Einzelnen Beitrag anzeigen
  #13  
Alt 10.11.2008, 16:20
Stefans Stefans ist offline
Gesperrt
 
Registriert seit: 27.01.2007
Beiträge: 425
Standard AW: Hallo erstmal....

Hallo Susanne,

Zitat:
Zitat von Susanne85 Beitrag anzeigen
Ich habe kein Privatleben mehr. Und auch wenn mein Stolz diese Erkenntnis nicht gern zugibt: Ich bin überfordert.
(...)
Ich überlebe den Alltag nicht, wenn ich meinen Emotionen ständig freien Lauf lasse.
Ich finde überhaupt nicht, dass du "kalt" klingst. Und ich habe allerhöchsten Respekt für dich und dem, was du bei der Pflege deiner Muter leistest - und verstehe, wie sehr es dich belastet. So ein bischen weiss ich auch, wovon ich rede. Meine Frau hat "fortgeschrittenen" Brustkrebs, Chemo ist nur noch palliativ, aber sie ist nach längerem Klinikaufenthalt endlich wieder Zuhause; kann aber kaum noch was machen. So 1-2 Stunden täglich ist sie "auf", aber aus dem Haus gehen kann sie nicht mehr. Und weil sie gegen die Schmerzen Morphium hochdosiert bekommt, ist sie halt auch geistig nicht mehr ganz so "rege". Erinnerungslücken, Konzentrationsprobleme, usw.

Ich bin damit auch überfordert, weil schließlich vieles an mir hängen bleibt. Und man halt gegen die Krankheit "nichts machen kann" - ausser pragmatischer Hilfe bei Pflege, Arztbesuchen usw. Dabei bin ich nicht 50 Stunden die Woche bei der Arbeit, sondern kann mich ganz auf meine Frau konzentrieren. Trotzdem ist das mitunter zuviel. Auch aus dem Grund, den du nennst: als "Pflegende(r)" muss man wohl, um nicht zusammenzubrechen, seine Gefühle unterdrücken. Mir tut es z.B. immer in der Seele weh, wenn meine Frau davon spricht, was sie alles noch gerne tun möchte. Nichts Großartiges, keine Weltreise oder so. Nur, dass sie z.B. Weihnachten in ihre alte Heimat zu ihrer Familie möchte. Und es ist völlig klar, dass das nicht mehr geht. Sie weiss es, ich weiss es... Aber darüber Klartext zu reden und ihr diese Hoffnung auch noch zu nehmen - das bringe selbst ich nicht immer fertig.

Natürlich ist die Situation sehr schwierig, und als Angehörige(r) steht man oft allein da. Deswegen kann ich mich anderen hier nur anschließen: bleib so offen, wie du bist, und suche dir Hilfe !!! Das Schlimmste ist, in so einer Situation allein zu sein. Auf deine Familie kannst du wohl kaum rechnen, so wie du esbeschrieben hast. Aber es gibt Freunde und Bekannte - ruf' sie an und quatsch sie voll. Und die, die dir nicht helfen können, streichst du von deiner Liste. In Krisensituationen trennt sich halt schnell die Spreu vom Weizen, was die lieben Mitmenschen betrifft :-(

"Offensiv" zu handeln, wie du es getan hast, indem du anderen von der Finanzkrise erzählt hast, gehört dazu. Finde ich einen ganz wichtigen Schritt! Auch, wenn es deinen Stolz verletzt: es gibt vielerlei Hilfe - ob privat, ehrenamtlich oder "professionell. Aber wer nicht laut danach ruft, der wird halt auch nicht gehört :-/

Hat deine Mutter eine Pflegestufe? Wenn nicht, melde dich bei ihrer Krankenkasse und lass' den medizinischen Dienst kommen. Pflegestufe I sollte sie eigentlich bekommen. Ist zwar nicht viel, aber wenigstens entlastet das dich ein klein wenig im Alltag. Gibt es Freunde (deiner Mutter), die vielleicht mal "ehrenamtlich" Kleinigkeiten übernehmen? Etwa Einkaufen, Wäsche waschen o.ä. - scheint alles banal, kostet im Alltag aber viel Zeit und Kraft, die man als Angehöriger besser für wichtigere Dinge sparen sollte.

Was die Depression deiner Mutter betrifft, solltest du IMHO mit ihrem Hausarzt / Onkologen / Psychiater ein ernstes Wort reden. Auf dem Gebiet weiss ich leider aus Erfahrung recht gut Bescheid - und finde es schlichtweg unglaublich, dass man die Depris eines an Krebs sterbenden Menschen allen Ernstes mit Psychotherapie behandelt. Wenn da was hilft, dann ist es die psychopharmakologische Behandlung mit modernen Antidepressiva. Dem Arzt / Therapeuten, der in so einem Fall Psychotherapie verordnet, unterstelle ich schlichtweg einen massiven Behandlungsfehler. Kann man sich in D leider als Arzt noch erlauben. In den USA traut sich das kein Behandler mehr - die Regressansprüche der Betroffenen würden ihn arm machen. Und das völlig zurecht. Keine Sorge, moderne Antidepressiva vertragen sich mit Chemotherapie und harten Schmerzmitteln wie Morphium. Bekommt meine Frau auch alles.

Ganz wichtig finde ich zudem, dass _du_ dir Hilfe suchst, die über Freunde und Bekannte hinaus geht. Es ist leider so, dass in unserem Gesundheitssystem Angehörige kaum Beachtung finden (es sei denn, sie sparen der Pflegeversicherung Geld, indem sie Krankenplfege betreiben). Aber auch da gibt es Hilfe. Es gibt Psychotherapeuten, Psychoonkologen, gemeinnützige Einrichtungen, die Seelsorge leisten. Ob es nun die Diakonie ist, eine Selbsthilfegruppe, der kommunale sozialpsychiatrische Dienst, der eV der ambulanten Hospizbewegung vor Ort... Natürlich muss man da immer etwas suchen, bis man "den Richtigen" findet. Aber wenn man den findet, kann das wirklich eine große Erleichterung sein.

Niemand weiss, wie lange das Leid der Mutter noch andauert. Was aber ziemlich sicher ist: dass du das ohne fremde Hilfe langfristig einfach nicht mehr schultern kannst. Und wenn du damit allein bleibst, brauchst du dir auch keine großen Gedanken über das "Danach" zu machen. Weil du nämlich, sobald deine Mutter zu Grabe getragen wurde, ziemlich umgehend selbst zusammenbrechen wirst. Hört sich böse an, habe ich aber oft genug erlebt.

Ich bin mir aber sicher, dass es dir nicht so ergehen wird. Du hast die Fähigkeit, Hilfe zu suchen, und das Ganze irgendiwe zu "managen". Dass es trotzdem todtraurig ist, wenn man einem geliebten Menschen beim Sterben zugucken muss... das ist ein anderes Thema. Aber eines, das früher oder später wohl kaum jemandem erspart bleibt :-(

Viele Grüße,
Stefan