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Alt 14.12.2016, 21:48
Dream Dream ist offline
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Standard AW: Lymphdrüsenkrebs mit 81

Lieber lotol

Nachdem meine Schwester meine Mutter innigst bat, noch etwas weiterleben zu wollen, wenigstens bis sie in der Höhenklinik ihre regelmäßigen Besuche bei ihr machen kann, meinte meine Mutter kindlich humorig, dass sie ihre Engelsflügel auf den Rückwärtsgang schalten müsse. Danach ging es ihr bald wieder schlechter, das erste Mal, wo sie nicht mehr aufstehen konnte. Ich musste sie mit dem Rollstuhl zur Toilette und ins Bett bringen und sie dabei auch entsprechend hochhieven. Die Trillerpfeife, womit sie mich herbeirufen kann, wollte sie sicherheitshalber umgebunden haben. Beim Üben verwechselte sie immer wieder die Rückseite der Pfeife mit dem Mundstück. Und heute Abend pfiff sie und glaubte, dass ihr Enkel angerufen habe und Hilfe brauche, was aber nicht zutraf, denn ihr Handy war bei mir, ohne Anruf im Anrufprotokoll. Sie hat Fieberhalluzinationen, vielleicht auch Träume, die sie nicht vom Wachzustand unterscheiden kann. Ihre Temperaturen liegen derzeit um die 37.7 Grad. Ich gebe ihr jetzt keine Mittel, da es sonst zu sehr nach unten fällt.

Einerseits habe auch ich öfter gehört, dass mittleres Fieber gut sei gegen Krebs, weil sich der Körper wehrt, aber die rasante Abwärtsspirale in diesem Monat zu einer auf einmal eintretenden Bettlägerigkeit könnte auch auf den nahenden Tod hindeuten. Ihr Körper spielt verrückt.

Noch stimmen nicht alle Kennzeichen des nahenden Todes bei Krebs überein, aber ich achte auf die Signale: http://www.aerztezeitung.de/medizin/...nahen-tod.html

Meine Schwester - eine Altenpflegerin - und die Pflegefrau, die uns täglich vormittags aufsucht, rieten auch zu einer milderen Absenkung des Fiebers, Essigwickel. Aber im Moment schauen wir, wie hoch das Fieber steigt. Solange es noch unter 38 Grad ist, drücke ich es noch nicht runter. Medikamente gebe ich keine mehr.

Auch ich mache meiner Mutter Mut, sag ihr, dass Fieber doch ein Zeichen sei, dass sich ihr Immunsystem wehrt, was gut sei. Das nahm sie mit einem milden Mona-Lisa-Lächeln auf. Aber dass sie sich nicht mehr aufrichten und gehen kann mit Hilfe, ist ein weiterer Rückschritt zu vorher. Nun ist es wie bei einem Querschnittsgelähmten. Zum Glück haben wir einen Rollstuhl, der durch alle Türen passt.

Meine Mutter hatte immer einen sehr starken Muttertrieb und Großmuttertrieb. Ihren Selbsterhaltungstrieb definierte sie immer darüber, ob wir sie noch brauchen. Nur so können wir sie aktivieren, was wir auch tun in ermutigender Form. Ich versuche auch immer wieder, sie auf ihre Selbstregenerierung zu fokussieren und die Sorgen wegen der Familie Gott zu übergeben im Vertrauen, dass Gott für uns sorgt und wir klarkommen. Sie dürfe sich ganz auf sich konzentrieren und sich entspannen. Das sage ich ihr immer wieder, während ich sie beruhigend im Nacken massiere, wenn sie abhustet. Das tut ihr gut, wie ich merke.

Essen kann sie auch nicht mehr normal, nur noch in flüssiger Form. Deshalb mache ich ihr Nahrungsshakes.

Das alles habe ich nie so erlebt. Keine Ahnung, was auf mich zukommt, aber ich versuche, sie über die Runden zu bringen, um sie dann womöglich in die professionellen Hände der Höhenklinik übergeben zu können, die dann hoffentlich noch etwas tun können, um ihren Krebs zu bremsen und ihr noch eine gesicherte Zeit zu geben, denn sie sorgt sich z. B. auch um ihre Inkontinenzeinlagen und alles rund um ihre Grundbedürfnisse. Bei den beruflichen Pflegerinnen fühlt sie sich sicherer, doch der medizinische Rückhalt fehlt einfach. Würde mir an ihrer Stelle auch so gehen, man will dann einfach die Sicherheit der medizinischen Grundversorgung erhalten in einer solchen Notlage, vielleicht auch in einer unrealistischen Erwartung auf Hilfe, obwohl sie die Ärzte ja eigentlich aufgeben und wir selbst klarkommen müssen. Nun hat sie also im Moment nur mich, die ich Tag und Nacht schaue, ohne eine entsprechende Ausbildung dafür, einfach in meiner Liebe zu ihr. Sie muss der Tochter, die eigentlich selbst krank ist, um die sie sich ständig so sorgte, vertrauen, dass sie die Pflege schafft, sie tragen kann trotz Schmerzen. Das ist nicht leicht, sich auf einmal voll auf mich abzustützen und mich körperlich zu belasten, wo sie mich doch eigentlich schonen will, obwohl ich ihr immer wieder sage, dass ich belastbar bin und meine Schmerzen psychosomatisch sind ohne wirkliche körperliche Einschränkung in den Muskeln. Es tut weh, aber ich kann. Das muss ich ihr immer wieder signalisieren.

Ihre Schwäche und Bettlägerigkeit schockiert sie auch sehr, nun will sie gar nicht mehr auf die Toilette und den Stuhlgang am liebsten verhindern und ebenso das Wasserlassen reduzieren, obwohl ich dagegenrede, sie das brauche, sonst schade ihr dieses Verhindernwollen.
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LG Dream

Geändert von Dream (14.12.2016 um 21:55 Uhr)