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Alt 25.08.2007, 13:56
Michael_D Michael_D ist offline
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Standard Behandlung Nicht-Kleinzeller mit Nexavar

Liebe Forumsgemeinde,

die "Älteren" werden sich gut an mich erinnern, weil ich in den Jahren 2005 und 2006 wohl recht viel geschrieben habe, doch auch heute melde ich mich auch noch ab und an zu Wort.

Weil ich ab und an noch E-Mails bekomme und Anfragen, wie es bei uns so läuft, wollte ich mal wieder ein Lebenszeichen geben, zumal es definitiv Neues zu berichten gibt.

Noch einmal kurz zusammengefasst die Krankenhistorie meiner Mutter:

Erstdiagnose 1/2004, Adeno-Karzinom in der rechten unteren Lunge, Operation in 2/2004, Ergebnis pT2N1M0, danach kombinierte Radio-Chemo (Cisplatin/Etoposid, 3 Kurse). Nach der Reha wurde ein maligner Pleuraerguß festgestellt, es folgte ab 8/2004 eine Zweitlinientherapie Taxotere (Docetaxel), abgebrochen in 11/2005 wegen Progress (erste Metastasen auf der bisher gesunden, linken Lungenseite). Danach Teilnahme an einer Therapiestudie mit dem EGFR-Hemmer "Iressa" (Gefitinib) - Abbruch in 4/2005 wegen Progress. Danach Pleurodese, weil der Erguß immer schlimmer wurde. Im Anschluß ab 5/2005 Therapieversuch mit Alimta (Pemetrexed); durch diese konnte eine recht gute Stabilisierung der Erkrankung bei recht guter Lebensqualität erreicht werden. In 11/2006 Einweisung ins Krankenhaus wegen schwerer Lungenentzündung, dabei wurde auch ein Progress der Erkrankung festgestellt - Abbruch Alimta (in 12/2006). Im Anschluss wiederum 4 Kurse (2/2007 bis 5/2007) Cisplatin/Gemzar, um die Erkrankung noch einmal zurückzudrängen - erfolglos, unter der Behandlung Anstieg des Tumormarkers sowie Auftreten einer Hautmetastase.

An diesem Punkt haben wir natürlich sehr lange überlegt, ob und wie wir mit der Behandlung weiter verfahren. Meine Mutter hatte zu diesem Zeitpunkt immer mehr Husten, sie hat abgenommen, und war darüberhinaus von einer deutlichen Fatigue geplagt (die dann aufgrund von Epo sowie nach Beendigung der Cisplatin-Therapie wieder etwas besser wurde). Weiterhin hatte sie oft hohe Entzündungswerte, so daß davon auszugehen ist, daß sich ständig in ihrer Lunge entzündliche Prozesse abspielten.

Da sie aber trotzdem noch immer relativ fit war - so machte sie den Haushalt weitgehend selbständig, fuhr zum Einkaufen, kochte usw. - fiel uns die Entscheidung letztlich leicht, nach neuen Behandlungswegen zu suchen. Die Entscheidung fiel letztlich zwischen eine Navelbine (Vinorelbin) Therapie, oder, wie ein Onkologe, den ich zwischenzeitlich kennenlernen durfte, es ausdrückte: "sportlichen Herangehensweise".

Durch Recherche im Internet und aufgrund einer Empfehlung von Herrn Dr. Gatzemeier vom Klinikum Großhansdorf sind wir auf das neue Medikament Nexavar (Sorafenib) gestoßen. Um es mit meinem laienhaften Verständnis einmal zu erklären: Sorafenib ist ein sogenannter Multi-Kinase Inhibitor (während zum Beispiel Tarceva (Erlotinib) ein selektiver Inhibitor der Tyrosinkinase-Domäne des EGF-Rezeptors ist). Sorafenib greift den Tumor sozusagen von zwei Seiten an: Es inhibiert die Raf-Kinase und führt somit zu einer verminderten Zellteilung des Tumors mit einer verringerten Proliferation, und zugleich reduziert es Tumorangiogenese, d.h. die Blutgefäßentstehung des Tumors aufgrund einer Inhibierung der Tyrosinkinasen. Im besten Fall werden die Tumoren sozusagen von innen "ausgehungert". Ein Mittel, welches auf einem ähnlichen Wirkprinzip basiert, ist das Avastin (Bevacizumab), welches nun für Lungenkrebs in der Erstlinientherapie zusammen mit einer Platintherapie zugelassen ist. Nach meinem Verständnis geht Sorafenib aufgrund der Inhibierung der Raf-Kinase noch einen Schritt über die Angiogenesehemmung hinaus.

Am 7. Juli 2007 haben wir nun mit der Gabe von Nexavar begonnen, täglich insgesamt vier Tabletten (2x 2x 200mg, also 800 mg am Tag). Am vergangenen Donnerstag (23.08.2007) haben wir nun das erste CT nach Therapiebeginn gemacht.

Zu unserer großen Überraschung zeigt sich eine deutliche Verbesserung des Bildes: kleinere Metastasen sind größenreduziert, größere Herde sind "von innen hohl" - genau der erhoffte Effekt, den ich oben beschrieben habe. In Anbetracht der massiven Vorbehandlung - es handelt sich schließlich um eine überaus seltene "Sechstlinien-Therapie" - stellt dieses Ergebnis schon fast ein kleines Wunder dar. Das ist viel mehr, als wir uns erhoffen konnten und eröffnet uns die Perspektive auf einen weiteren Zeitgewinn.

Zugleich möchte ich Euch auch nicht eine ganze Reihe von "Abers" nicht verschweigen:

1. Nexavar hat keine Kassenzulassung!

Nexavar ist bisher ausschließlich für das Nierenzellkarzinom zugelassen, soweit ich weiß, läuft das Verfahren für Leberkrebs. Beim nichtkleinzelligen Lungenkrebs ist eine Phase III Studie (also die "letzte" sozusagen) abgeschlossen, die Auswertung steht jedoch noch aus. Nach meiner Einschätzung könnte frühestens in 2008 (eher Ende als Anfang) mit einer Zulassung gerechnet werden. Wer vorher Nexar bekommen will bzw. natürlich in Absprache mit seinem Onkologen verordnet bekommt, muss das Mittel auf Privatrezept bekommen. Eine Packung Nexavar reicht für genau 28 Tage und kostet - nicht erschrecken - 4.485 EUR.

Man könnte - dies ist sozusagen meine Empfehlung - sich folgendermaßen helfen: man lässt sich Nexavar für zwei Monate auf Privatrezept ausstellen, und wenn es dann tatsächlich geholfen hat, kann man versuchen, die Verordnung von der Krankenkasse erstattet zu bekommen. An diesem Punkt sind wir derzeit; wir haben es zuvor selbst bezahlt und versuchen nun, es zukünftig von der Krankenkasse erstattet zu bekommen. Wenn wir Glück haben, kriegen wir vielleicht die Ausgaben für die bisherigen Tabletten wieder.

So, wie ich höre, bezahlen Krankenkassen solche Therapien in "aussichtslosen Fällen", zu denen meine Mutter leider gehört. Im herkömmlichen Sinn ist sie "austherapiert", so dass der Einsatz von Naxavar noch eine gewisse Logik hat. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Krankenkassen mehr anstellen werden, wenn man zuvor kein Gemzar, Alimta, Tarceva, Taxotere usw. bekommen hat.


2. Nexavar ist kein Wundermittel!

Zur Zeit werden allerlei mit dem Sorafenib vergleichbaren Substanzen (Zactima und Sunitib) im Hinblick auf ihre Wirksamkeit beim NSCLC getestet - am weitesten ist man wohl beim Sorafenib (Nexavar). Zunächst einmal ist bis zur Auswertung der Phase III Studie die Datenlage recht dünn. Ich habe meine Entscheidung, meiner Mutter diese Therapie nahezulegen (denn entscheiden soll sie ja schließlich selbst!) eigentlich nur aufgrund der Phase II Studie von Gatzemeier et al. (2006) getroffen. Bei dieser waren insgesamt 59 Patienten eingeschlossen - nicht wirklich viele. Das durchschnittliche Überleben betrug gerade einmal 6,5 Monate, und eine Stabilisierung der Erkankung wurde bei 30 Patienten beobachtet. Eine "echte" Teilremission im sinne der etablierten RECIST-Kriterien wurde nicht beobachtet, jedoch die oben schon skizzierte Aushöhlung der Tumoren von innen. Nachdem ich gestern mit dem Onkologen telefoniert habe, den ich in Sachen Nexavar kennengelernt habe und der wohl selbst auch Studien durchgeführt hat, sagte dieser mir, daß er selbst noch keine derartig positive Entwicklung wie bei meiner Mutter erlebt hat.

3. Nexavar hat heftige Nebenwirkungen!

Wer sich näher mit den Nexavar-Nebenwirkungen befassen will, soll einmal einen Blick ins Nierenkrebsforum werfen. Dort habe ich einiges von Nierenzellkarzinompatienten gelesen, die mit Nexavar behandelt werden. Leider sind die Nebenwirkungen in der Tat sehr heftig und von ihrer Schwere definitiv mit Chemo vergleichbar. Meine Mutter bekam sofort heftigen Durchfall, der sie auch heute noch (in zum Glück etwas milderer Form) quält. Weiterhin fühlt sie sich ständig schlapp, hat keinen Appetit, verliert weiter an Gewicht. Sie verliert weiter Haare (nachdem ihr Haarschopf nach Cisplatin/Gemzar eh' schon nicht gerade üppig war). Besonders heftig war ein Ausschlag, der quaddel-artig ihren ganzen Körper überzogen hatte. Zum Glück ist dieser besser geworden. Eine weitere, sehr unangenehme Komplikation ist das sog. Hand-Fuß-Syndrom, welches sich bei meiner Mutter zum Glück nur schwach ausgebildet hat.

Die wohl gefürchtetste Komplikation ist jedoch die Gefahr tötlicher Blutungen: Es ist wohl so, dass es manchmal zu Einblutungen in die ausgehöhlten Tumoren kommt (besonders gefährdet sind hier wohl eher Plattenepithelkarinome im Vergleich zum Adeno). Tatsächlich ist wohl auch ein Patient, den Gatzemeier in seiner Studie hatte, kurz nach Beendigung an einer Blutung gestorben (gefährlicher ist hier wohl jedoch noch das Zactima).



Wir sind sehr glücklich, daß uns Nexavar derart gut geholfen hat - und das nach all dem Horror, den wir bisher durchlitten haben. Vielleicht konnte ich dem ein oder anderen von Euch auch eine Anregung geben, sich einmal mit Nexavar zu beschäftigen.

Für Rückfragen - per E-Mail oder per Telefon - stehe ich jederzeit gern zur Verfügung!

Beste Grüße,
Michael
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