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Alt 24.06.2005, 20:23
Gast
 
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Standard Nicht nichts ohne dich, aber nicht dasselbe.......

Liebe Alina,

hast ja gelesen, es gab zwei große Meditationen letzte Nacht. Teil 2 ist Dir,mir und allen Schwestern von Brüdern gewidmet.

Mein Bruder war auch lange mehr wert als ich. So wie Du es beschreibst. Bei beiden Elternteilen. Ich war zum Beispiel eine gute Schülerin, ich gebe zu, es gab kein Gymnasium in erreichbarer Nähe, ich hätte in ein Internat müssen, aber es war gar nicht die Frage ob ich in eines gehe. Mein Bruder, kein guter Schüler, natürlich schon, beendet hat er es nicht. Du hast das wieder einmal wunderbar formuliert "die Wunde der Zurücksetzung". Zufall, Glück, vielleicht war damals in mir mehr "Ingrid" als heute, auf jeden Fall hatte ich so mit 30 Jahren einmal einen Anfall.Da hab ich alles gesagt, was ich jahrelang dachte. Mein Schlußsatz war außergewöhnlich gut formuliert, ich hab ihn mir bis heute gemerkt und natürlich dürft Ihr ihn wissen. Ich sagte, daß ich Ihnen mehr an Zeit, Aufmerksamkeit, Zuwendung, Arbeit, Interesse, Wurscht was,von allem ist es immer mehr von mir und krieg ich immer weniger als mein Bruder. Es gibt nur eine einzige Sache die ich nicht habe: ein Zipfele! Sie waren erschlagen.

Daher, liebe Alina war meine Wunde noch nicht brandig und ist schnell zugeheilt.

Mein Bruder war während Mamas Therapien und in ihrem letzten Monat,na ja, fast in den drei Jahren oft recht aggressiv zu mir. Heute versteh ich es,kann damit leben, aber damals half es nicht, wenn andere sagten, das ist so weil er Angst hat, auch ein schlechtes Gewissen.

Mama ging es lange gut, obwohl die letzte Therapie abgebrochen worden war, man dachte schon das geht so weiter. Dann kam es von einem Tag auf den andern ganz anders.Sie mußte ins Krankenhaus, es konnte nichts mehr für sie getan werden. Nach zwei Wochen kam sie heim. Ich war froh sie bei mir zu haben. Nach nur zwei Tagen bekam sie von einer Minute auf die andere einen Anfall. Einen schrecklichen Schüttelfrost, es klingt unglaubwürdig, aber das Bett zitterte. Sie verfiel zusehends, wurde richtig grau im Gesicht und nicht ansprechbar. Wir haben keinen Arzt im Ort. In dem Entsetzen, dachte ich, ich muß jetzt die richtige Entscheidung treffen. Rettung anrufen, oder nicht. Ich dachte sie wird gleich sterben und ich wollte nicht, daß dies auf der Pritsche in einem Krankenwagen geschieht. Ich rief meinen Bruder in seinem Geschäft an, nicht um ihn zu fragen was ich tun soll, sondern damit er kommt. Er sagte, ich kann nicht weg, ruf doch schnell einen Arzt. Er sagte es so, als sei ich ein Depp, unfähig die richtige Entscheidung zu treffen. Nachträglich gesehen. hatte er recht. Ich rief die Rettung, Mama kam wieder ins Krankenhaus. Dazu muß ich sagen, daß sie gerne dort war, es für sie dort leichter war, wegen dem Badezimmer und natürlich wegen der ärztlichen Hilfe.
Am Abend, bevor sie starb, rief ich meinen Bruder an und sagte, ich bleibe heute nacht bei Mama. Ich sagte nicht mehr, komm, sie war nun doch viel besser beisammen als zwei Wochen zuvor.Aber ich wurde geführt. Am nächsten Morgen um 04.30 starb sie. Sie schlief hinein in den Tod.

Als Papa im Sterben war saß ich einen ganzen Tag neben ihm. Es war klar, daß er an diesem, oder am nächsten Tag sterben wird. Ich merkte wie er sich mehr und mehr veränderte. Und rief am nachmittag meinen Bruder an um ihm zu sagen, daß Papa nun bald sterben wird, es nicht mehr lange dauerr. Er sagte, er käme dann gleich nach Geschäftsschluß. Papa war den ganzen Tag schlafend, im Koma, dagelegen. Dann wachte er auf, sah mich an, nahm meine Hand, schüttelte sie unglaublich kräftig, formte die Lippen zu einem Kuß, ich küßte ihn, legte den Arm um ihn und er starb.

Als mein Bruder kam, war Papa eine Stunde tot. Er kam herein, weinte und sagte, ja so bin ich, nie bin ich da und dann schluchzend zu mir, ich bin so froh daß du immer da bist, daß du immer bei ihnen warst.

Das hat mich versöhnt. Das werd ich ihm nie vergessen. Gelt, Alina, wir sind ja immer schnell ausgesöhnt!

Ich umarm Dich und zum Schluß ein Satz an mitlesende Mütter von Töchtern und Söhnen: es ist schon o.k. daß Ihr Prinzen habt, aber lasst die Töchter auch Prinzessinnen werden!

Eure Briele