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Alt 20.02.2009, 18:02
Benny Benny ist offline
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Registriert seit: 20.02.2009
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Standard AW: Spätschäden nach Strahlentherapie

Hallo Detlef,

bei mir wurde mit 17 (also vor fast 31 Jahren) ein Hodenteratom festgestellt.
Hoden entfernt, Metastasen festgestellt, Lymphadenektomie, 32 Bestrahlungen im Y-Modell, eineinhalb Jahre Chemo mit Adriblastin, Vinchristin, Velbe, Bleomycin, Cisplatin in wechselnden Dosen und Zusammensetzungen.
Eigentlich gab es keinen Unterschied in den Aus-Wirkungen (KOTZEN!) zwischen der Bestrahlung und der Chemo. Die Zeit der Bestrahlung war nur kürzer. In der ganzen Zeit habe ich nur 6 kg Körpergewicht, aber meine ganze Kraft verloren (und davon hatte ich 'ne Menge!). Nie geraucht, kein Alkohol, 6 mal die Woche 1-3 Stunden Sport (Handball, Radfahren, Schwimmen, Kampfsport).
Die Chemo habe ich trotzdem nur mit kurzzeitiger Hilfe eines Psychotherapeuten und unter (zwangs-)verabreichtem Haldol (später Haloperidol genannt) durchgestanden. Damals waren die Prognosen noch nicht so rosig, sondern Fresse- und durch- halten angesagt. Sperma wurde noch nicht eingefroren, der verbliebene Hoden kaputtgestrahlt und eine Prothese war mir in dieser Situation sehr egal. In dieser Zeit hatte ich eine unglaubliche Unterstützung durch meine Familie, besonders von meiner Mutter. Das war wohl auch der ausschlaggebende Grund warum ich es als einziger von ca. 15 anderen in dieser Zeit überlebt habe.
Dann Behandlungsende mit zwei wichtigen Ansagen, die ich damals noch geglaubt habe.
1. Du kannst Deinen vorherigen Fitness-Zustand nie wieder erreichen
2. Du solltest nie wieder Sport treiben. Doch dazu später mehr.


Jetzt zu den Spätfolgen.
Nach 9 Jahren ein Astrozytom im Spinal-Kanal im Bereich kurz oberhalb des Filum terminale. Es begann mit Schmerzen, ausgehend vom tieferen Rücken in das linke Bein strahlend. Zunächst nur zeitweise, später dauernd. Orthopäden, Strahlenklinik, Uni-Klinik, Neurologe, Masseure, Bewegungstherapie...nichts half. Die Schmerzen wurden im Verlauf der anderthalb Jahre Ursachenforschung immer schlimmer und strahlten jetzt bis in den Unterschenkel. Der Neurologe verschrieb mir Psychopharmaka und überredete mich die heftigen aber gut wirkenden Schmerzmittel wegzulassen (hab’ ich 3 Tage durchgehalten, dann ging es nicht mehr). Habe nächtelang im Bürostuhl sitzend mit einer Decke geschlafen, weil ich nicht mehr liegen konnte. Dann der Durchbruch...von einem Heilpraktiker! Der erkannte per Augendiagnose fast beiläufig „ein raumforderndes Problem zwischen meinen Lendenwirbeln, wobei mir aber nur ein Chirurg würde helfen können“. Das hat meine Einstellung zu den Protagonisten der Heilberufe grundlegend geändert. Die daraufhin durchgeführte Kernspinn Untersuchung brachte sowohl mit- als auch ohne Kontrastmittel zunächst keine Information (Klar! Stell’ einmal Nervengewebe in einem Bündel von Nervengewebe dar). Die anschließende Myelographie zeigte das Problem. Das Astrozytom konnte am Stück entfernt werden, Schmerzen sofort nach der OP weg, keine weitere Behandlung notwendig. Der behandelnde Arzt meinte, Ursache könnten durchaus die Kobalt-Bestrahlungen gewesen sein.
Während der Dauer meines Aufenthalts im KH lernte ich einen Mann kennen, der seit 5 Jahren in div. Kliniken in Europa auf MS behandelt worden war. Inzwischen hatte er seinen Job und seine Familie verloren. Dabei hatte er das gleiche wie ich, nur etwas oberhalb der Schulterblätter. Als ich ihn zum ersten mal sah, saß er weinend vor Glück in seinem Bett und übte seine Finger wieder zu bewegen.

10 Jahre nach meinem Teratom kam nach einer kleinen Zerrung im linken Bein mein Lymphödem. Auch das wurde nicht erkannt. Die von mir befragten Ärzte meinten nur, ich solle das Bein hochlegen und mit einem Heparin-Gel einreiben. Als schließlich nach einem Jahr jemand das Problem als Lymphödem erkannte war es natürlich schon zu spät. Ich trage seit dem gleichzeitig einen Kompressionsstrumpf KL4 bis zur Leiste, darüber einen Kniestrumpf KL3 bis zum Knie und eine sog. Fußkappe (eine Art Handschuh für den Fuß) KL2. Komme damit ganz gut zurecht.

Seit den Bestrahlungen leide ich unter Durchfall verbunden mit explosionsartigen Blähungen. Habe gelernt auf 100m Entfernung Toiletten zu erkennen. Allerdings schränken mich die Beschwerden schon ein wenig ein. Die Bestrahlungen haben angeblich ein Ödem des Dünndarms verursacht. Die Schleimäute sind aber noch intakt. Allerdings soll die Durchblutung und damit die Ernährung der Schleimhäute nach und nach schlechter werden. Derzeit bin ich in einer eher schlechteren Phase nach einer unvermeidbaren Antibiotika-Tortour und habe in 5 Wochen 8 Kg abgenommen. Ich antworte mit ausgesuchten Lebensmitteln, Rollkuren, Heilerde, autogenem Training, Astronautennahrung und einem Tagesprotokoll um ggf. Häufungen von Reaktionen auf die Art von Speisen herauszufinden.

So Detlef und Ihr anderen. Danke, dass Ihr so lange beim Lesen durchgehalten habt.
Wie lautet mein Resumee?

1.Bitte versteht mich nicht falsch. Ich will hier sicher nichts gegen Ärzte oder ihre Arbeit sagen. Aber sie stecken auch nicht in Eurer Haut. Deshalb verlasst Euch lieber auf Euch selbst und „fühlt“ in Euch hinein. Fühlt, ob eine Diagnose richtig oder eine Behandlungsart gut für Euch ist. Klingst schwierig, aber es ist möglich. Gebt Heilpraktikern und den anderen Heilberufen eine Chance Euch zu helfen.

2. Gebt Euch nicht mit einer Diagnose zufrieden, so plausibel sie auch klingen und mit Untersuchungsergebnissen untermauert sein mag. Wenn Euer Bauch nicht zufrieden ist, sucht weiter nach einer Lösung, ohne zunächst die anderen Ansätze zu verwerfen. Habt die Hoffnung, dass Ihr der einzige anders geartete Fall unter 10.000 Fällen seid, der möglicherweise auch anders geheilt werden kann.

3. Lasst Euch nicht erzählen was Ihr könnt, sondern entwickelt (wo nicht bereits vorhanden) das Gefühl, wo Euer Körper gern mit Euch mitgeht und was Ihr lieber lassen solltet. Ich habe nach 20 Jahren Pause wieder begonnen Sport zu treiben und bin zufrieden mit dem Ergebnis.


30 Jahre - 8 Monate - 3 Tage
...welch’ eine glückliche Zeit!

Benny
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