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Alt 08.11.2002, 19:59
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Standard Heilende Gedanken (1)

Liebe Flusen,

wieder steht ein Wochenende bevor. Viele werden sich darauf freuen, andere fühlen sich elend und Manche wollen diese Stille nicht, sehnen sich nach der Normalität des Alltags.

Für Viele von uns gibt es nicht mehr die Normalität vergangener Jahre. Wir haben uns fast an Ängste, Schmerzen und ein Leben in innerer Unsicherheit gewöhnt. Oft gelingt es nicht einmal - und das ist vielleicht gut so - sich in den früheren Menschen hineinzudenken. Zu viel ist dazwischen geschehen. Wenn man erschöpft und müde ist, weiß man nicht, wie man früher von Termin zu Termin jagte, unbeschwert fröhlich war. Nichts konnte geschehen, wir waren schier unverletzlich. Und während wir keine Zeit hatten, vor allem nicht für uns selbst, hat sich unser Körper die Zeit geholt, um uns auf seine Art darauf hinzuweisen, dass es SO nicht weiter geht. Wie viele Signale habe ich entweder nicht gesehen oder verleugnet, andere Menschen aber fürsorglich gewarnt. Und dann wurde mir die Zeit aufgezwungen. Die Zeit, über mich und mein Leben, dieses einzigartige, nicht im Nachhinein korrigierbare Wunder nachzudenken und gleichzeitig hektisch Erkundigungen einzuholen.

Novemberstille, Novembertristesse? Mein Wald hat sich nicht verändert. Ich habe ihn immer als Trostspender gesucht und gefunden. Doch kann es sein, dass die Farben sich verändert haben? Dass eine Wolke, ein Abendrot, ein Lächeln zuerst mit dem Herzen und dann mit den Augen wahrgenommen werden?

Ich sah auch früher die Birkenblättchen wie kleine Herzen durch die Luft wirbeln. Ich sah auch früher lächelnde Kinder, hörte liebevolle Worte und sah Gedankengängen nach. Aber heute deute und forme ich sie anders. So lange und so tief, bis es weh tut, um sich dann aufzulösen in einen tiefen Frieden, ein Glücksgefühl der Dankbarkeit: ICH LEBE. ICH KANN LAUFEN. ICH KANN SPRECHEN. ICH KANN LACHEN. ICH KANN! Ich kann so viel mehr, als ich wußte. Und das aber muss ich mir jeden Morgen neu erarbeiten. Es dauert eine Weile, bis ich Körper und Seele in Einklang bringe, bis ich den Anflug von Depression und bitterer Gedanken umpole und daraus eine heilende Kraft entsteht.

Für mich ist der November ein Monat der Gedankenstille. Die Stürme des Herbstes haben sich gelegt. Die rauschende Farbenpracht der Natur mit all ihren nächtlichen Stürmen sind vorbei. Die Bäume sind kahl, die Schönheit eines Lärchenstammes im Sonnenlicht und ein gedämpfter Sonnenuntergang lassen auch mich zur Ruhe kommen. Ich wollte immer funktionieren, dabei muss ich nur den einzigen heutigen Tag leben. Ja, leben.

Der Wiesenstreifen vor meinem Wald ist noch grün, nur an einigen Stellen ragen gelbe Gräser hervor. Die Blätter sind matschig, zertreten. Doch die Vögel zwitschern weiter. Unbekümmert und im festen Glauben, dass nach dem tiefen Schlaf ein neuer Frühling erwacht.

Der Wind ist kalt geworfen. Wenn ich mich warm genug anziehe, kann ich ihn als angenehm erfrischendes Streicheln empfinden. Wie gut das tut, wenn man so erschöpft ist. Und wenn ein einsamer Mann mit seinem Hund an mir vorbeigeht, mich zaghaft ansieht und sein Mund sich kaum zu einem Lächeln verzieht, dann denke ich oft: "Wer weiß, was ER alles durchgemacht hat, viel Schlimmeres. Vielleicht den Verlust seiner Frau oder eines Kindes oder etwas, vorüber er noch nie zu einem anderen Menschen gesprochen hat".

Heilende Gedanken liegen nicht auf der Straße. Sie fliegen einem auch nicht zu. Sie kommen nicht immer dann, wenn man sie braucht. Aber sie sind da. Sie entstehen in uns oder durch einen Wink, den wir erst viel später erkennen. Und wenn wir großes Glück haben, formen sie sich zu Worten, Umarmungen, Briefen. Sie springen weiter wie kleine Funken.

Ich wünsche Euch allen das, was Rupert Walter Federsel in einem Gedicht ausgedrückt hat:

HEILSAME MENSCHEN

Heilende Worte
soll man dir sagen.

Heilende Blicke
sollen dir zulächeln.

Heilende Hände
sollen dich tragen.

Heilende Lieder
soll man dir singen.

Heilende Geschichten
soll man dir erzählen.

Heilende Begegnungen
sollen dich erfreuen.

Heilende Umarmungen
sollen dir wohltun.

Heilenden Menschen
sollst du begegnen.

* * * * * * * * * * * * * *

Ein friedvolles Wochenende wünscht Euch allen
Konstanze

P.S. An Ute (wunderbare Worte!!!), Monika (werde am 21. an Dich denken!) und Brigitte2 meinen herzlichsten Dank.
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