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Alt 31.08.2007, 12:06
Tristanne Tristanne ist offline
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Standard AW: Mami - jetzt bist Du frei

Liebe Wahey,

ich danke Dir so sehr und ich drücke Dich ganz ganz fest zurück. Mein tiefes Mitgefühl für Dich - ich fühle auch, was Du durchmachst.

Wie ihr sind wir auch in ein Hospiz gegangen. Genau wie Du das Sterben Deines Vaters erlebt hast - danke , daß Du es erzählt hast, ich habe es unter Tränen gelesen - war es auch für mich ein Geschenk, beim Sterben dabei sein zu dürfen und die Hand meiner Mutter zu halten, meinen Kopf auf ihre Schulter zu legen, ihr etwas zuzusprechen. (Leider konnte ich wie Du nicht so viel sprechen, weil mein Hals wie zugeschnürt war). Ich habe sie an schöne Dinge aus ihrer Kindheit erinnert, die sie mir immer erzählte. Wie sie als Kind durch die Kornfelder lief und stundenlang auf dem Rücken im Gras lag und die Wolken beobachtet hat.
Ich konnte ihr den letzten Wunsch erfüllen, nicht im Zimmer zu sterben. Sie war doch immer draußen in der Natur und unterwegs. Daß sie fast 2 Monate ans Bett gefesselt war (Metastasen in der Wirbelsäule, im Rückenmark, Osteolysen im Becken, in den Hüftgelenken, Lähmung der Beine) war die schlimmste Qual für sie.
Wir haben sie raus auf die Terrass gebracht. Dort verbrachten wir ca. 2 Stunden. Als sie vorher mit letzter Kraft sagte, daß sie raus wollte (sie hat ja kaum noch Luft bekommen und Sauerstoff und auch Morphin abgelehnt an diesem Tag abgelehnt), wußte ich, daß es soweit sein sollte und daß sie bewußt sterben wollte.
Ich habe ich ihr die Wolken am Himmel beschrieben. Durch die Hirnmetastasen konnte sie nicht mehr sehen, aber sie hat den Wind gefühlt - es war ein sehr schöner Sommerabend. Sie hatte keine Angst und hat sich hingegeben, das Atmen wurde ganz langsam immer weniger. Es war nichts Erschreckendes, nichts Gruseliges, gar nichts Schlimmes. Und vorher hatte ich soviel Angst. Ich habe sogar zu meinem Freund, der es noch geschafft hatte, zu uns zu kommen, gesagt: "Bist Du sicher, daß Du bleiben willst?", weil ich ihm "das" (eventuelle Todeskämpfe) nicht zumuten wollte. Er blieb und er war hinterher so dankbar, dabei sein zu dürfen und war überwältigt. Genau wie ich. Mamis beste Freundin war vorher noch da und hat Mami eine "Gute Reise" gewünscht. So konnten alle ihr Nahstehenden Abschied nehmen.
Meine Mutter hat mir Mut gemacht. Bei all der Traurigkeit bin ich unendlich stolz auf meine Mutter, daß sie mir so etwas Großes mitgegeben hat. Der Hospizarzt sagte, das sei Selbstbestimmung gewesen, entsprechend des Hospizgedankens. Im Krankenhaus hätte man ihr Leben unter Umständen noch künstlich verlängert. Freitag, der 13. Juli, als die Krankenhaus-Ärzte Mami aufgegeben haben und ich sie am 16. Juli in ein Hospiz bringen mußte, war der schlimmste Tag. Doch sie konnte dort in Würde sterben.
Nach dem Tod ist sie noch so liebevoll geschmückt worden, mit bunten Gartenblumen in der Hand. Rosen waren ihr immer zu pompös.. Eine Schwester ist daraufhin in den Hospiz-Garten gegangen und hat dort einen Strauß für sie gepflückt. Ich habe dann noch bis spät nachts bei ihr gesessen. Die Atmosphäre im Raum war irgendwie erhaben, so als wäre ihre Seele noch nicht ganz fort. Sie sah so entspannt aus, als wäre sie nie krank gewesen. Mein Freund meinte, sie sah wieder aus wie früher, doch ich fand sie noch schöner, wie sie in Frieden ruhte....
Heute bin ich genau 4 Wochen in Trauer. Ich vermisse meine Mami unendlich und es tut so grausam weh.
Doch jetzt finde ich auch Worte und wollte diese Erfahrung mit euch teilen. Bestimmt würde sich meine Mutter darüber freuen, daß ich euch jetzt sagen möchte, daß das Sterben etwas Natürliches ist, wovor man keine Angst zu haben braucht. Ich glaube, daß jedes Sterben so individuell ist wie eine Geburt, wie die Person selbst, aber vielleicht hilft es euch ja ein wenig, den Tod eurer Liebsten, wenn er unvermeidbar bevorsteht, anzunehmen.

Tristanne

Geändert von Tristanne (18.10.2007 um 17:19 Uhr) Grund: ...
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