Einzelnen Beitrag anzeigen
  #5  
Alt 23.11.2003, 04:18
Gast
 
Beiträge: n/a
Standard Ungerechtfertigte Vorwürfe

Liebe Mia,

Ich denke, fast Alle von uns, die liebe Angehörige begleitet, verloren haben, finden sich in Deinen Gedanken wieder.

Wie die Vorgängerinnen schon sagten, darfst Du es nie auf Dich beziehen. Es war der Zorn, die Wut Deiner Mama, nicht über Dich, oder irgend etwas was Du getan oder nicht getan hast.
Sondern ihr Kampf mit sich selbst, die Achterbahn ihrer Gefühle, welche zum Ausdruck kamen. Sie wollte noch nicht gehen. Sie wollte noch ihre Träume und Wünsche erleben. Sie sah ihre Ohnmacht dagegen anzugehen. Sie wurde plötzlich zum "Kind" und konnte nicht mehr Mutter sein, und mußte sich von Dir versorgen lassen.
Ob die Angehörigen und Betroffenen sich in zwei Denkwelten befinden, da bin ich mir nicht sicher. Denn bekommt nicht Jeder auf seine Art und Weise die ganze Gefühlspalette? Hattest nicht auch Du gewaltige Wutgedanken, daß es gerade Deine Mutter traf?
Konnte dieser Krebs nicht jemand Anderes treffen? Die Gedanken sind ähnlich, doch bei Deiner Mutter mit einer unglaublichen Intensität, da sie gehen mußte.

Die Aggressionen sind im Grunde nicht gegen die umgebenden Menschen, dort werden sie nur ausgedrückt, denn wo sonst soll ein Betroffener diesen ungeheuren Druck, diese tiefe Angst loslassen können? Deine Mutter mußte sich mit ihrer Diagnose, Angst, Wut, Verzweiflung auf ihre Weise auseinander setzen.

Meine Mutter war oftmals auch sehr sehr ungerecht, unfair, wütend, zornig, anklagend, verletzend gegen mich. In jenen Momenten hat es mich getroffen, dennoch wußte ich, daß keiner ihrer Worte auf mich gemünzt waren. Sondern nur das Ventil war, um mit ihrer Gefühlsachterbahn einigermaßen umgehen zu können.

Denke einmal an Situationen in Deinem Leben, in denen Du Frust empfunden hast, Zorn in Dir aufgestiegen ist. Warst Du dann Deinem Umfeld gegenüber nur liebevoll, dankbar und freundlich gestimmt? Kamen da nicht auch harsche Worte Deinem Gegenüber zum Vorschein, die in jenem Moment Deiner Gefühlslage entsprangen, obwohl Du sie nicht so ausdrücken wolltest? Deiner Ohnmacht der Situation gegenüber Ventil verschafften?

Auch ich wünsche Dir von ganzem Herzen, daß Du beginnen wirst, diese Gedanken nicht als Angriff Dir gegenüber zu sehen, sondern, als Ausdruck Deiner Mutter in ihrer Verzweiflung loslassen zu müssen, Träume und Wünsche nicht mehr umsetzen zu können.

Falls Du die Kraft dafür nicht aufbringen kannst, hilft Dir eventuell auch eine Selbsthilfegruppe, oder ein paar Gespräche mit einem guten Psychotherapeuten, welche sich mit dieser Thematik befassen.

liebe Grüße
Jutta
Mit Zitat antworten