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Alt 08.02.2005, 23:12
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Standard Hinterbliebene sind Aliens

Hallo Jabka,

meine Mutter ist vor drei Jahren gestorben. Wir haben sie die letzten fünf Wochen zu Hause gepflegt. Ich war 26 Jahre alt und habe mein Leben auch dafür "angehalten", das habe ich nicht bereut, denn es waren die letzten fünf Wochen, die ich überhaupt noch hatte und wie lächerlich wenig Zeit ist das.

Ich habe den Kontakt zu meiner besten Freundin verloren. Am Anfang war ich froh, als ich mir nicht mehr ihre dummen Ratschläge anhören muste, dann wollte ich sehen ob sie sich wirklich gar nicht mehr melden würde. Nach sechs Monaten habe ich sie angerufen, wir haben uns getroffen und geredet, sie sagte mir, dass sie findet meine ganze Familie hätte meine Mutter zu schnell aufgegeben. Nach diesem Satz sah ich überhaupt keine Basis für eine Freundschaft mehr. Sie war in den ersten sechs Monaten nach dem Tod meiner Mutter nicht bei mir, als ich mir immer wieder die gleichen Fragen gestellt habe, ob wir alles richtig gemacht haben, was wir hätten anders machen können, immer wieder was-wäre-wen-gewesen-Fragen, auf die es keine Antwort gibt, als ich dem Tod näher stand als dem Leben. Sie hat sich in diesen sechs Monaten keine Gedanken gemacht, dass ich weiter leben muß ohne meine Mutter und nie wissen werde, was anders hätte sein können, das ich mit Schuldgefühlen nicht hätte leben können. Und das es kein richtig oder falsch gibt, weil man sich nur wahnsing machen würde und niemand weiß, was richtig ist. Und dann knallt sie mir so einen ungeheuren Satz um die Ohren.

Ich hatte mein Leben erst nach gut zwei Jahren wieder voll im Grif. Jeder sollte sich die Zeit nehmen, die er braucht.

Am Anfang, als ich die vielen Fragen hatte, hatte ich ein Gespräch mit einem ehrenamtlichen Sterbebegleiter, dass hat mir geholfen. Und dann habe ich hier im Forum zwei Freundinnen gefunden, deren Mütter auch gerade gestorben waren, wir haben uns im ersten Jahr fast täglich geschrieben und haben immernoch kontakt. Reden hilft am besten. Nach dem ich die Bilder der letzten fünf Wochen nicht mehr ständig im Kopf hatte kam die Trauer um meine Mutter.

Inzwischen bin ich nach aussen kein deutlich sichtbarer Alien mehr, aber innen immernoch. Meine Werte und Ansichten haben sich verändert, ich habe diese "mir passiert schon nichts"-Unschuld nicht mehr, ich weiß wie leicht man sterben kann. Ich mache nur noch Sachen, die ich wirklich will und versuche mir Wünsche zu erfüllen und sie nicht auf später zu verschieben. Ich habe neue Freunde gefunden und den Verlust der alten überwunden. Die Trauer hat sich verändert, aber sie wird wohl für immer zu mir gehören.

Ich hoffe du findest hier auch die Hilfe, die du suchst. Ich wünsche dir alles Gute!

Lieben Gruß
Tanja
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