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Alt 18.11.2002, 13:29
Gast
 
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Standard Dokumentarfilm über das Tabu Sterben

Hallo Susan,

du hast recht, ich habe noch nicht geschrieben, was meine Freundin hat. Ende Juli hat sie, 22, die Diagnose bekommen, malignes Melanom (3,1 mm). Danach musste sie zum Nachschnitt in die Klinik. Das Melanom saß an der Innenseite des rechten Oberarms, keine Metastasen. Sie macht jetzt eine Interferontherapie. Alle Werte sind soweit in Ordnung.

Die Gespräche, die ich mit ihr angestrebt habe, betrafen nur uns, nur unsere Beziehung. Von Freunden wurde überhaupt nicht gesprochen. Es war mir wichtig, dass die Situation zwischen uns sich ändert. Zur Situation sollte ich vielleicht auch noch ein wenig sagen. Sie hat Ende Juli die Diagnose bekommen. Die ersten zwei Wochen war auch alles verhältnismäßig in Ordnung. Ich habe sie zum Arzt, in die Klinik gebracht. Sie besucht und abgeholt, habe mich um sie gekümmert. Dann urplötzlich fing es an, dass sie zeitweise tagelang nicht nach Hause kam. Haben wir uns mit Freunden getroffen, hat sie immer nur über ihre Krankheit geredet, nicht wirklich geredet, sondern eher Scherze darüber gemacht. So schien es jedenfalls für uns ‚Laien’. Also scherzten wir auch. Sie schien es recht locker zu nehmen. Sie hat uns nie klar gemacht, dass sie wirklich ernsthaft über die Krankheit reden wollte. Hat man einen Vorstoß versucht, hat sie es mit einem Scherz abgebügelt. Nur leider hat sie diesen Fakt dann den Freunden und auch mir zum Vorwurf gemacht. Es fielen Sätze, wie: „Ihr könnt und wollt mich und meine Situation nicht verstehen.“; „Ihr macht eure Scherze und könnt euch nicht einmal annährend vorstellen, wie schwer diese ganze Sache für mich ist“; „Ihr habt ja keine Ahnung...“ Sie hat dann auch gemeint, dass sie Abstand von den Leuten haben möchte. Es gab Diskussionsversuche und Annährungsversuche von den Freunden: Einladungen, es wurde versucht, mit ihr zu sprechen. Sie hat alles und jeden abgeblockt, auf eine Art und Weise, dass viele, inklusive mir, nicht mehr wussten, wie sie sich verhalten sollen. Also wurde abgewartet. Und auch das wurde dann zum Vorwurf gemacht. Es war nicht wirklich ersichtlich, was meine Freundin wollte. Es hatte den Anschein, als wenn sie erwartet hat, dass man immer dann da zu sein hat, wenn sie mal Lust und Laune nach einem hatte, und man wegzubleiben hat, wenn ihr grad nicht danach war. Nur änderte sich diese Laune von eben auf jetzt. Keiner wusste mehr so recht, woran er war. Eben war sie noch da und im nächsten Moment waren ihr alle über und sie hat sich tagelang nicht sehen lassen. Dieses Verhalten ist umso schlimmer, wenn man weiß, dass wir zwei kleine Kinder haben (14 Monate, Zwillige). Das war keine Situation, mit der ich wirklich gut umgehen konnte und kann, auch im Hinblick auf unsere Kinder, die nicht verstehen können, warum ihre Mutter tagelang wegbleibt und sie dann keines Blickes würdigt und am anderen Tag die fürsorglichste Mutter schlechthin ist. Es war unsere Situation, die unserer Familie, in der es in unseren Gesprächen ging. Ich habe ihr erklärt, was ich denke und welche Konsequenzen das Ganze für mich haben könnte. Sie hat erklärt, warum sie sich so verhält, wie sie es tut, sie hat es jedenfalls versucht. Ich hatte den Eindruck, dass sie selber nicht genau wusste, weshalb. Wir versuchen jetzt seit knapp 3 Wochen unseren gemeinsamen Weg weiter zu gehen. Wir haben unser Leben umgestellt, sind beide Kompromisse eingegangen, haben vereinbart, immer ehrlich über unsere Gedanken zu sprechen, sie nicht beiseite zu packen. Wir werden uns auch in Selbsthilfegruppen-/ Vereinen engagieren, erste Kontakte sind schon aufgenommen. Sie kam dann von sich aus wegen unserer Freunde zu mir. Da haben wir uns das erste Mal darüber unterhalten und ich wollte sie nicht belügen. Es macht auf mich den Eindruck, dass sie die Freundschaften wieder beleben will. Sie scheint einen für sie akzeptablen Weg gefunden zu haben, der auch ihre bisherigen Freunde und ihre Familie voll und ganz beinhaltet. Nur ist es leider nicht einfach, dieses Ziel zu erreichen, denn sie hat ihre Freunde und deren Vertrauen teilweise sehr verletzt. Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg für sie ist. Vielleicht wird sich in 10 Jahren auch sagen, dass es sich nicht gelohnt hat. Vielleicht aber auch nicht. Es ist ihre Entscheidung. Und ich werde sie, soweit es mir möglich ist, unterstützen, sie aber nicht, nur um der guten Stimmung wegen belügen.

Hallo ks-schnecke,

es ist natürlich nicht schlimm, dass du bessere, schönere Sachen gemacht hast. Ich hatte anfangs gedacht, dass du und meine Freundin euch ähnlich seid. Deshalb hatte ich mich auch oft an dich gewandt. Aber mehr und mehr merke ich, dass ihr komplett verschieden seid.

Ich glaube, meine Freundin war auch anfangs der Ansicht, dass sich ihre Freunde keine Gedanken um sie machen und von ihren ‚Gedanken/ Ängsten/ Gefühle nichts hören wollen und zu keinem Konsens bereit sind’, aber dem ist nicht so. Sie wussten einfach nicht, was sie machen sollen, was gerade jetzt für ein Verhalten von ihnen erwartet wird. Sie wollte Abstand. Sie hat ihn bekommen und den Leuten vorgeworfen, dass sie anscheinend gar nichts mehr mit ihr zu tun haben möchten und gesagt, dass sie solche Freunde dann nicht braucht. Dass solch ein Verhalten recht verletzend ist, da würden mir doch sicherlich ziemlich viele zustimmen, oder? Ich habe ihr erzählt, was ich gehört haben, worüber unsere Freunde und ich uns unterhalten haben. Sie meinte, dass ihr das gar nicht so bewusst gewesen wäre. Da fiel etwas wie Schuppen von ihren Augen. Und sie versucht die Annährung wieder...

Hallo Tanja,

Es soll nicht Friede, Freude Eierkuchen gespielt werden und so getan werden, als sei nichts passiert. Das geht auch nicht. Erstens lässt die Situation es nicht zu und zweitens ist dafür zu viel passiert. Aber muss es denn immer ein kompletter Neuanfang sein? Kann nicht auch mal jemand in seinem vertauten Umfeld den Krebs überstanden haben und trotzdem glücklich und zufrieden sein? Ich habe ihr nicht meinen Willen in den Mund gelegt. Sie kam zu mir, ich habe ihr die vorliegende Situation geschildert. Was sie jetzt macht und wie es macht, das ist ihre Entscheidung. Man muss einen Weg finden. Man kann nicht immer alles klar trennen, zumal viele von ihren Freunden und Bekannten auch zu meinem näheren Umfeld gehören. Es müssen Lösungen gefunden werden. Welche, dazu kann ich nichts sagen, das muss sie entscheiden. Ob der eingeschlagene Weg der richtige ist, das kann weder ich noch sie sagen. Vielleicht sage ich in einem Jahr auch, dass es besser gewesen wäre, sich zu trennen oder sie sagt es. Aber für uns beide hängt da zuviel dran. Wir wollen das nicht so einfach wegwerfen. Wir wollen wieder eine Familie sein. Sie möchte die Situation auch mit ihren Freunden und Bekannten klären. Was dabei letztendlich rumkommt, ist auch noch offen. Es wird ein Mittelweg beschritten werden zwischen Altbekanntem und dem Neuem. Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Hellseher ist ja niemand von uns und so kann auch niemand sagen, ob die Entscheidung, die gerade erst gefallen, gut oder schlecht war.


Jetzt habe ich eine Menge geschrieben. Aber ich denke, dass vieles davon wichtig ist. Ich freue mich, dass wir jetzt wirklich miteinander reden, denn das ist es, was ich mir von meiner Forumsteilnahme erhofft habe.

Einen schönen Tag.
Etienne
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