige hilfe, die ich habe, ist dieses forum und dieser chat. ich höre von den meisten freunden und "bekannten" du musst stark sein, du darfst nicht vor ihm weinen, all dieses kluge zeugs. ich weine vor ihm, ich weine mit ihm, ich versuche ihn aufzubauen, wenn es ihm schlecht geht und lache mit ihm gemeinsam, wenn er mal wieder seinen galgenhumor ausgräbt und er baut mich weider auf, wenn es mir schlecht geht. ich frage mich oft, ob das alles richtig ist, aber ich weiss nicht, was ich sonst tun sollte. ich habe die komplette organisation (er trägt jetzt 2 stomas, urostoma und kolostoma, die ich komplett versorge) übernommen, er trifft alle entscheidungen, in die ich ihm, wen auch manchmal zähneknirschend, nicht versuche, reinzureden.
ich fühle mich hilflos, ich muss zusehen, ich muss manchmal meine meinung für mich behalten und ich kann nichts tun ! absolut nichts ! ich kann ihn nicht zwingen, das rauchen aufzugeben, mehr bewegung an der frischen luft zu tätigen oder sonstiges. er muss seinen eigenen weg gehen, mir sind die hände gebunden.
du hast gefragt, wie sich die angehörigen fühlen: genauso beschissen! nur auf eine andere art. wenn mir schlecht geht und ich anfange darüber nachzudenken, dass er es vielleicht nicht schafft (was ich allerdings ganz weit wegschiebe, weil soweit sind wir noch lange nicht und er ist der kämpfer vor dem herrn und letztlich wird der krebs aufgeben müssen!) bin ich allein. mit dem gefühl, zuwenig getan zu haben, oder vielleicht zuviel, etwas übersehen zu haben oder das falsche getan zu haben und ich muss dann ohne ihn leben und vielleicht würde ich es auch schaffen. aber weisst du, dass das die allerschlimmste vorstellung für mich ist (ich schäme mich so, dass ich vielleicht weiterleben darf und er nicht!)
ich weiss nicht, was richtig ist und was falsch ist, ich bemühe mich, mein bestes zu geben. vielleicht trete ich dabei auch manchmal mit volldampf ins fettnäpfchen. aber es bringt uns niemand bei, wie wir uns dabei verhalten sollen. ich kann für mich nur sagen, der einzige weg damit umzugehen ist absolute ehrlichkeit, auch wenns mir manchmal wehtut oder auch ihm. und ich bewundere meinen mann tag und nacht für seine kraft und seinen lebensmut, auch wenn wir nicht immer einer meinung sind !

So, soviel habe ich in meinem leben noch nicht geschrieben, ich wünsche dir weiterhin den mut und kraft, mit der du dem krebs begegnest, bleib so, wie du bist, auch wenns manchmal unbequem für dein gegenüber sein sollte! das einzige, auf das wir wirklich einfluss haben, ist unsere ehrlichkeit und unser umgang mit anderen !

liebe Grüsse mit einem dicken kloss im hals
heike
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