Einzelnen Beitrag anzeigen
  #9  
Alt 22.08.2007, 11:23
Anemone Anemone ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 24.11.2005
Beiträge: 530
Standard AW: Dieser unendlicher Schmerz wird immer größer!!

Hallo liebe Katrin,
lass Dich einfach mal umarmen. Ich kann so gut mit Dir fühlen. Lass Dir von nichts und niemandem vorschreiben oder raten, wie Du Deine Trauer durchleben und durchleiden sollst. Unsere Umwelt - d.h. meistens Menschen, die (welch ein Glück für sie!) noch keinen lieben Menschen durch die Hölle einer Krebserkrankung bis zum Sterben begleitet haben, sehen uns halt gerne stark. Weil sie nicht umgehen können mit unserem Leid, unseren Tränen. Wir haben ein Recht auf diese Tränen, ein Recht darauf, zu trauern.
Mit dem Begriff "Loslassen", der so oft von wohlmeinenden Menschen erwähnt wird, konnte und kann ich auch nicht viel anfangen. Ich habe doch meinen allerliebsten Menschen schon loslassen müssen! Er musste unbarmherzig und unwiederbringlich von mir gehen. Was bitte, soll ich nun noch "loslassen"?? Meine Erinnerungen, unsere Träume?? Ich kann und will das nicht.
Jemand in diesem Forum hat die Trauer einmal mit einem Tier verglichen. Es ist ständig bei uns. Manchmal trottet es brav neben uns her, liegt still in einer Ecke. Dann wieder springt es uns ganz plötzlich an, fetzt uns kurz und klein, bis wir glauben, diesen Schmerz nicht mehr ertragen zu können. Ich dachte auch, nach einem Jahr wird das alles besser, man spricht doch nicht umsonst vom "Trauerjahr".
Bei mir sind es nun schon fast 20 Monate, die ich ohne meinen lieben Mann lebe. Ist es besser geworden? Nein, eigentlich nicht. Anders ist es. Die Attacken des "Trauertiers" sind seltener geworden, manchmal kann ich mich schon wieder ein wenig freuen über etwas Schönes. Das ist für mich schon ein Fortschritt, den ich dankbar zur Kenntnis nehme.
Aber die tiefe Traurigkeit ist immer noch da. Kein Tag, an dem mein erster Gedanke nicht der an meinen Schatz ist, kein Tag, an dem ich ihn nicht schrecklich vermisse, kein Abend, an dem mein letzter Gedanke vor dem Einschlafen nicht ihm gilt
Ich habe im ersten Jahr nach seinem Tod viele Reisen unternommen, wahrscheinlich mit der Hoffnung, dass mir der Abstand von zu Hause irgendwie hilft. Mittlerweile weiß ich: Es waren Fluchten, und das Nachhausekommen in das schrecklich leere Haus war jedes Mal der pure Horror.
Ich habe, genau wie Du, liebe Freunde, die sich um mich kümmern. Außerdem noch fabelhafte (erwachsene) Kinder und süße Enkelkinder.
Natürlich bin ich dankbar für all die lieben Menschen - ohne sie wäre meine Hölle wahrscheinlich noch viel schwärzer. Das geht Dir sicher auch so, aber: sie alle können uns nur begleiten - die Trauer müssen wir alleine durchleben und durchleiden. Doch wir sollten immer die Hoffnung haben, dass der Schmerz erträglicher wird und eines Tages die schönen Erinnerungen stärker sind als dieser Schmerz. Diese Hoffnung lässt mich die dunklen Tage irgendwie ertragen. Ich glaube einfach fest daran, dass mein Leben weitergehen wird, und wir uns wiedersehen, wenn auch für mich der Vorhang fällt.
Liebe Katrin, gibt es bei Dir in der Nähe eine Trauergruppe oder sowas ähnliches? Ich gehe ein Mal im Monat zu solch einem Treff, und es hat mir schon ein wenig geholfen, mit Frauen zu reden, die in der selben Situation sind wie ich. Wir sind zu sechst (im Alter zwischen 45 und 65 Jahren). Das wäre natürlich für Dich nicht die richtige Altersgruppe, aber vielleicht sieht es in anderen Gruppen ja ganz anders aus.
Ich wünsche Dir von ganzem Herzen, dass Du bald aus dem ganz tiefen Loch herausfindest und grüße Dich ganz lieb.
Anemone

P.S. Habe gerade ein Buch gelesen, das unsere Situation gut beschreibt. Es heißt:
Kein Abend mehr zu zweit - Familienstand Witwe
Die Autorin heißt Uta Schlegel-Holzmann (Gütersloher Verlagshaus)

Sie beschreibt sehr gut den Schmerz, die Ohnmacht und die Wut. Aber auch das allmähliche Nachlassen dieser Gefühle und das Mutschöpfen, das irgendwann mal wieder da sein wird.
Mit Zitat antworten