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Alt 27.12.2002, 23:54
Gast
 
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Standard viele Fragen,keine Antworten

Hi Erika,
ja, diese Wut kenne ich und ich kann Dich gut verstehen. - In der Zwischenzeit habe ich mir einen Boxsack angeschafft (deswegen wohl auch mein Name "Känguruh" - Grins!), und da lasse ich dann öfters mal meine Wut raus. (Kann ja schlecht meine Ärzte verprügeln, hab nämlich auch nicht so gute Erfahrungen mit manchen gemacht ...!)
Aber weisst Du, meine Wut ist eine ziemlich erbärmliche Wut, denn sie fühlt sich oftmals so ... machtlos an. Sie ist sogar sowas wie ein Zwitterwesen, denn sie ist auf der einen Seite kräftig und voller Energie, aber auf der anderen Seite eben so schwach und völlig hilflos.
Machtlos, schwach und hilflos, weil sie nutzlos ist, weil sie mir meine ganze Energie raubt, und weil da die Suche nach einem "Schuldigen" so sinnlos ist. Weil da ein Verständnis ist, welches mir sagt, dass die Ärzte auch nur Menschen sind und eigentlich gar nicht alles so genau wissen können, auch wenn sie manchmal gerne so tun als ob. - Die Wut wechselt also bei mir ab zwischen "Hey, den Kerl sollte man verklagen!" und "Hey, der Kerl konnte das doch gar nicht wissen!" Und dann kommen die Zweifel und die Fragen: "Oder doch? Oder nicht?" Und die Wut fängt wieder von vorne an, nur bin ich diesmal dann auf mich wütend, weil ich nicht weiss, woran ich mich festhalten kann. Und weil die Kraft dazu auch gar nicht mehr so da ist.
Sie ist mühsam, diese Wut.
"Ach hätt ich doch ...", das habe ich mir dann oft gesagt, aber ich wusste nie, WAS ich denn eigentlich hätte "hätten sollen". Weil gewisse Leute mir das so gesagt haben? "Hättest Du halt, dann wäre jetzt nicht ..."
Nö!
Dann kam eine neue Wut, eine Wut auf jene Leute, die mir sagten, was ich hätte "hätten sollen". - Na, an dieser Wut bin ich heute noch am kauen!

Dafür habe ich heute den Krebs und dass ich dieses "Gespenst" selber bin, wenigstens akzeptiert. Bei mir war es zwar kein "Gespenst", bei mir war es eher so, als stünde ich neben mir und schaue einem Film zu, in welchem ich selber die leidige Hauptrolle spiele. Das ist aber in etwa genau so "unheimlich", wie wenn man ein "Gespenst" sieht, gell?
Ich glaube aber, das Ganze hat nichts mit "Verdrängen" zu tun, es ist eher ein totales Ungläubig sein, ein geschocktes Staunen. Verdrängen tut man wahrscheinlich erst, wenn man nicht darüber sprechen will, wenn man sich nur noch ablenken will, wenn man nicht wahr haben will. Aber "Zuschauen", sei es als "Film" oder als "Gespenst", ist noch keine Verdrängung, finde ich. Oder was meinst Du?

Das "Begreifen" braucht übrigens Zeit, Erika. Ich zum Beispiel begreife es selbst heute noch nicht richtig. Manchmal suche ich nach Antworten, nach einer Sinnfrage, aber das alles ist so schwierig. Es tut zwar gut, wenn man sich Gedanken darüber macht (manchmal kommt man da auf erstaunliche Ergebnisse), aber ein Zuviel der Grübelei kann auch wieder neues Leid verursachen. Und neue Wut natürlich.
Und was fängt man mit dieser ganzen Wut wieder an?
Manchmal helfen Psychotherapeuten oder Psychiater. Manche Krebspatienten gehen zu ihnen hin, um das Ganze besser zu verarbeiten. Und Psycho-Onkologen gibt es ja auch.
Oder manchmal helfen Selbsthilfegruppen.
Oder manchmal auch einfach nur ein simpler Boxsack ...?
Na, wir haben freie Wahl.

Entschuldige Erika, wenn ich da manchmal so ausschweife mit meinen Gedanken, ich hatte jetzt natürlich auch schon zwei Jahre Zeit, um über den Krebs und das ganze Drumherum nachzudenken. Ich bin zwar noch immer auf keine grossen Ergebnisse gekommen, aber eines habe ich ganz schnell gelernt:
Den Augenblick des Lebens wirklich zu leben. Nicht an nächstes Jahr zu denken, sondern an das Jetzt, das Heute. Einzelne Augenblicke sind oftmals so schön, so einmalig. Sie kommen niemals wieder. Wo früher Augenblicke flüchtig waren, sind sie jetzt viel intensiver.
Naja, das Leben, der Augenblick ... ist teuer geworden.

Gut's Nächtle, gell?!
Liebe Grüsse von
der "krassen" Brigitte
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