Thema: Liebe Inge
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Alt 11.12.2002, 12:39
Rainer M. Rainer M. ist offline
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Standard Liebe Inge

DER 16. FEBRUAR 2002

Wenn ich mich so im nachhinein zurück erinnere, hat es die ersten Anzeichnen der Krankheit voriges Jahr im September gegeben, Bauchschmerzen und etwas Blut im Stuhl. Meine Frau ist daraufhin zur Hausärztin gegangen und sollte die nächsten Tage eine Stuhlprobe auf verdecktes Blut im Stuhl abgeben. Nun hatten wir aber in einigen Tagen einen Italien-Urlaub gebucht und das Röhrchen für die Stuhlprobe blieb erst einmal liegen, da es ihr eigentlich wieder gut ging. Wir haben dann gemeinsam einen wunderschönen Urlaub verbracht, dass es der letzte werden sollte, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand ... .

- 31.12.01 Silvestertanz, wir hatten uns schon im Sommer mit unseren Freunden verabredet, dieses Jahr gehen wir mal wieder gemeinsam zum Tanz, es hat jahrelang durch Arbeit, Pflege von Angehörigen usw. nicht geklappt. Ich frage mich immer wieder, wie so gerade DIESES Jahr ????

Ja wie gesagt - Urlaub zu Ende, Silvester gelaufen, Bauchschmerzen schon lange wieder weg und sonst auch keine Anzeichen irgendeiner Krankheit - bis Mitte Januar.
- wieder Blut im Stuhl, Röhrchen auf verdecktes Blut im Stuhl abgegeben, Befund NEGATIV !!! (hab ich mir später erklären lassen, ein Darmtumor gibt nicht ständig Blut ab, wenn man für die Stuhlprobe so einen Zeitpunk erwischt - Fehlanzeige!)

- Meine Frau hat trotzdem nicht locker gelassen, fühlte nun offenbar schon, dass mit ihr irgend etwas nicht stimmt.
- 16.02.02 Darmspiegelung - die Worte, die mir der Arzt danach sagte, werd ich mein Leben lang nicht vergessen:

Arzt :Ihre Frau hat ein Geschwür im Darm
ich :gutartig oder bösartig
Arzt :bösartig
ich :kein Zweifel?
Arzt :nein
ich : wie weit?
Arzt: sehr weit!

Wir sind dann nachhause gefahren, hab meine Frau auf die Couch gelegt (sie stand noch unter Narkose – Narkose deshalb, da er zuerst Ultraschall der Leber gemacht hat), ich hab mich in die Küche gesetzt und dann ist über mir eine Welt zusammen gebrochen, hab dann noch meine beiden Kinder angerufen...

- 17.02. Ihre Mutter hatte ihren 80. Geburtstag – für uns gab es keinen Grund zur Freude, alle Anderen haben noch nichts gewusst.

- unendlich lange Zeit des Wartens

- Anfang März OP-Termin im Krankenhaus Bischofswerda - abgesagt, da man versuchen wollte, Darm und Leber gleichzeitig zu operieren.

- wieder u n e n d l i c h e Zeit des Wartens auf einen OP-Termin!!!

- 14.03.-31.02.02 Uni-Klinik Dresden, Darm OP am 20.03., ca. 20cm entfernt, von 21 entfernten Lymphknoten 6 befallen, Lebermetastase (12x12x8 cm) konnte nicht operiert werden.

- 15.04. Beginn der Chemotherapie (5-FU), eine früherer Beginn der Chemo war auf Grund ihres allgemeinen Zustandes nach Darm-OP nicht möglich.
Inge wurde bei der Darm-OP ein Port-System implantiert, durch das ihr dann die wöchentliche Chemo gegeben wurde. Zur Chemo sind wir ( Tochter, ich oder mit Taxi) dann jede Woche 1 x nach Dresden gefahren, dort bekam sie die Chemo-Pumpe angeschlossen, dann ging's nach hause und am nächsten Tag (nach 24 Stunden) wurde die Nadel samt Pumpe im Bischofswerdaer Krankenhaus wieder entfernt. Das ging immer 6 Wochen, die 7. Woche war in Dresden wieder Untersuchung (CT, Röntgen, Ultraschall ...)
Unter der Chemo ist die Lebermetastase nicht größer geworden, aber auch nicht kleiner. Die Chemos hat sie dank Misteltherapie (vom Heilpraktiker) „relativ“ gut vertragen (2 x Thrombose, tageweise Übelkeit und Erbrechen ...)

- 23.07. Auswertung CT ... Nachweis von freier Flüssigkeit im kleinen Becken ... dringender Verdacht auf Peritonealkarzinose (Bauchfellmetastasierung)

- Mitte August auf unser Drängen hin nochmals Ultraschall der Leber, ob nicht doch noch die Möglichkeit einer OP besteht - negativ.

- 30.08. Inge ging es gut, Nachmittag Grillen bei meiner Tochter – die ganze Familie zusammen, Fotos gemacht, ich hatte ein ungutes Gefühl, dass es vielleicht die letzten gemeinsamen Fotos sind – und die Vermutung wurde bald bittere Wahrheit ...

- 6.-8.09. meiner Frau ging es so gut, dass wir uns kurzer Hand entschlossen haben, unseren Sohn in LB zu besuchen, ich wusste eigentlich schon, dass es der letzte Besuch werden wird, ihr Bauch wurde von Woche zu Woche praller...

- 15.09. ich kam von der Spätschicht nachhause, meine Frau hat wahnsinnige Bauchschmerzen (bisher ist sie ohne jegliche Schmerzmittel ausgekommen), Anruf in der Uni-Klinik, am Montag zum Urologen (evtl. Verdacht auf Nierenversagen, da eine Niere durch die große Lebermetastase abgedrückt wurde. Von Montag an keine Nahrungsaufnahme mehr möglich, es wird alles erbrochen

- 16.09. 21.00Uhr nach Dresden in die Notaufnahme --> Ultraschall, Röntgen, Schmerzmittel, 0:30Uhr wieder zuhause. Bis Donnerstag keine Besserung,

- 19.09. Einweisung in Uni-Klinik auf eigenen Wunsch, 4 Liter Wasser aus dem Bauch punktiert, Einstellung auf Schmerzmittel und künstliche Ernährung - danach werden bis zu ihrem Tod aller 2 - 3 Tage 3 Liter Bauchwasser punktiert!!

- 25.09. Entlassung nachhause --> Pflegebett, Nachtstuhl, künstliche Ernährung, alle 8 Stunden Morphium, aller 2-3Tage Bauchwasserpunktion im Bischofswerdaer Krankenhaus

- 06.10. bis 11.10. Krankenhaus Bischofswerda - Verdacht auf Dünndarmverschluß, evtl. OP am 07.10. auf 08.10. verschoben, Darm durch Gabe von Kontrastmittel wieder etwas in Gang gesetzt, OP abgesetzt. In Vorbereitung der OP wurde ihr eine Bauchdrainage gelegt, damit das Wasser kontinuierlich ablaufen kann. Mit dieser Drainage und 100ml im Beutel ist sie am 11.10. entlassen worden.

- 12.10. Immer noch nur 100ml im Beutel, meine Tochter (selbst Krankenschwester) hat dann noch Versucht, die Drainage wieder in Gang zu bekommen, dachte, dass der Schlauch evtl. verstopft ist - ging nicht.

- 12.10. abends nach Bischofswerda ins Krankenhaus, wieder vergebliche Versuche, danach Ultraschall und dann war es Gewissheit ...
Die Ärztin hat dann zuerst meine Tochter und dann mich nach draußen gebeten und uns gesagt, dass kein Wasser mehr vorhanden ist, der ganze Bauch besteht nur noch aus Tumor-Gewebe, es sind nur noch Stunden...
Sie hat noch einen Blasen-Katheder und eine Magensonde gelegt, da beides prall gefüllt war, wir haben Inge dann wieder mit nachhause genommen. Sie war bis zum letzten Moment bei vollem Bewusstsein, hat sich am Sonnabend Abend von uns verabschiedet, ihre letzten Worte waren: "drückt den Tobias (ihr Enkel - war ihr allerliebstes) für mich" ... am Sonntag 02:00 Uhr habe ich ihr noch einmal mit Wattestäbchen ihre Lippen befeuchtet - 04:00Uhr ist sie dann für immer eingeschlafen.
Draußen schneite es an diesem 13. Oktober ...

Es ist alles so bitter !!!!!!!!

. . .
wir haben uns geschoben
durch alle Gezeiten
haben uns verzettelt,
uns verzweifelt geliebt
wir haben die Wahrheit
so gut es ging verlogen
es war ein Stück vom Himmel,
dass es dich gibt...


du hast jeden Raum
mit Sonne geflutet
hast jeden Verdruss
ins Gegenteil verkehrt
. . .

„Der Weg“ – von Herbert Grönemeyer, es wird ein langer, langer Weg!!

Warum schreibe ich das hier für alle im Forum nieder – es ist MEINE Art, das Geschehene wenigstens einigermaßen verarbeiten zu können.

Rainer
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