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Alt 02.10.2003, 14:21
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Standard Medienberichte

„Wie lange habe ich noch zu leben?“

Einen Beitrag zu dieser häufigen Patientenfrage hat Prof. Dr. med. Kurt Possinger in der Patientenzeitung der Berliner Charité veröffentlicht. Prof. Possinger leitet dort die Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie. Er hat uns freundlicherweise die Genehmigung erteilt, seinen Beitrag auch auf dieser Seite abzudrucken.



„Wie lange habe ich noch zu leben?“...höre ich nahezu täglich. Meine Erklärung, dass statistische Zahlenangaben im individuellen Fall nur wenig hilfreich sind, wird meist nur zögerlich geglaubt.

Bei diesen Zahlenangaben handelt es sich tatsächlich um Mittel- oder Medianwerte einer großen Anzahl vielfältigster Krankheitsverläufe unterschiedlichster Dauer. Die Dauer eines individuellen Krankheitsverlaufs ist somit nur sehr ungenau zu beschreiben. Die menschliche biologische Vielfalt bzw. Unterschiedlichkeit der individuellen Erkrankungssituationen ist eben so groß, dass sich neben sehr kurzen auch überraschend lange Krankheitsverläufe finden.



Denken Sie nur an die vielen Zitate aus der Regenbogenpresse: Die Ärzte haben mir nur noch wenige Monate zu leben gegeben und jetzt sind seitdem schon viele Jahre vergangen. Selbst bei Patienten mit sehr ungünstiger Prognose ist somit im Einzelfall auch ein sehr langer Verlauf möglich. Sicherlich kann jeder erfahrene Onkologe von Krankheitsverläufen berichten, die den statistischen Erwartungen völlig widersprachen.



Bei mir hatte sich so vor längeren Jahren eine junge Patientin mit Brustkrebs und neu diagnostizierten Lebermetastasen vorgestellt. Sie selbst und ihr Ehemann waren beide praktizierende Ärzte, die gerade eine eigene Praxis aufgebaut hatten. Auf Grund der Geschwindigkeit der Krankheitsausbreitung und des Ausmaßes der Lebermetastasierung gab sich die Patientin - nach Literaturlage - nur noch wenige Monate. Eigentlich nur auf Drängen Ihres Ehemanns stimmte sie schließlich einer zytostatischen Behandlung zu. Hierunter kam es zu einer vollständigen Rückbildung des gesamten Tumorgeschehens. Seither sind 15 Jahre vergangen, ohne dass es zu einem Wiederauftreten der Erkrankung gekommen ist.

Natürlich sind solche Verläufe selten, aber dennoch möglich. Es ist gut, zu wissen, dass selbst die heutzutage bestmögliche Risikoeinschätzung immer noch eine erhebliche Varianz der Krankheitsverläufe zulässt. Dies ermöglicht immer wieder Hoffnung, dass es im individuellen Fall vielleicht doch anders als bei anderen Patienten verläuft. Solche Hoffnung kann nicht nur die Überlebenszeit verlängern, sondern auch das Leben selbst inhaltsreicher gestalten. Mit freundlichen Grüßen.

Ihr Kurt Possinger
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von der Astra Seneka HP
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