Einzelnen Beitrag anzeigen
  #17  
Alt 10.03.2009, 15:24
Thessa76 Thessa76 ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 20.03.2008
Beiträge: 508
Standard AW: Meine Mama: nichts ist mehr wie es mal war. Und die Welt steht still.

Liebe Gabi-Diana, liebe andere Mitleser,

heute ist grauer Tag. Wobei es bei mir heute geht, ich weiss nicht warum. Ich bin schlapp und traurig wie immer, aber bis jetzt noch keine Tränen.
Ist doch schon mal was.

Gestern abend habe ich zum ersten Mal erfolgreich gegoogelt. Denn, dieses Kapitel habe ich für mich selbst noch nicht abgehakt: warum ging es so schnell? Was ist da nun genau passiert.
Ich dachte ja immer, die Bestrahlung hat dreimal nichts genutzt, aber, nun bin ich schlauer: die Bestrahlung kann sehr wohl etwas genutzt haben. Dadurch, dass die Metas im Kleinhirn sassen, muss nur eine minimal gewachsen sein, um so Platz einzunehmen, der eben im Kopf nun mal nicht da ist. Und Metas im Kleinhirn drücken zügig aufs Atemzentrum.
Dass bei multiplen Metas wie Mama es hatte, jede einzelne auf die Bestrahlung anspricht, ist selten. So hab ich es jetzt gelesen. Und damit kann ich nun meinen Frieden finden.

Auch die Protokolle von Begleitern, die die Kranken bis an die Brücke begleitet haben, ähneln sich: friedlich, ruhig, ohne Schmerzen.
Das ist es, was mir unglaublich viel bedeutet. Es war sooo ruhig und friedlich.

Gestern war ich beim Arzt, dem habe ich davon erzählt, wie Mama gestorben ist. Auch er meinte, 6 Stunden, 6 finale Stunden sind sehr, sehr kurz. Das glaube ich auch. Und ich glaube auch, dass es daran liegt, dass wir ihr gesagt haben, dass sie gehen kann. Dass wir sie loslassen.

Mama hat ja bei der Kirche gearbeitet und die Beerdigung wurde komplett von ihren Kollegen organisiert. Ich habe noch nie etwas so schönes und so trauriges zugleich erlebt.
Die Musik, die ihr direkter Chef ausgesucht hat, begann traurig schwer und wurde immer leichter, die Kollegen hatten ihr sogar noch ein Lied geschrieben und getextet. Ein Gruppenleiter spielte die Orgel, der andere sass am Klavier und hatte noch ein paar Muckerkollegen mitgebracht. Der BigBoss, der schon am Kranken- und am Sterbebett war, hat die Predigt gehalten. Und es war einfach nur schön. Es waren so unendlich viele Menschen da, die Bestatterfamilie, bei der die Frau auch gut mit Mama bekannt war, hat extra den Urlaub abgebrochen, um zu dekorieren. Ihr Mann fragte mich, was Mama denn so mochte, wer sie war. Und da gibt es eigentlich nur eine ANtwort drauf: Sylt. Sie war Sylt. Hat diese Insel geliebt wie nur was.

Dementsprechend war rund um den Sarg Sylt: mit Sand, Muscheln, einem Leuchtturm, blauschimmernden Stoff fürs Meer, Möwen.... es war unglaublich. Überall Kerzen, dazu noch ein Foto, was irgendjemand mal von Mama gemacht hat, ich stell es hier mal rein: sie am Strand, gegen die Sonne fotografiert, auf Sylt.

Mamas Chef hat so schön von ihr erzählt, so persönlich, keine Schleife in ihrem Lebensweg ausgelassen. Das war unglaublich.
Zwischendrin gab es noch ein Männerquartett, ganz toll gesungen, zum Schluss ein Lied von Kurt Rose, von ihrem direkten Chef zusammen mit einem Bläser.
Als die Tür der Kapelle aufging, schneite es noch und nöcher. Wir sind dann Richtung Grab, das dauerte eine Weile. Als wir noch so 200 Meter entfernt waren, sah ich auch in der Nähe des Grabes sechs Bläser, ich glaube,m es waren Posaunen, stehen. Die haben den ganzen Weg gespielt, es hat aber so schlimm geschneit: ich dachte noch: Oh weh, die Armen.

Aber es war bewegend. Die schönste Beerdigung, wenn man so sagen darf, die ich mitgemacht habe. Persönlicher hätte man so etwas nicht gestalten können. Und das gibt mir in einigen Momenten doch viel Ruhe.
Es war grosse Bahnhof. Das hat sich Mama gewünscht. Ein riesengrosser Bahnhof sogar. Wir wollten keine Beileidsbekundungen, sind dann aber doch am Grab stehengeblieben. Und so viele Leute, die ihr die letzte Ehre erwiesen haben... die Kapelle hat nicht ausgereicht, die Leute standen draussen und haben nur durch die Lautsprecher gehört.... bei diesem Schnee....
Mama hat es gefallen. Ich bin mir sehr, sehr sicher.

Und nun sitze ich hier und heule wieder Rotz und Wasser. Sie fehlt halt so sehr.

Bis bald,

Eure Thessa
__________________
Meine Mutter, ED 03/08 Adenokarzinom nicht operabel; T4N3M0.
Chemokonzept: seit 03/08 Carboplatin/ Vinorelbine, Umstellung aufgrund von Versagen von Carboplatin auf Taxotere am 22.07.08. Letzte Chemo am 27.11.08 - nun watch and wait.
14.01.: Lunge fast tumorfrei, multiple Hirnmetastasen, 10 Ganzhirnbestrahlungen ab dem 22.01.
am 09.02.2009 in unseren Armen eingeschlafen
1946 - 2009
Mit Zitat antworten