Einzelnen Beitrag anzeigen
  #267  
Alt 29.04.2006, 17:01
Benutzerbild von Gaby283
Gaby283 Gaby283 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 24.10.2005
Ort: Frankfurt am Main
Beiträge: 277
Standard AW: Russisch Roulette.......

Hallo Saphir,

aus deinen Beiträgen erkenne ich immer wieder Ähnlichkeiten. Wir haben sehr an unseren Müttern gehangen, was wohl auch normal ist, wenn man ein gutes Verhältnis zueinander hat.

Ich habe meiner Mama 2 Mal "erlaubt" loszulassen, beim 1. Mal war sie noch zu Hause und befand sich in der Abschiedsphase. Sie wurde zunehmend abwesender; sie schaute zum Fenster raus mit ihren traurigen Augen und stützte ihren Kopf immer auf die Hand. Das tat sie früher nie, weil sie immer optimistisch war und sich nie aufgegeben hat. Mir blutet das Herz, wenn ich an ihre traurigen Augen denke. Als sie auch noch ihren ersten epileptischen Anfall hatte, der Krankenwagen mehrmals da war und Gangstörungen aufgetreten sind, sagte ich ihr, dass sie loslassen kann, wenn sie es nicht mehr schafft. "Kann ich wirklich", fragte sie mich. Für mich war klar, wenn auch nicht bewusst, dass sie keine Kraft mehr hatte. Beim 2. Mal war sie schon im Hospiz...sie saß im Rollstuhl, konnte sich seit fast 3 Wochen nicht mehr bewegen, kaum noch sprechen...habe ihr nochmals erlaubt, dass sie in Ruhe gehen darf, wenn sie es möchte. Sie sagte nur ganz leise "okay" und von da an ging es täglich/stündlich bergab und es dauerte nur noch 3 Tage, bis sie für immer eingeschlafen ist.

Es fällt so verdammt schwer loszulassen.

Aber mein größter Wunsch, dass ich bei ihr sein darf, wenn sie stirbt, den hat sie mir erfüllt. Es verlief etwas erschreckend für mich, da sie zum Schluss ihre Augen aufriss (ich wusste nicht, dass das passiert) und ein paar Mal schwer atmete. Diese Erfahrung möchte ich trotzdem nicht missen, denn die Schwestern im Hospiz haben mich vorher darüber aufgeklärt, was passieren kann und dass ich nicht den Fehler machen soll, mich nicht richtig von ihr zu verabschieden. Bin froh, dass ich auf sie gehört habe. Kurz bevor meine Mama starb habe ich ihr noch viele Sachen gesagt, so wie du. Ich bin dankbar, eine so tolle Mutter gehabt zu haben...Nein, zu HABEN. Als sie dann schon für immer eingeschlafen war, habe ich ihr weiterhin die Hand gestreichelt und am Tag später (sie war im Hospiz noch aufgebahrt) - obwohl ich vorher einen riesigen Bammel hatte - da habe ich sie ganz mutig auf die Stirn geküsst. Das musste einfach sein und es war gut so. Es kommt mir vor, als wäre es erst gestern gewesen, dabei sind es morgen schon 9 Wochen! Ihr Gesicht vergesse ich nie, sie sah so hübsch aus wie die letzten beiden Jahre nicht mehr. Als ob alle Sorgen und Quälereien von ihr abgefallen wären in diesen Stunden nach dem Tod. Das hat mich beruhigt.

Deine Mama hat bestimmt gehört, was du zu ihr gesagt hast, auch wenn sie ihre Augen nicht mehr öffnen konnte, weil sie schon zu schwach war. Meine Ma war auch bis zuletzt bei Bewusstsein. Selbst der Arzt konnte uns das nicht eklären, da sie in ihrem Zustand eigentlich hätte im Koma liegen müssen.
Wir haben schon starke Mütter gehabt, Saphir. Vielleicht sehen sie uns von irgendwoher, aber wir können sie nicht sehen?! Wer weiß!

Gehst du oft auf den Friedhof? Bei mir ist es so, dass ich in den ersten Wochen absolute Panik verspürte und gar nicht alleine hingehen konnte. Inzwischen gehe ich gerne alleine dorthin. Fühle mich sehr wohl dort, da der Friedhof eine angenehme Ruhe ausstrahlt, und das ist in einer Großstadt schon was ganz Besonderes. In 6 Wochen hat meine Ma Geburtstag, das wird dann wieder ein ganz nachdenklicher und emotionaler Tag für mich werden. Schade, sie durfte nicht mal 55 werden.

Niemand wird den Platz von unseren Müttern füllen können, denn sie sind EINZIGARTIG. Ich denke sagen zu können, dass sie uns sehr lieb haben und stolz auf uns sind. Auch ihnen ist es verdammt schwer gefallen loszulassen. Ich möchte nicht wissen, was in ihnen vorgegangen sein muss.

Trotz allem Kummer wünsche ich dir ein angenehmes Wochenende!

Liebe Grüße
Gaby
__________________
Wenn ihr mich sucht, sucht mich in euren Herzen. Habe ich dort eine Bleibe gefunden, lebe ich in euch weiter. (Rilke)
Mit Zitat antworten