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Alt 24.02.2005, 20:30
Gast
 
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Standard Kommt Krebs auch von der kranken Seele?

Liebe Constanze!

Danke für Deine Zeilen. Dein Posting ist absolut nicht heftig. Ich fühle genauso. Das kann keiner nachfühlen, wenn man sein Leben lang mit einem Menschen zu tun hatte - und das auch noch von Seiten der Eltern - der einem das Leben schwer macht.
In meinem ganzen Leben musste ich mich für meinen Vater schämen. Auch heute noch.

Er hat immer dafür gesorgt, dass meine Mutter oder ich in Angst um ihn oder um unseren Ruf leben mussten.
Heute, wo es meiner Ma so schlecht geht, nimmt er keine Rücksicht auf sie. Er trinkt hemmungslos weiter, geht die Kellertreppe runter - sogar mitten in der Nacht - und trinkt. Sie hört das, geht ihm nach und schimpft mit ihm. Er fällt, sie hebt ihn auf!
Das ist natürlich schlimm für eine Frau, die sich schonen sollte und ihre wertvollen Tage, an denen sie sich MAL gut fühlt, ausnutzen sollte für schöne Dinge.
Mein gesamtes Leben hat es mein Vater uns schwer gemacht mit seiner Trinkerei. Sogar jetzt, wo meine Ma ihn eigentlich bräuchte, macht er weiter.
Es hilft mir sehr, dass Du da genau so fühlst. Ich könnte auch nicht um meinen Vater trauern. Ich schimpfe immer mit mir selber, wenn ich mir wünsche, dass er nicht mehr hier ist. Sowas ist eine Sünde und man darf so etwas noch nicht mal denken. Aber ich kann nicht anders, ich hoffe manchmal, wenn er fällt, dass er liegen bleibt.
@ Manuela: Sorry bitte, Manu, das ist natürlich genau der Gegensatz zu Deiner Trauer um Deine Mutter, aber hier sieht man, wie sehr die Sympathie zu einem Menschen eine Rolle bei der Trauer spielt. Um meinen Vater werde ich keine Träne vergießen, das weiss ich schon 100%ig! Im Gegenteil: Ich wünsche meiner Ma nichts mehr, als dass sie ihre Chemo gut durchkriegt, anschliessend ein zufriedenstellendes Ergebnis hat, und noch ein paar lebenswerte Jahre ohne meinen Vater verbringen darf! Sie hat es so verdient!!!

Liebe Constanze, ich freue mich über Deinen Beitrag und bin ein bisschen stolz darauf, dass jemand den Mut durch meine Zeilen gefunden hat, auch seine Gedanken rauszulassen. Vor allem das, was Du geschrieben hast, dass Dein Vater es nie geschafft hat, seine Fehler und seine Schuld einzugestehen! Das kann man auch auf meinen Vater beziehen. Zwar hat er mir nie wehgetan, aber er hat Zeit meines Lebens immer viel getrunken und uns Sorgen bereitet, wenn er nicht nach Hause kam, oder betrunken aus dem Auto fiel! Die Peinlichkeiten, die er uns damit bereitet hat und viele, viele andere Dinge lassen sich nicht vergessen.
Jetzt, da ich las, was Du geschrieben hattest, dass Dein Vater nicht mit sich im Reinen war, berührt mich auch. Denn wieder ist es etwas, das ich immer sagen will, wenn ich den Zustand mit ihm beschreiben will. Er hat auch einen Gesichtsausdruck - vor allem jetzt im Alter - der zeigt, dass er nicht mit sich im Reinen ist. Vielleicht hätte er gern ein anderes Leben geführt, aber hat es nie geschafft, neu anzufangen und alles hinter sich zu lassen.
Wie gesagt, er hat uns nie verletzt, war immer für uns da (auf eine bestimmte Art), war in der Nachbarschaft beliebt, aber jeder hat im Hinterkopf über ihn getratscht.
Vielleicht hatte er insgeheim Wünsche.
Z.B. hatte er in der Jugend ein Segelboot und wäre damit gern um die Welt gesegelt, aber da lernte er meine Ma kennen. Wie sein Bruder mir mal sagte, hatte sie direkt Pläne mit Familie und Haus und so..... und er konnte sich irgendwie nicht wehren.
Er war vielleicht nicht "Mann" genug, sich von ihr zu trennen, aus Mitleid oder wie man es auch nennen mag, ist er bei uns geblieben, ständig seinen Träumen nachtrauernd....
Vor einigen Jahren habe ich mal versucht, es aus ihm in einem stillen Moment rauszukitzeln. Aber er hat so gesagt, wie gut er sich mit uns und vor allem in seiner Ehe fühlt, hat so dermaßen beteuert, dass er NIE etwas anderes wollte, auch nicht, als ich einfühlsam und vorsichtig nachfragte.
Aber - heute, im Nachhinein, sehe ich noch genau sein Gesicht vor meinen Augen und kann mich erinnern, dass keine Ehrlichkeit in seinem Blick war.
Vielleicht hat er es verdrängt, und glaubt inzwischen selber daran, dass er keine Träume hat.
Er ist auch sehr krank, Montag bekommt er das Ergebnis der Biopsie, die sie entnommen haben (er hat mehrere Flecken am Körper, die Hautärztin hat nicht erfreulich gewirkt, als sie die sah...).
Wenn ich mir vorstelle, er muss ins Krankenhaus, untersuchen usw. und es könnte auch Krebs sein, bleibe ich innerlich ganz kalt. Es soll mit ihm geschehen, was geschehen soll, fertig. Werde meine Ma hinbegleiten und ihr alles ermöglichen, dass sie für ihn da sein kann, aber ich spüre nur innerliche Kälte.
Sicher - viele denken, er trinkt aus Kummer, aus Angst, meine Ma zu verlieren oder aus Angst um seine Krankheit. Aber er hat ja immer schon (ich werde bald 40!...) getrunken, auch, als es in unserer kleinen Familie noch keine Krankheiten gab.

Meine Ma ist immer Mittwochs auf Donnerstag im Krankenhaus, da verhält er sich hier zu Hause so schlimm. Er trinkt bis zum Abwinken, fällt dauernd. Ich wohne in der Wohnung darübe und höre das immer. Ständig rummst es.
Dann, wenn ich mal gucken gehe, liegt er im Bett. Spät abends sind noch alle Rolläden hoch und die Terrassentür steht offen! So wie auch gestern abend.
Ein Einbrecher könnte einfach gemütlich hereinspazieren und direkt alles ausräumen. Geschweige denn, zu uns hochkommen. Ich weiss, es klingt doof, aber ein beruhigender Gedanke ist es trotzdem nicht. Wir schlafen auf dem Dachboden, mein Sohn unter uns in seinem Zimmer. Habe Angst, es könnte jemand in die Wohnung meines Vaters gehen, raufgehen zu meinem Sohn, er wäre hoffnungslos ausgeliefert.
Wenn ich meinem Vater das sage und ihn bitte, wenigstens darauf zu achten,dass alles zu ist, sagt er, ich soll "die Schnauze halten"! So ein Ton war früher nie bei uns üblich.
Heute morgen habe ich ihm gesagt, dass ich ihn demnächst mit der Videokamera filme, wenn er durch die Wohnung schwankt und fällt. Damit würde ich ihn locker ins Pflegeheim bekommen. Mal sehen, ob DAS was gebracht hat bei ihm.
Meine Ma kam jedenfalls heute aus dem Krankenhaus und er hat sie nüchtern empfangen. Sie weiss von dem allen nichts und das ist auch gut so.
Versuche, so viel wie möglich davon von ihr fern zu halten.
Es gelingt mir nicht immer, sagen wir 80% bekommt sie mit. Es geht leider nicht immer, dass ich es vor ihr vertusche.
Sie soll doch im Krankenhaus liegen und sich nicht noch Sorgen machen, dass hier alles schiefläuft!

So..... wieder mal viel Ballast abgeladen.....
Ich wünsche Euch allen noch einen schönen Abend.
Bis bald.
Sabine.
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