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Alt 13.09.2006, 11:17
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Rudolf Rudolf ist offline
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Standard AW: Warum kann ich nicht trauern?

Hallo Xeniia,
Du hast viele schöne Antworten bekommen. Trotzdem möchte ich ein wenig anfügen.
Was heißt denn trauern? Trauern heißt Abschiednehmen. Da hat jeder seinen eigenen Weg, und Tränen sind nicht zwangsläufig oder ausschließlich Ausdruck der Trauer.

15 Monate lang hast Du Deinen Vater begleitet. Und irgendwann wurde klar, wie Sylvias Vater es sagte, "meine Zeit ist gekommen". Da war sehr viel Zeit zum langsamen Abschiednehmen. Du hast, denke ich, Abschied genommen, als Dein Vater noch lebte. Da gibt einem das Schicksal Zeit, sich ganz langsam vom geliebten Menschen zu lösen, seinen Weg anzunehmen. Dann kann und muß kein Abschiedsschock als "tiefes Loch" mehr kommen. Ein Verlustschock kommt, meine ich, beim plötzlichen, unerwarteten Tod eines geliebten Menschen.

Als vor vielen Jahren meine Schwiegermutter 3 Monate nach der Diagnose Lungenkrebs starb, hatte meine Frau sie fast täglich im Krankenhaus besucht. In dem Bewußtsein, daß Heilung nicht möglich war, war es ein langsames Abschiednehmen. Und als der Tod schließlich eingetreten war, konnte meine Frau nicht mehr weinen, waren Tränen nicht mehr möglich. Das war ihr sehr bewußt, sie hat es so genommen und auch nicht bedauert.

Es sollte auch niemand meinen, jemand, der keine Tränen zeigt, habe den Verstorbenen nicht geliebt.
Seit ich auf der anderen Seite die unehrlichen Tränen einer Frau bei der Aussegnung ihres Mannes gesehen habe, weiß ich, wie wenig Tränen über das Gefühl eines Menschen aussagen.
Und es geht niemanden etwas an, wann und wo ich Trauer empfinde, mit oder ohne Tränen.

Sei gewiß, daß Dein Vater sich freut, wenn Du Dein Leben wieder unbeschwert leben kannst, jetzt oder später.
Liebe Grüße
Rudolf
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Ich habe Krebs - aber ich bin gesund!
(Nieren-Op. Nov. 2000, Mistel seit Sept. 2001, anfangs >15 Lungenmetastasen, seit 2003 noch eine, seit 2006 ruhend, 2018 operativ entfernt)

Ich kämpfe nicht gegen den Krebs, sondern für das Leben.
Nein, ich kämpfe nicht, ich lebe!
Mein Krebs ist nicht mein Feind, er ist Teil meines Körpers. Ich will ihn verstehen.
Angst ist Gift für den Körper . . . . . und noch mehr für die Seele.
Entscheiden Sie sich für das Leben, sagte eine Psychologin . . .
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