Thema: Engel
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Alt 26.05.2003, 22:37
Gast
 
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Standard Engel

Hallo,
manchmal bin ich so überrascht von Euren Worten. Weil Ihr genau das ausdrückt, was ich auch fühle und denke. Das tut gut, weil ich dann weiss, daß meine Gedanken nicht falsch sind und daß ich verstanden werde (wenn auch nicht immer von den Menschen um mich herum)
Die Schmerzen, die wir empfinden, ähneln sich so sehr, und wir wissen alle, daß die Schmerzen, die unsere Engel ertragen mussten, viel schlimmer waren als unsere eigenen jetzt.

Lieber Jörg,
genau wie Du war ich mir sicher, daß ich zwar meine Mutter nicht loslassen wollte, aber noch mehr wollte ich, daß für sie die Zeit der Schmerzen endlich aufhört. Vielleicht habe ich mich deshalb kurz nach dem Tod meiner Mutter so befreit gefühlt.
Ich habe die Beerdigung und das ganze Drumherum ganz leicht organisieren können, ganz allein. Weil meine Grosseltern nicht in der Lage waren, mir zu helfen und meine Kräfte noch ausreichten.
Das war okay, weil ich mich so gefreut hatte, daß meine Ma nie wieder Schmerzen haben wird. Keiner hatte wirkich mitbekommen, wie stark die Schmerzen waren (manchmal bis zur Bewusstlosigkeit, weil durch die Hirnhautmetastasen die Nervenenden gereizt wurden) und es gab viele Leute, die nicht verstehen konnten, warum ich auf der Beerdigung gar nicht so einen niedergeschlagenen Eindruck gemacht habe, wie gewünscht...

Vielleicht haben wir das mit dem Loslassen so gut hinbekommen, weil wir uns vollständig zurückgenommen haben. Wir waren nicht wichtig, wichtig war nur derjenige, dessen Leben nur noch einen kleinen Moment lang andauerte. Ja, so langsam kommt bei mir das Gefühl von Alleinsein und ich fühl mich zur Zeit oft genug richtig mies, aber wenn ich an die Schmerzen meiner Mutter denke, dann geht es mir noch gut.
Und irgendwann geht dieses Gefühl von Leere und Sinnlosigkeit auch vorbei, hoffe ich, weil ich mich wieder meinem eigenen Leben zuwenden will. Aber das ist nicht so einfach, dafür habe ich im letzten Jahr zuviel von meinem eigenen Leben aufgegeben. Gerne, sehr gerne, weil ich meine Mutter nie alleine gelassen hätte. Und weil ich weiss, daß sie auch für mich da gewesen wäre.

Liebe Jenny,
ich bin mir sicher, daß da noch Verständigung zwischen Euch beiden war. Ärzte wissen auch nicht immer alles und in solchen Momenten zählt weder medizinisches Fachwissen noch rationale Einstellung.
Doch, es war gut, daß Du ihn freigegeben hast, auch wenn sich das vielleicht jetzt richtig blöd anhört. Ich habe mir kurz nach dem Tod meiner Mutter grosse Vorwürfe gemacht, weil ich sie am Tag vorher ins Krankenhaus habe bringen lassen. Meine Oma (die andere Oma, ich hab ja zwei davon, auch, wenn sich die eine gar nicht mehr meldet :-()rätselte nach der Beerdigung, ob ich meiner Ma vielleicht mit dem Transport in die Klinik "mitgeteilt" habe, daß sie jetzt sterben soll. Klasse, oder? Da soll man keine Schuldgefühle entwickeln....!
Was ich Dir damit sagen will (auf meine etwas verwirrende Art ;-)) ist, daß Du stolz auf Dich sein kannst, weil Du den Mut und die Kraft hattest, Dein Leben jetzt ohne ihn zu verbringen und ihm den Frieden und die Schmerzlosigkeit zu schenken, die er verdient hat.

Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend, und hoffe, daß morgen früh überall mal wieder die Sonne scheint...

Viele Umarmungen und ganz viel Kraft,
liebe Grüsse
Sandra
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