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Alt 08.01.2007, 16:35
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Claudia Junold Claudia Junold ist offline
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Standard AW: Hirnmetastasen

Folgenden hochinteressanten Artikel bekam ich kürzlich von unserer Babs_Tirol und stelle ihn für sie hier herein:

Klinik und Management von zerebralen Metastasen

Zerebrale Metastasen sind mit 30% aller intrakraniellen Malignome die häufigsten Hirntumoren. Die häufigsten zugrunde liegenden Tumoren sind Bronchial-, Mammakarzinome, Melanome und urogenitale Tumore. Neben radio- und neurochirurgischen Maßnahmen sowie Ganzhirnbestrahlung wird in den letzten Jahren auch vermehrt mit unterschiedlichen Chemotherapie-Regimen behandelt. Die Inzidenz zerebraler Metastasen ist nicht zuletzt durch die längeren Überlebenszeiten von Tumorpatienten im Steigen begriffen.

In allgemein onkologischen Autopsiestudien findet man in ungefähr 25% der Patienten Hirnmetastasen. Zirka zwei Drittel dieser Patienten entwickeln neurologische Symptome im Verlauf ihrer Erkrankung. Am häufigsten (90%) entwickeln sich zerebrale Metastasen im fortgeschrittenen Stadium der onkologischen Erkrankung. In nur ca. 10% der Fälle sind sie das Erstsymptom eines Tumorleidens.

Die häufigsten Primärtumore sind Lungen- und Brusttumore, seltener urogenitale Tumore und Melanome (Tab. 1). In 10% aller Patienten mit zerebralen Metastasen kann kein Primärtumor gefunden werden.

Zerebrale Metastasen können singulär (einzelne zerebrale Metastase bei bekanntem Primärtumor und weiteren systemischen Metastasen), solitär (einzelne zerebrale Metastase und bekannter Primärtumor ohne systemische Metastasierung), multipel oder „de novo“ als Erstsymptom einer Tumorerkrankung auftreten.

Insgesamt sind zerebrale Metastasen neben spinalen Metastasen, radikulären Syndromen, Plexopathien, Neuropathien, Polyneuropathien, Myopathien, paraneoplastischen neurologischen Syndromen oder Strahlen- bzw. Chemotherapie-assoziierten neurologischen Schädigungen nur eine vieler möglichen neurologischen Komplikation bei onkologischen Erkrankungen.

Pathophysiologie

Tumorzellen gelangen direkt oder über das lymphatische System in den Blutkreislauf. Um ins Gehirn zu kommen, muss der Tumor entweder in der Lunge lokalisiert sein und so über das venöse System in die arterielle Zirkulation gelangen, oder Tumorzellen gelangen direkt über ein offenes Foramen ovale in die linke Herzkammer und auf diesem Weg ins Gehirn.

Im Wesentlichen begünstigen zwei Faktoren das Entstehen zerebraler Metastasen:

1.) Das Gehirn erhält in Ruhe ca. 20% des Blutvolumens, womit die Wahrscheinlichkeit einer hämatogenen Aussaat ins Gehirn groß ist.

2.) Bestimmte Tumorzellen haben einen gewissen Neurotropismus zu bestimmten Arealen des zentralen Nervensystems. Zum Beispiel metastasieren Nieren- und Kolonkarzinome häufiger in das Zerebellum. Melanome bilden vor allem zerebrale Metastasen aus, ohne dass andere Organe betroffen sind. Das duktale Mammakarzinom verursacht intrazerebrale Parenchymmetastasen, während das lobuläre Mammakarzinom vor allem in die Meningen metastasiert. Dieser Neurotropismus einzelner Primärtumore zu bestimmten Hirnarealen wird auch als „seed and soil“-Theorie bezeichnet.

Wenn die Tumorzellen das Gehirn erreichen, durchbrechen sie das Endothel und entwickeln sich mit Hilfe von Angiogenese, bis sie an Größe zunehmen und neurologische Ausfälle verursachen. Jedoch nur ca. 0,01% aller Tumorzellen, die in die Blutzirkulation gelangen, entwickeln sich zu Metastasen.

Das Verteilungsmuster der zerebralen Metastasen richtet sich im Wesentlichen nach der Größe des Stromgebiets der zerebralen Arterien, v.a. Hemisphären, sowie nach den posterioren Grenzzonen (85%, 10–15% zerebellär und 3% Hirnstamm). Juxtakortikale Areale und vaskuläre Grenzzonen scheinen zusätzlich begünstigt.

Die Inzidenz zerebraler Metastasen ist mit der Effektivität systemischer Chemotherapien im gleichen Maße angestiegen. Zum einem kann das durch längere Überlebenszeiten der Patienten erklärt werden, womit auch ein längerer Zeitraum zur Entwicklung von Metastasen zur Verfügung steht, zum anderen ist die Blut-Hirn-Schranke (BHS) wohl für Tumorzellen permeabel, jedoch nicht für viele vor allem wasserlösliche Substanzen (Ausnahme z.B. Hochdosis-MTX). Somit sind Tumorzellen jenseits der BHS für viele chemotherapeutische Regime unzugänglich. Andererseits kommt es bei zunehmender Neovaskularisierung der Tumorzellnester auch zu einer Schädigung der BHS, wodurch die metastatischen Absiedelungen wieder durch Chemotherapien angreifbar werden.
Ein wichtiger Punkt scheint auch noch, dass Primärtumoren, die erfolgreich durch Chemotherapien behandelt wurden, nach dem Auftreten von zerebralen Metastasen durchaus mit den gleichen Substanzen behandelt werden können, da zum Zeitpunkt der Mikrometastasierung die Zellen unter Umständen noch vor der systemischen Chemotherapie durch die BHS geschützt waren.

Klinische Symptome

Neurologische Symptome bei Patienten mit zerebralen Metastasen variieren sehr stark je nach Lokalisation. Zum einem treten fokal neurologische Defizite auf, aber auch unspezifische Symptome wie Wesensveränderung, Kopfschmerz, Hirndrucksymptome wie Erbrechen und Übelkeit (vor allem morgens), Fatigue, Antriebslosigkeit und verschiedene neuropsychologische Störungen (Tab. 2).

Auch der Verlauf von klinisch-neurologischen Symptomen kann durch die typische langsame Progredienz oder das teilweise fluktuierende Auftreten bzw. morgendliche Maximum in Richtung einer zerebralen Raumforderung weisen.

Diagnostik

Beim klinischen Verdacht auf eine zerebrale Metastasierung sollte in jedem Fall eine MRT mit Kontrastmittel (Gd) durchgeführt werden. Die Sensitivität einer CCT, selbst mit Kontrastmittel, ist im Vergleich zu gering.

Bestimmte bildgebende Merkmale wie sphärische Anordnung und bessere Abgrenzbarkeit gegenüber Gliomen oder deren Affinität zu juxtakortikalen Arealen und den Wasserscheiden des Gehirns können schon von Seiten der Bildgebung für eine Metastase sprechen. Allerdings ist die Spezifität mittels MRT nicht sehr hoch. Differenzialdiagnostisch müssen auch andere Ätiologien wie primäre Hirntumore, etwa Gliome oder PCNSL, aber auch Abszesse, Insulte oder demyelinisierende Erkrankungen unterschieden werden.
Bei Patienten mit bekanntem Primärtumor und suspekten zerebralen Läsionen in der MRT liegt die Spezifität bei 90%. In 10% der Fälle handelt es sich hierbei um andere Entitäten.

Bei Patienten mit einer bekannten onkologischen Grunderkrankung und radiologischem Verdacht auf eine zerebrale Metastase sollte nach den im Abschnitt Therapie genannten Richtlinien vorgegangen werden. Ist jedoch kein Primärtumor bekannt, sollte eine klinisch-internistische Untersuchung (inkl. Haut, Retina, Schleimhaut), eine CT von Thorax und Abdomen sowie hämatologische und serologische Parameter der Tumordiagnostik durchgeführt werden. Eine Histologiegewinnung ist in diesem Fall, sei es zerebral oder von peripherem Tumorgewebe, unbedingt zu empfehlen. Auch der Einsatz von FDG-PET kann in der Primumsuche hilfreich sein.
Immunhistochemische Analysen von zerebralen Metastasen unklarer Herkunft können nützliche Zusatzinformationen hinsichtlich Art und Lokalisation des Primärtumors bringen.

Therapie

Die Behandlung von zerebralen Metastasen richtet sich nach Anzahl, Größe und Lokalisation, andererseits nach dem Allgemeinzustand des Patienten und dem Stadium der onkologischen Erkrankung. Auch die Histologie kann hinsichtlich Strahlen- und Chemosensibilität zusätzliche Entscheidungshilfen einbringen. Die Heterogenität der Patientengruppen macht einen Vergleich verschiedener Therapiestrategien schwierig und spiegelt sich in den teilweise kontroversen Ergebnissen verschiedener Studien wider.
Aus verschiedenen Multivarianzanalysen gehen unterschiedliche prognostische Faktoren hervor, wie der Karnofski-Performace-Status (KPS) >70% (WHO 0–I), das Alter (<60 bis 65a), kontrollierter Primärtumor, keine anderen als zerebrale Metastasen (solitär). Weitere prognostische Faktoren sind die kognitive Funktion, Histologie wie z.B. Mammakarzinom, weniger als drei Metastasen, supratentorielle Lokalisation und das Ansprechen auf Steroide.

Aus diesem Grund hat die RTOG (Radiation-Therapy-Oncology-Group) in einer Metaanalyse aus verschiedenen prognostischen Faktoren 3 Gruppen mit unterschiedlicher Prognose zusammengestellt (Tab. 3). Dabei unterscheiden sich die Gesamtüberlebenszeiten der jeweiligen Patientengruppen (Gruppe 1: 7,1 Monate, Gruppe 2: 4,2 Monate und Gruppe 3: 2,3 Monate). Diese Einteilung in RPA-Gruppen I–III wurde mittlerweile in mehreren Studien validiert.

Diese Einteilung sollte für das therapeutische Vorgehen eine Entscheidungshilfe darstellen. Je höher die RPA-Klassifizierung und je besser damit die Prognose der Patienten, desto eher ist ein multimodales, aggressiveres Vorgehen gerechtfertigt.

Neben den supportiven Maßnahmen gegen Kopfschmerz, epileptische Anfälle, vasogenes Hirnödem, Thromboseprophylaxe, Antibiotika (PCP), aber auch rehabilitativen Maßnahmen zur Stärkung der Restfunktionen, kommen die therapeutisch-konventionelle Chirurgie, Strahlentherapie und stereotaktische Radiochirurgie sowie verschiedene Chemotherapien zum Einsatz.

Spezielle therapeutische Optionen

WBRT (Ganzhirnbestrahlung)
Die Whole Brain Radiotherapy (WBRT) wird auch heute noch am häufigsten im adjuvanten Setting bei zerebralen Metastasen eingesetzt. Eine Dosis von 30–40Gy in max 2Gy-Fraktionen scheint am Geeignetsten. Über den Stellenwert der Post-OP-WBRT liegen unterschiedliche Ergebnisse vor.

Eine Ausnahme sind beispielsweise zerebrale Metastasen von kleinzelligen Bronchuskarzinomen, die bekannterweise sehr sensibel sowohl hinsichtlich Strahlen- als auch Chemotherapie sind. Hier wird im Allgemeinen auf einen operativen Eingriff verzichtet. Auch eine primär prophylaktische WBRT ist bei Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinomen Standard.

Eine rein palliative WBRT wird vor allem bei Patienten mit schlechten prognostischen Faktoren durchgeführt (z.B.: RPA III).

Radiochirurgie
Die stereotaktische Radiochirurgie (LINAC, gamma-knife) wird vor allem bei Metastasen mit maximalem Durchmesser von weniger als 3cm (singuläre und multiple <3) angewendet. Zusätzlich stellt die Radiochirurgie eine Alternative für operativ schwer zugängliche Metastasen dar. Die Strahlensensitivität des Tumors spielt bei dieser Technik eine untergeordnete Rolle.

Auch das „Salvage“-Konzept im Sinne einer wiederholten Bestrahlung gewinnt zunehmend an Bedeutung.

Neurochirurgie
Sowohl bei singulären als auch solitären Hirnmetastasen sollte eine operative Entfernung angestrebt werden, sofern die onkologische Grunderkrankung kontrolliert ist. In jedem Fall aber bei Metastasen von >3cm Durchmesser, wenn von der klinischen Gesamtsituation und vom operativen Zugang ein neurochirurgisches Vorgehen sinnvoll erscheint (RPA-Klasse I–II). Die postoperative WBRT ist weit verbreitet, die diesbezüglichen Studienergebnisse sind allerdings kontroversiell. Auch bei multiplen Hirnmetastasen kann ein neurochirurgischer Eingriff sinnvoll sein, etwa bei strategisch ungünstiger Lokalisation (hintere Schädelgrube), unklarer Dignität sowie generell bei Patienten der RPA-Klasse I.

Sollte eine Histologiegewinnung im Vordergrund der Überlegungen stehen, kann auch eine stereotaktische Biopsie durchgeführt werden.

Chemotherapie
In den letzten Jahren gibt es zunehmend Hinweise für die Effektivität verschiedener chemotherapeutischer Regime für zerebrale Metastasen von SCLC, NSCLC, Mammakarzinomen, Keimzelltumoren und Melanomen. Auf die einzelnen chemotherapeutischen Regime kann hier nicht näher eingegangen werden. Aus der bisherigen Studienlage ergeben sich jedoch folgende Hinweise:

• Chemotherapie ist wirksamer bei „de novo“ diagnostizierten Hirnmetastasen.

• Die BHS ist bei zerebralen Metastasen gestört, wodurch die BHS-Permeabilität chemotherapeutischer Substanzen nicht allein ausschlaggebend ist.

• Metastasen sprechen ähnlich auf Chemotherapien an wie der Primärtumor.

• Mit jedem weiteren chemotherapeutischen Schema sinken die Ansprechraten.

• Durch die Kombination von Radiotherapie und Chemotherapie erhält man höhere Ansprechraten, jedoch auch höhere Neurotoxizität.

Management

Sollte die zerebrale Bildgebung den Verdacht auf eine Metastase ergeben und kein Primärtumor bekannt sein, ist als erster Schritt eine Histologiegewinnung anzustreben.

Hinsichtlich des bereits zu Beginn einzuleitenden supportiven Managements ist Dexamethason das Steroid der Wahl für die Behandlung des tumorassoziierten vasogenen Ödems. Die biologische Halbwertzeit von 24–36h macht die einmalige morgendliche Verabreichung ausreichend. Die Dosis richtet sich nach der Ausprägung der neurologischen Symptome. Dosisunterschiede von 4mg bis zu 100mg bei Einklemmungsgefahr kommen zur Anwendung. Aufgrund der schwerwiegenden Nebenwirkungen von Steroiden sollte die Dosierung so schnell wie möglich der Klinik entsprechend reduziert bzw. ausgeschlichen werden, aber auf jeden Fall ist die konkomitante Gabe von Protonenpumpeninhibitoren zu empfehlen. Der Rückgang des vasogenen Ödems kann radiologisch bereits nach 12 bis 72h nach Beginn der Steroidtherapie beobachtet werden und entspricht auch dem Zeitrahmen der klinisch beobachtbaren neurologischen Verbesserung.

Antikonvulsiva sollten in der Regel nicht prophylaktisch verabreicht werden. Treten epileptische Anfälle auf, sollte eine antikonvulsive Therapie eingeleitet werden. Ein EEG kann bei unklarer Anamnese eine diagnostische Hilfestellung bringen. Die Vorgangsweise der antikonvulsiven Einstellung richtet sich nach den allgemeinen Richtlinien der medikamentösen Behandlung von Epilepsie. Enzyminduzierende Antikonvulsiva sollten jedoch aufgrund möglicher Interaktionen mit chemotherapeutischen Substanzen vermieden werden.

Nicht nur bei Patienten mit primären Hirntumoren, sondern auch bei Patienten mit zerebralen Metastasen ist eine erhöhte Inzidenz für thromboembolische Komplikationen beschrieben. Richtlinien hinsichtlich einer Antikoagulation bestehen allerdings nicht.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich über das weitere therapeutische Vorgehen feststellen: Eine Operation scheint sinnvoll bei bis zu drei zerebralen Metastasen, wenn der systemische Tumor kontrolliert und der Allgemeinzustand gut ist (WHO: 0–I, KPS>70%, RPA: I–II). Die stereotaktische Radiochirurgie hat ihren Stellenwert bei Patienten mit kleineren oder chirurgisch schwer zugänglichen Metastasen (<3–3,5cm Durchmesser). WBRT ist zu empfehlen bei Patienten mit singulären oder multiplen zerebralen Metastasen, die nicht für einen chirurgischen oder radiochirurgischen Eingriff in Frage kommen. Die WBRT nach Operation oder Radiochirurgie wird kontroversiell diskutiert, stellt jedoch in vielen Zentren den „Standard of care“ dar. Chemotherapien können auch initial bei chemosensitiven Tumoren zum Einsatz kommen. Insgesamt zeichnet sich jedoch ein Trend zu einer histologiespezifischen und den prognostischen Faktoren des individuellen Patienten angepassten Therapiestrategie ab.

Ein Überblick über das Management zerebraler Metastasen wurde vor kurzem auch von der European Federation of Neurological Sciences (EFNS) aufgestellt.

Literatur bei den Verfassern

Autor:
Dr. Stefan Oberndorfer, Prim. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Grisold, Abteilung für Neurologie, LBI-Neuroonkologie, Sozialmedizinisches Zentrum Süd – Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien
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