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Alt 19.07.2007, 12:27
Anemone Anemone ist offline
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Standard AW: Bin durch einen lieben Freund auf eine Idee gebracht worden

Hallo alle zusammen,
nein, allein sind wir wirklich nicht!!
Als ich Eure Beiträge gelesen habe, konnte ich nur denken: Genau so isses. Warum ziehen sich so viele unserer Bekannten oder Freunde von uns zurück? Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich meine, es ist einfach so, dass wir das lebende Beispiel dafür sind, wie es ja wohl allen irgendwann einmal gehen wird: alleine zurückbleiben. Wer will daran schon gerne erinnert werden? Man verdrängt doch solche Gedanken so gerne.
Ein guter Freund meines verstorbenen Mannes drückte es einmal so aus: Wir wünschen uns ja alle, dass wir - wenn wir beide so um die 90 sind - abends noch gemeinsam schlafen gehen, und am nächsten Morgen wachen wir dann beide einfach nicht mehr auf.
Ein wunderschöner Wunschtraum, nicht wahr? Leider hat das Leben es so nicht vorgesehen.
Auch viele meiner Bekannten haben sich zurückgezogen. Ein paar wirkliche Freunde sind mir geblieben. Aber auch die haben Probleme, mit dem Thema Tod umzugehen.
Meinem lieben Mann und mir blieben nach der niederschmetternden Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs noch 9 Monate. Monate, die uns Zeit gaben, uns voneinander zu verabschieden. Monate, in denen unsere Familie sehr eng zusammenrückte. Kinder, Schwiegerkinder und 3 Enkel (damals 6, 6 und 8 Jahre alt). Freunde besuchten uns oft ganz spontan, einfach nur um zu sehen, wie es uns geht.
Nun ist mein lieber Schatz schon 1 1/2 Jahre nicht mehr bei mir. Man erwartet von mir, dass es mir jetzt wieder gut geht. "Man", das sind Menschen, die - ein Glück für sie - noch nicht erlebt haben, wie es ist, wenn man das Liebste verloren hat. Habe ich in meinem früheren Leben nicht auch so gedacht? Sätze wie: Das Leben geht weiter - es war besser so - habe ich bestimmt auch irgendwann einmal von mir gegeben. Nein, es war nicht "besser so". Besser wäre gewesen, er wäre nicht krank geworden, er wäre nicht gestorben.
Nein, das Leben geht nicht weiter! Natürlich, DAS Leben im allgemeinen geht wohl weiter. Aber MEIN Leben, war das Leben mit meinem Mann, und das ist unbarmherzig und endgültig vorbei. Und ich muss mir jetzt ein neues Leben aufbauen ohne ihn, und das kostet mich so unendlich viel Kraft.
Nein, die Trauer ist nicht so einfach vorbei, nach 6, 12 oder was weiß ich wieviel Monaten. Aber das wissen nicht mal Mediziner, die vielleicht doch ein wenig mehr Ahnung vom Zusammenhang zwischen Körper und Seele haben sollten.
Ich war im Mai wegen Herzproblemen im Krankenhaus. Da mein Herz organisch völlig gesund ist, fragte mich der Arzt: Hatten Sie in den letzten Tagen eine besondere Stress-Situation? Ich: Die beiden letzten Jahre waren aufgrund der Erkrankung meines Mannes und seines Todes eine einzige Stress-Situation für mich. Er: Ach nee, wenn Ihr Mann schon im letzten Jahr gestorben ist, dann kanns daher nicht kommen.
So einfach ist das. Wenn er nun denn mal gestorben ist, steht dir vielleicht ein Jahr Trauer zu, und dann hast du dich gefälligst damit abzufinden und musst zur Tagesordnung übergehen.
Ich habe mich, seit mein Mann nicht mehr bei mir ist, noch nie so einsam und so verletzt gefühlt wie in den paar Tagen im Krankenhaus (obwohl meine Kinder jeden Tag zu Besuch waren).
Ich habe mich in diesem neuen Leben, das mir durch den Tod meines Mannes aufgezwungen wird, auch noch nicht wirklich zurecht gefunden. Mir kommt diese Trauer oft vor wie ein hoher Berg, den man besteigen muss. Manchmal denkst du, oh, da vorne wirds heller, jetzt bin ich bald oben. Und dann kommt eine Kurve, und du siehst, dass es dahinter weiter steil bergauf geht. Aber irgendwann wird man schon oben angekommen sein und den Blick auf einen neuen Horizont frei haben.
Ich habe im ersten Jahr nach dem Tod meines Mannes viele Reisen unternommen, bin bis ans andere Ende der Erde nach Neuseeland und Australien gereist. Das Unterwegs-Sein war gut für mich, war für mich ein Teil meiner Trauer-Bewältigung. Aber letzten Endes war es auch Flucht. Flucht vor dem Alleinsein, dem leeren Haus, den Erinnerungen.
Ich habe mittlerweile realisiert, dass Flucht keine Lösung ist. Was ich auch realisiert habe, ist die Tatsache, dass ich die Trauer irgendwie alleine durchleben und durchleiden muss. So, wie mein Schatz seine tödliche Krankheit alleine durchleiden musste. Ich war bei ihm bis zu seinem Ende mit all meiner Liebe und meiner Fürsorge, aber ich konnte ihm die Krankheit nicht nehmen.
Wir können hoffen, dass wir in unserer Trauer Menschen finden, die uns verstehen (dieses Forum ist ein guter Weg dafür).
Ich hoffe, dass ich jetzt nicht zu viel gequasselt habe, aber es tut manchmal gut. Ich würde mich sehr über eine Reaktion von Euch freuen.
Viele liebe Grüße,
Anemone

P.S. Ich bin 62, in Rente, habe erwachsene Kinder (eine Tochter, einen Sohn und 3 Enkel - 8, 8 und 10 Jahre alt)
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