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Alt 02.08.2006, 22:34
Benutzerbild von Petra_S
Petra_S Petra_S ist offline
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Registriert seit: 28.09.2005
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Standard AW: Ein Jahr ist nichts.

Hallo liebe Nordisch,

ich glaube wir hatten zu der Zeit sogar schon mal miteinander geschrieben?!
Ja, ein paar mal haben wir geschrieben – ich glaube du bist jetzt 21 ? In dieser Zeit hattest du glaube ich auch noch ein anderes Foto von dir hinterlegt?! Du hast mich schon immer an meine Mädchen erinnert und mir geholfen, die Welt mit ihren Augen zu sehen.

Ich finde es richtig schön wie du von deinem Papa schreibst. Mit den Hausschuhen, dass kommt mir sehr bekannt vor! Meine Weiberchen sind immer in Socken auf der Holztreppe ausgerutscht – eine hat sich bald mal die Wirbel gebrochen…, was habe ich gemeckert „langsamer gehen, Hausschuhe an….“ – jaja diese Eltern ! Weißt du, ich war auch wie mein Vater, ich habe ihn verloren als ich 24 Jahre war (da hatte ich auch schon alle drei Mädels u. war verheiratet!!! ). Mein Vater war auch ein oller Sturkopf, war aber mächtig stolz, dass er mich auch zu einem erzogen hat. Das hat er natürlich nur höchst selten zugegeben (kann man ja als echter Sturkopf nicht machen – ne?!)

Oft saß er Nachts, wenn ich nach Hause kam noch im Wohnzimmer, wir hörten dann noch zusammen Musik und unterhielten uns über alles.. (z.B. haben wir auch da das Lied gehört "time after time" er sah mich an und sagte "dabei möchte ich beerdigt werden") Überhaupt hörten wir oft zusammen Musik oder blieben wach um irgendwelche Konzerte im Fernsehen zu sehen, saßen Stunden zusammen vorm PC er hat mir alles beigebracht, ich fühlte mich im Stich gelassen weil er immer sagte "mach selber" dabei wollte er nur das ich es lerne.. Bei diesen Zeilen sind konnte ich verliebt lächeln, natürlich auch traurig, aber es sind sehr, sehr schöne Erinnerungen – so lief es bei uns auch ab mit meinem Liebsten. Oft hat er mit einer unserer Töchter gesessen und geredet, als es schlimmer wurde, nicht mehr so viel geredet, aber er wollte uns immer noch so viel zeigen/ lernen – wenn er dann nicht mehr da wäre. Ich wollte das nicht lernen, ich dachte, nein, dass soll er machen, ich will das nicht wissen – es war als könnte er dann gehen wenn ich es gekonnt hätte und das wollte ich natürlich nicht!

Als er krank wurde, hab ich immer mehr gemerkt was für einen tollen Papa ich habe, ich hätte alles für ihn getan.
Bei uns waren es : lange Nachtgespräche mit Nadine im Wohnzimmer über Liebe, Enttäuschung, und was die Welt bewegt und tiefer Zuneigung. Besonders freute er sich über Nadine´s Spontanbesuche im Krankenhaus, auf eine Kaffe- oder Zigarettenlänge – welche dann nicht selten 2 Std. dauerten. Wer von beiden mehr erzählte blieb unentschieden.

Sensibel und behutsam registrierte unser Stolli die Interessen und Sorgen und konnte mit viel Gespür für den Moment Vertrauen gewinnen. Musik, Sport und gesunde Ernährung waren zwischen unserer zweiten Tochter, Charly und ihm die gemeinsamen Themen. Auch als Charly zum Studium ging, riss ihr Kontakt nicht ab. Lustige Karten, Anrufe, SMS und kleine Aufmerksamkeiten erhielten die Nähe zueinander.

Seine Suse, das Küken aus dem Hühnerstall – viele Fragen, Hausaufgaben und Erklärungen. Mit endloser Geduld beantwortete unser Liebster jede Frage (auch die, die noch nicht gestellt war) und eroberte ihr Herz im Sturm. Verschlossene Küchentür – Verschwörung der Heinzelmännchen – strahlend präsentierten beide einen leckeren Braten oder eine strahlend aufgeräumte Küche. Nicht selten wusste er den Stundenplan und die Schulnoten besser als ich. Als einziges noch zu Hause wohnendes Kind war Suse die engste Verbündete im Kampf gegen Schmerz, Traurigkeit und lange Tage in den vergangenen Krankheitsmonaten. Gespräche und gemeinsam Musik hören


Und den Tod. Ich krieg die Bilder nicht aus meinem Kopf, wie die Augen sich wegdrehten, das Atmen die Geräusche.. Wenn jetzt irgendwelche Personen die Augen verdrehen, bekomme ich Gänsehaut.
Ich muss gestehen, ich weiß nicht wie sehr die letzten Tage meine Mädchen noch belasten, als er einschlief, war ich mit ihm allein und es ging sehr ruhig vor sich. Nichts von dem was du von deinem Papa geschrieben hast, aber viele Tage vorher war es eine unmenschliche Qual, auch seelisch für ihn und uns. Über das Sterben haben wir nur kurz geredet, es dann aber meist alle wieder weggeschoben, keiner wollte davon reden – er selbst am wenigsten.

Wir wollten noch zusammen Pink Floyd über die Dolpy-Anlage hören, wir haben es nicht geschafft. Dein Papa war unserem sehr ähnlich, auch er hat noch eine Anlage gekauft und wollte „ordentlich „Musik hören….Sehr traurig war er, dass er nicht in das Deutschland-Konzert von Rush, voriges Jahr konnte, er sagte „…dann werde ich sie nie life erleben!“

Das Jahr jetzt, ich kann es gar nicht beschreiben, es ist so viel passiert und irgendwie nichts,- Alles was du so von dir und deinen Gefühlen schreibst kenne ich von meinen Weiberchen, leider weiß ich aber auch nicht wie ich ihnen helfen soll. Es ist so schwer für sie richtige Freunde zu finden, da sie ja durch Ausbildung, Beruf und Studium überall neu anfangen müssen. In der Gesellschaft, gerade auch in euerm Alter ist vieles so oberflächlich, ich dachte schon oft, vielleicht sollten sie sich Freunde suchen, die auch ähnlich Schweres erlebt haben – evtl. hier übers Forum. Wie sollt ihr eure „Unschuld“, eure „Unbeschwertheit“ zurück holen, nach allem was ihr erlebt habt?! Ich weiß wirklich nicht, wie ich es ihnen leichter machen könnte.
Ohne deinen Papa willst du kein Informatiker mehr werden…, ja das glaube ich wolltest du doch MIT IHM ZUSAMMEN dieses Gebiet erobern…! Und nun liebe Nordisch, was möchtest du nur für dich entdecken? Was kannst du besonders gut? Vielleicht hat dir die schwere Vergangenheit auch Eigenschaften Fähigkeiten mitgegeben, die dir in deinem weiteren Leben nützlich sein können?! Auch ein Aspekt, warum sich deine Mutter die Arbeit in der Krebssprechstunde antut, vielleicht will sie das tun, was sie selbst vermisst hat, als dein Papa krank war? Oder hat sie so das Gefühl an ihm etwas wieder gut zu machen, was sie glaubt versäumt zu haben?

Ich vermisse sein freches Grinsen, seine Lache, sein "Haargedreh" er konnte nicht an mir vorbeigehen ohne mein Haar an einem Finger aufzuwickeln. Ich vermisse sogar sein Gemecker, die Blumen die er mir gekauft hat, weil er dann doch ein schlechtes Gewissen hatte, immer Alpenveilchen, ich habe sie noch und sie blühen , ich vermisse sein ungeniessbares Essen - er konnte wirklich nicht kochen, war aber immer stolz "ist sogar vegetarisch", sein "ich hab den Staubsauger in dein Zimmer gestellt" oder seine Briefe aus der Kur, sein morgendliches Rollo hochziehen, wenn man Nachts spät nachhause kam, aber die Blumen brauchen ja Licht, ich hätte jedes mal schreien können und nun vermisse ich es, seine kleinen Späße --> Vogelhirse "du bist ja nun ein Körnerfresse", sein lustig machen über Mama, wenn sie unserer Meinung nach spinnte, die Abende bei meiner Oma, sein Drücken, das Einkaufen - es sprang immer was für uns raus... Eigentlich alles. – Du hast einen sehr, sehr sympathischen Papa! Ich schreibe mit Absicht „hast“ ;
Wenn ihr mich sucht, sucht mich in euren Herzen. Habe ich dort eine Bleibe gefunden, lebe ich in euch weiter. (Rilke)

Und ich habe Angst, Papa hatte einen Tag vor mir Geburtstag, wir sind beide Waage und hatten bis jetzt alles gleich, ständiges Nasenbluten, eigentlich immer gesund, wirklich immer, ich habe angst das es bei mir auch so wird. Gesund und dann diese Krankheit. Ich könnte nicht kämpfen. – Oh, dieser Geburtstag, ja das ist natürlich jedes Jahr wieder sehr schwer! Versuch nicht so weit ihn die Zukunft zu sehen, JETZT bist du gesund und wenn dir einer gesagt hätte, welche schwere Krankheit dein Papa durchstehen muss, dann hättest du sicher nicht für möglich gehalten, dass ihr das durchstehen würdet. Liebe Nordisch, versuche im HEUTE zu bleiben, lass dich nicht von den Gespenstern der Zukunft verrückt machen, keiner weiß was in seinem Leben noch auf ihn zu kommt.

Ich glaube Mama würde sogar mit uns reden, aber meistens fängt sie dann an zu weinen, was es einen nicht gerade leichter macht.
Ja, das kann gut sein, dass das passiert, aber warum ist das so schlimm? Leicht ist es nicht, aber wie kann es das auch? Vielleicht redet sie deshalb nicht, weil sie es dir/ euch nicht nnoch schwerer machen will? Mir kommen auch die Tränen und es liegt doch aber daran, dass es soooo schön war mit ihm und ich ihn auch soooo vermisse und ihn dafür liebe, dass die Weiberchen ihn so vermissen und lieben! Verstehst du? Bei uns war/ ist ? es auch so, dass wir gegenseitig Angst hatten uns runter zu ziehen und dann doch lieber jeder versucht hat mit seinem Kummer allein fertig zu werden. Aber das geschah nicht aus Mangel an Vertrauen, sondern aus Rücksicht, weil die man den anderen nicht aufwühlen wollte, doch so blieb jeder mit seinen Gedanken allein…

So, das wars für heute erst mal, ich hoffe ich habe dich nicht zu sehr „voll gequatscht“! Schlaf gut und hab noch mal vielen Dank für dein Vertrauen, deine liebevollen Erzählungen über deinen Papa! Liebe Grüße Petra
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