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Alt 02.10.2008, 11:05
NTH NTH ist offline
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Standard AW: Das "normale" Leben ist nicht mehr normal, vor allem im Beruf

Liebe Ute,

ich möchte die Worte von Sonja nochmal bekräftigen.

Ich habe bis Anfang 2007 ca. 350 Stunden im Monat gearbeitet. Die meisten Projekte in der Begleitung von Langzeitarbeitslosen, zum Teil auch junge Mütter (mit all denen Problemen, die das Leben so hergibt und die ich mir vorher nicht hätte vorstellen können) - also auch mental belastend.

Am 9.1.2007 gegen 15 Uhr bin ich in der Uniklinik langsam wieder zu mir gekommen. Die Zeit ab 9 Uhr fehlt mir bis heute (obwohl ich bei vollem Bewusstsein war).
Man hat nichts körperliches feststellen können und ich bin auf eigene Verantwortung nach Hause.
Obwohl ich völlig erschöpft war, wollte ich am nächsten morgen ganz normal meine geschäftlichen Telefonate entgegen nehmen.
Eine starke Wortfindungsstörung hat mir da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber anstatt mich mal 4 Wochen komplett aus dem Verkehr ziehen zu lassen, bin ich jeden Tag an meine Grenzen gegangen ( das was eben in dem Zustand machbar war). Dies hatte zur Folge, dass ich bis September (!)
immer noch nicht richtig auf dem Damm war. Jede Kleinigkeit hat mich (nervlich) umgehauen.
Gedankt hat mir das niemand. Nicht mein Körper, nicht meine Kunden, erst recht nicht mein damaliger Geschäftspartner. Vielmehr hat er mir immer vorgeworfen, dass ich immer noch angeschlagen bin.

Seit Mai weiss ich, dass ich an BK erkrankt bin. Am Anfang wollte ich auch komplett weiter arbeiten.
Irgendwann hat es aber klick gemacht und ich habe kapiert, dass ich auch das Recht habe, krank zu sein oder etwas nicht zu können.
Und ich habe mit kleinen Schritten angefangen (z.B. nicht als erster melden, wenn ein Teammitglied Urlaub machen möchte und jemand einspringen muss).
Ich war dann ganz erstaunt, als ich gemerkt habe, dass es für meine Mädels ok ist, wenn ich sage, ich kann nicht.
Ich bin dann mutiger geworden und habe sogar gesagt, dass ich für ein Projekt, dessen Leitung ich hatte, nicht an der Pressekonferenz teilnehmen möchte. Die Tatsache, dass die Kundinnen damit gedroht hatten, sich vor der Presse über angebliche "Minderleistungen" von uns Trainern auslassen wollten, bereitete mir echt Stress ( weil ich wusste, dass wir uns den A..... für die Mädels aufgerissen hatten und nur noch die 3 Damen über waren, die so unflexibel wie eine Reihe Feldsalat waren und denen kein Job recht zu machen war). Und siehe da - das war für meinen Auftraggeber auch ok...

Mittlerweile bin ich, wie geschrieben, sogar soweit, dass ich in diesem Bereich derzeit gar nicht arbeite, weil das für mich emotional zu anstrengend ist.
Ich möchte meine Ruhe.
Mein Auftraggeber akzeptiert das und ich kann mich jederzeit wieder "zum Dienst" melden.

Ich finde nicht, dass es unprofessionell ist, wenn man nicht immer Distanz waren kann.
In meinem beruflichen Umfeld (was die Jugendhilfe betrifft) habe ich in all den Jahren niemanden getroffen, der das immer kann.


Ich finde es wichtig, dass du weisst, dass du das Recht hast, "nicht zu können" und du musst dich vor niemandem rechtfertigen, wieviel oder was oder warum.

Und wenn du eine gute Arbeitskraft bist, wird dein Chef schon froh sein dürfen, wenn er dich zu einem viertel oder halb wieder hat. Denn dass ist immer noch besser als "ganz weg".

Ich glaube, wir haben alle gerade andere Probleme, als vor irgendwelchen Chefs oder Auftraggebern ein schlechtes Gewissen zu haben (und das treibt uns ja letztendlich zu diesen "Gefühlen").


Sorry für den Roman, aber ich fand´s wichtig.

Viel Erfolg

Nicole
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