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Alt 19.03.2003, 00:38
Gast
 
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Standard Es ist zum wahnsinnig werden...

Erst jetzt finde ich die Kraft zu Schreiben. Mein Vater ist tot, seit dem 04.03., 22.30 Uhr.

Über das Wochenende (01./02.03), wie berichtet, ging es meinem Vater schlechter, aber niemand dachte daran. Ich hatte am Sonntag noch ein längeres Gespräch mit einer Ärztin (in einem Zimmer, nicht auf dem Flur - so weit sind sie in Tübingen immerhin), sie hat über Blutwerte und alles mögliche gesprochen, aber nicht darüber, dass mein Vater bald sterben könnte. Im Laufe des Nachmittages hat mich ein Pfleger beiseite genommen und mir - seine Kompetenzen überschreitend - mitgeteilt, dass mein Vater sich seiner Erfahrung nach auf einem kontinuierlichen Weg nach unten befinden und nur noch einige Wochen zu leben haben würde. Immerhin. Mein Vater hatte unglaubliche Schmerzen beim Husten und war sehr verzweifelt, aber bei vollem Verstand und hatte noch nicht vollständig aufgegeben.
Am nächsten Morgen habe ich 20 Minuten mit dem zuständigen Oberarzt (Dr. Klump) telefoniert, der sehr verständig war, auf meine Berichte der unterschiedlichen Rezeption meines Vaters auf die verschiedenen Schmerzmittel gut eingegangen ist, unsere Befürchtungen bezüglich der bisher unbeachteten Gewichtsabnahme und der Verschlechterung des Allgemeinzustands anscheinend ernst genommen und Abhilfe versprochen hat. Leider war er nicht auf dem neuesten Stand, was den Zustand meines Vaters anging. Danach bin ich ins Büro gefahren.
Zwei Stunden später hat mich meine Mutter angerufen. Tübingen habe angerufen, es ginge ihm (noch) schlechter.
Eine Stunde später war ich da, kurz nach meiner Mutter und meiner Schwester. Mein Vater war in ein Zimmer gebracht worden, in dem er alleine sein konnte. Leider auch ohne Ärzte und Pfleger. Was wir vorfanden, war ein Zombie. Etwas in der Gestalt meines Vaters saß aufrecht im Bett, den Mund voller geronnenem Blut und starrte voller Todesangst gegen die Wand. Er war noch halb bei Bewusstsein und nahm uns war, konnte aber nicht mehr sprechen. Das einzige, was er uns durch Händedrücken noch mitteilen konnte war, dass er nach Hause wollte (unverantwortlich, sagte später ein Arzt). Er hatte wohl keine Schmerzen (Schmerzpflaster und unterbliebener Händedruck) und bekam ein Beruhigungsmittel, das aber nicht wirkte. Mit der Zeit wurde mein Vater immer unruhiger, strampelte mit den Beinen, klammerte sich mit den Händen an die Bettumrandung und starrte panisch in die Gegend. Dieser Anblick wird mich bis zu meinem Lebensende nicht mehr verlassen. Wir wussten nicht, was wir tun sollten. Ca. jede Stunde kam eine Schwester und erhöhte die Dosis - ohne Wirkung. Wir wussten nicht, was besser wäre, unseren Vater einfach mitzunehmen (ich glaube, er hätte die Fahrt nicht überlebt), die Dosis deutlich zu erhöhen, damit er nicht mehr leiden muss, oder das Medikament abzusetzen. Ein Arzt (seltener Anblick) teilte uns mit, dass für unseren Vater alles getan worden sei und er in den nächsten 48 Stunden sterben würde. Die Dosis wurde weiter erhöht, bis schließlich (NACH 7 STUNDEN) von der Schwester ein Arzt gerufen wurde. Der stellte sehr schnell fest, dass die Infusionsnadel nicht korrekt gesetzt war und das Medikament nicht in die Vene, sondern in das Gewebe geflossen war. Wir wurden hinaus geschickt und als wir nach 45 Minuten wieder hinein durften, schlief mein Vater. Bis zu seinem Tod kam er nicht wieder zu Bewusstsein.
Wir hatten die letzten 36 Stunden seines Lebens zum Glück immer einen Raum für uns alleine, bekamen von Personal Essen und Schlafgelegenheiten und konnten alle drei bei seinem - alles in allem friedlichen - Tod dabeisein.
Mir geht langsam die Kraft aus. Ich fasse mich ab jetzt kurz. Kein Arzt konnte uns genau sagen, an was mein Vater nun so plötzlich gestorben war. Keiner hatte uns, und vor allem ihn darauf vorbereitet, dass es so schnell gehen könnte. Die letzten 7-10 Stunden seines bewussten Lebens verbrachte mein Vater in panischer Todesangst. Die letzten 24-30 Stunden seines Lebens hat sich kein Arzt mehr bei ihm blicken lassen. Im nachhinein teilte uns ein arroganter aber immerhin engagierter Arzt mit, dass das mit der falsch gesetzten Nadel nach spätestens 30 Minuten hätte entdeckt worden sein müsse und das er das zur Sprache bringen würde. Vielleicht hilft es ja einem anderen Patienten.
Ich will jetzt keine pauschalen Vorwürfe machen. Am Tod meines Vaters war die Uni-Klinik nicht schuld. Das Pflegegepersonal auf der C1 der Medizinischen Klinik war bis auf wenige Ausnahmen sehr gut, die Krankenschwester, die ihn in seiner letzten Nach betreut hat, war ein wahrer Engel.
Aber: Es gibt in Tübingen keine durchgehende Behandlung. Jeden Tag hat man einen anderen Arzt als Ansprechpartner, der etwas anderes erzählt. Keiner wagt es, einem oder dem Patienten die Wahrheit zu erzählen. Mit dem Vorwurf der Fehldiagnose bin ich vorsichtig, Fehleinschätzungen gabe es aber haufenweise. Das "Pflegepersonal" in der Chrirurgischen Klinik ("Crona") setzt sich hauptsächlich aus unfähigen, faulen Folterknechten zusammen.
Beispiele gefällig? Bitte:
In der ersten Nacht nach der Intensivstation bekommt mein Vater starke Schmerzen im Bauchraum. Eine Schwester untersucht den Katheter und findet nichts. Stärkere Schmerzmeittel, immer wieder. Nach 3 (DREI) Stunden findet ein Arzt die Ursache: Ein Knick im Schlauch des Katheters.
Mein Vater hatte zunehmend starke Tumorschmerzen und wollte ein stärkeres Medikament. Antwort der Schwester: Sie werden noch medikamentensüchtig.
16 Uhr: Frage meinerseits nach adäquaten Schmerzmitteln: Ihr Vater bekommt um !8 Uhr eine entsprechende Kombination. 18:20 Uhr waren die Schmerzen unerträglich, ich gehe nach vorne, klopfe die Schwester aus der Kaffeeküche (wirklich war), sie sieht mich mit großen Augen fragend an. Ich deute auf die Uhr und erwähne die Schmerzen meines Vaters. Antwort: Da hätte er sich ja melden können. Wo mein Vater ein Mann war, der sich nie beschwert oder gejammert hätte. Außer, wenn er überhaupt nicht mehr konnte.
Anderes Beispiel: Mein Vater hat Probleme mit dem Essen und eine Thrombose im rechten Bein. Ihm wird schlecht, er schleppt sich in Richtung Toilette, schafft es aber nicht mehr ganz, übergibt sich unter Schmerzen in das Waschbecken in der Waschecke.. Danach klingelt er nach einem Pflger. Dieser wirft ihm ein Paar Handschuhe hin, mit dem Hinweis, damit könnne er ja die Sauerei beseitigen.
Ich weiss wohl um das "Veteranensyndrom", das man sich einredet, man hätte mehr Narben als andere und mehr gelitten, aber ich glaube nicht (und ich hoffe es nicht), dass jeder BSDK-Patient dasselbe durchmachen muss wie mein Vater. Was ich oben angedeutet habe, waren nur einige von ungefähr einem Dutzend Beispielen, was alles schief gelaufen ist.
Was Tübingen angeht: Wenn Ihr oder Euer Angehöriger eine komplizierte, aber eindeutige Erkrankung habt, für die es eine klare Behandlung gibt, dann seid Ihr in besten Händen. Wenn mein Bein bei einem Unfall volllkommen zerschmettert würde, hätte ich vollstes Vertrauen. Auch bei schwierigen, lebensgefährlichen Operationen an Organen. Aber mit etwas lebensbedrohlichem, das die Behandlung durch verschiedene Abteilungen erfordert kann ich nur sagen: Gute Nacht.
Ich folge jetzt dem, was ich vor enigen Wochen halb ernst mit meinem Vater besprochen habe: Ich werde alles Geld, das ich bisher in eine alternative Altersversorgung gesteckt habe, in eine private Zusatzversicherung stecken. Das sichert mir mit ein wenig Glück wenigstens eine halbwegs menschenwürdige Behandlung in den letzten Wochen meines Lebens.
Kleiner Nahctrag zu Tübingen: Wie gesagt, alle Chirurgen, die mein Vater kennen gelernt hat, waren sehr gut; auch komplizierte Operationen glückten. Prof. Dr. Grund, der Leiter der Endoskopie ist nicht nur eine Kapazität auf seinem Gebiet und eine Autorität in der Klinik, er ist auch durchaus an dem Wohl seiner Patienten interessiert und setzt sich auch später für deren Belange ein. Das Pflegepersonal der C1 ist sehr gut, der Fehler mit der falsch gesetzten Infusionsnadel wurde von der C2 verursacht, und einige Schwester gleichen tatsächlich Engeln.

Wir saßen noch zwei Stunden nach seinem Ableben bei meinem Vater. Irgendwann kam eine Ärztin, die den Tod festgestellt hat, dann eine Schwester, die vor Einsetzen der Totenstarre einige Vorkehrungen getroffen hat.
Dann sind wir wieder hinein und waren noch eine halbe Stunde bei ihm. Wie wir in dieser Nacht nach Hause gekommen sind, weiss ich nicht, jedenfalls waren morgens beide Autos unbeschadet zu Hause. Wir haben noch Stunden miteinander geredet. Die folgenden zehn Tage saßen wir eigentlich nur zusammen und haben gerdet. Da der Pfarrer am Freitag keine Zeit hatte, hatten wir auch noch das Wochenende für uns, haben unseren Vater gesehen, wie er vom Bestatter hergerichtet worden war, hatten die Gelegentheit uns am Wochenende noch einmal in der Leichenhalle von ihm zu verabschieden und haben irgendwie auch die Beerdigugn überstanden. Jetzt wühlen wir uns durch seine Unterlagen. Kramen Versicherungspolicen und Finanzverträge heraus und fühlen uns dabei schrecklich, aber anscheinend muss so etwas gemacht werden. Manchmal reden wir stundenlang über die Leidenszeit unseres Vaters, was wir oder andere hätten tun können, undundund. Manchmal tut das gut, manchmal nicht.
Entschuldigt, ich wollte kein abschreckendes Beispiel liefern, aber so war es nunmal. Mein Vater war auf seine Art sehr stark und hatte sich mit vielem arrangiert. Er hatte sich bereits in Gedanken das Wohnzimmer für die letzten Wochen seines Lebens eingerichtet ("Ihr stellt das Bett links hinten hin, da bin ich nicht im Weg") und hatte für das nächste Wochenende geplant,.mit uns einige Dinge zu regeln, d.h. sich aus dieser Welt von uns und allem anderen zu verabschieden. Was ihm leider nicht mehr gegönnt wurde.
Es gäbe noch so vieles zu erzählen, aber nichts Gutes.

Was ist mein Fazit? Es gibt keines. In dem Maß, wie mein Vater leiden musste, so viel Glück hat vielleicht ein anderer. Vielleicht hat Euer Vater/Mann, Eure Mutter/Frau, Eure Kinder ja auch Glück und es kann dennoch operiert werden, die negative Prognose war falsch, die Chemo schlägt an, oder zumindest das Ende ist ohne Schmerzen und Angst.

Sagt was Ihr wollt, ich wäre gerne optimistischer, aber Bauchspeicheldrüsenkrebs ist einfach zum wahnsinnig werden....

Gerd

P.S.: Letztens haben wir zu Hause die Diagnose eines Facharztes (Radiologe) vom September 2002 von meinem Vater gefunden: "Kein Anhalt für einen Tumor"
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