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Alt 11.09.2002, 08:51
Gast
 
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Standard reaktive Depression

Liebe Ute,
beim Lesen einiger Briefe hier habe ich mir gerade eine Antwort, eine Anregung für Dich parat gelegt, auf die Du jetzt im letzten Brief eigentlich schon von alleine gestoßen bist: Du hast die Erfahrung gemacht, daß in der schwierigen Situation nach Krebsdiagnose und -behandlung Gespräche mit Nicht-Betroffenen aus verschiedenen Gründen nicht unbedingt hilfreich und nützlich sind und willst Dich hier mehr mit Betroffenen austauschen. Hast Du auch schon mal an den Kontakt zu einer Krebs-Selbsthilfegruppe oder auch Krebsberatungsstelle gedacht? In vielen Städten gibt es eine. Es ist ein Versuch wert, denn genau da triffst Du Betroffene. Nicht die, die nur jammern und lamentieren, sondern neben aktut Erkrankten die, die schon mehrere Jahre mit der Betroffenheit (über)leben, die aktiv miteinander überlegen, welche Strategien sie für ihr Leben nach/mit der Krebserkrankung entwickeln können, gegenseitige Erfahrungen austauschen, sich gegenseitig Mut machen, Ängste aussprechen dürfen, mit der Krebsbetroffenheit leben lernen, zusammen lachen, ... Ich weiß nicht, wie ich es ohne diese Leute geschafft hätte! Zu erleben, daß man trotz Krebs wieder 'leben' kann, das war mir der dickste Strohhalm in meiner schwersten, depressivsten Zeit.
Einige Frauen haben hier schon geäußert, daß Medikamente gegen die Depression sicher nicht die 'richtige' Lösung sind. Sind sie auf Dauer auch nicht, aber sie können einem in der schwersten Zeit erstmal die Seele hoch halten. Wichtig ist dabei, sich mit Unterstützung (Du hast sie Dir ja schon geholt per Psychotherapie und dem Forum hier) dann daneben eine eigene Krankheitsbewältigungsstrategie zu entwickeln - das dauert manchmal Monate oder sogar ein/zwei Jahre (bei mir waren es etwa 2 1/2 Jahre, bis ich mich psychisch wieder stabil fand), aber es lohnt sich. Die Medikamente können wirklich nur die Krücke am Anfang sein. Ich selbst wäre ohne die 'lebenden Beispiele' der Betroffenen nicht ausgekommen, Psychotherapeuten haben zwar ihr Handwerk gelernt, sind aber eben selbst auch nur Nicht-Betroffenen, manchmal mit den gleichen Berührungsängsten wie alle anderen auch (ich will sie hiermit aber nicht als weniger hilfreich hinstellen).
Den Gedanken an AHB möchte ich Dir auch noch mal nahelegen. Es ist die erste Möglichkeit, neben Entspannung und Energiereservenaufbau, etc., seitens der verschiedensten Behandler, die alle sehr kompetent im Umgang mit dem Thema Krebs sind, Anregung durch diverse Angebote zur Unterstützung der Krankheitsbewältigung zu bekommen. Im Anschluß an Deine Bestrahlung steht Dir eine AHB zu, die vom Bestrahlungsarzt eingeleitet werden kann. Du kannst aber auch selbst einen Antrag für eine 'onkologische Nachsorgeleistung ' bei Deinem Rentenversicherungsträger stellen, Dein Haus- bzw. Frauenarzt muß Dir dann den ärztlichen Befundbericht ausfüllen. Für diese Maßnahme (inhaltlich von AHB nicht verschieden, nur ein anderer Antragsweg wegen unterschiedlicher Dringlichkeiten) hast Du etwa 12 Monate Zeit nach OP. Nutze diese Gelegenheit für Dich und hab' keine solche Angst vor den anderen Krebspatienten dort - denen geht´s nämlich wie Dir. Und wenn Du nicht gerade Probleme mit Kontakten zu anderen Menschen hast, wirst Du dort schon 'Deine Leute' finden, mit denen Du die Zeit dort gut bestreiten und erleben kannst. Mich ärgert immer, wenn ich höre, daß sogar Ärzte Patienten immer wieder von solchen Rehas abraten. Mir hat nach meiner Erkrankung eine Ärztin gesagt: 'Wollen Sie sich das antun ..., lauter Krebspatienten?' Als ich dann das erste Mal im Speiseraum der Rehaklinik saß, habe ich mich beim heimlichen Abtaxieren der anderen ertapt. Ich habe doch wirklich die 'Schwerkranken', die mit den Pickeln im Gesicht, die den Kopf unterm Arm trugen, oder ich weiß nicht nach was gesucht, aber... es saßen nur lauter normale Leute da, wie ich! Es sind dann sehr nette Kontakte (wie eben hier im Forum) entstanden und ich habe erlebt, daß man sich trotz der schwierigen Situation auch wieder wohl fühlen und vieles andere wieder erleben kann.
Puh, ein langer Brief (und das in meiner Arbeitszeit!), aber mir lag am Herzen, Dir dies für Deine Entscheidungsfindung mitzugeben. Genau über solchen Austausch mit anderen Betroffenen (auch aus der Selbsthilfegr.) habe ich 'meinen' Weg gefunden.
Dir viel Glück bei der Entwicklung Deines Weges.
Gruß von Robie
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