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Alt 18.04.2009, 22:40
Schneekugel Schneekugel ist offline
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Standard AW: Papa hat Flügel bekommen...

Hallo,

die letzten Tage wollte ich nichts mehr sehen und hören. Ich habe die Trauerkarten zur Beerdigung entworfen, erfahren, dass mein Papa nun endgültig verbrannt wurde, wir haben den Termin für die Beerdigung bekommen, ich musste mich mit Musik für die Trauerfeier beschäftigen, der freie Redner kam...und dann wurde es mir irgendwann einfach zu viel. Ich begreife es noch immer nicht. Und doch erinnere ich mich, dass ich vor über zwei Wochen die Hand meines toten Vaters hielt. Ich erinnere mich genau an seine Reglosigkeit, an seine Hautfarbe, daran, dass ich verzweifelt nach Bewegungen gesucht habe, daran, dass die Ärztin uns sagte, dass er verstorben ist. Ich habe inzwischen seine Sterbeurkunde in der Hand gehalten. Ich sehe im Treppenhaus die Trauerkarte für die Nachbarn. Darin steht sein Name. Ich erinnere mich eine Urne ausgesucht zu haben. Ich habe ihn schon seit 17 Tagen nicht mehr gesehen. Sein Infusionsständer wurde abgeholt. Der Pflegedienst hat sich seit 18 Tagen nicht mehr gemeldet. Die Post hat keine künstliche Nahrung mehr gebracht. Sein Arzt hat sich nicht mehr gemeldet. Ich sehe keine Wäsche mehr von ihm. Ich habe ihn schon lange nicht mehr zum Arzt begleitet. Ich höre ihn nicht mehr husten. Ich rede ihm gar nicht mehr ins Gewissen, dass er essen muss. Seine Medikamente sind seit 18 Tagen unberührt. Sein Bett ist leer. Immer wieder sehe ich nach und finde ihn dennoch nicht.
All das sollte es mir begreiflich machen. Ich weiß, dass er tot ist, aber ich glaube es nicht. Ich muss es mir immer wieder sagen. T-O-T...was für ein grässliches Wort. Aber ich muss es wiederholen, um es wahrzunehmen. Sonst werde ich es nie glauben.
Am Montag ist endlich die Beerdigung. Wem dient sie eigentlich? Alles wird wieder aufgewühlt. Und schon jetzt weiß ich, dass ich seine Urne wie eine Blumenvase ansehen werde. Mein Papa war 1,80m groß und immerhin noch 66kg leicht. Dennoch: Das ist zuviel. Mein Papa passt doch nicht in dieses kleine Ding. Ich könnte ihn theoretisch tragen. Da kann doch was nicht stimmen. Mein Papa kann unmöglich nur noch als Staub existieren. Irgendwo MUSS er sein. Ich tröste mich immer wieder damit, dass ich ihn in meinen Gedanken sehen kann. So oft wie ich es will. Dort kann keiner ihn mir wegnehmen. Nie mehr!!! Dennoch ist es nicht wie früher. Ich höre ihn nicht mehr. Ich kann mir nur noch Worte einbilden, die er mal gesagt hat. Aber keine neuen Worte. Wenn ich mir Videos anschaue, glaube ich seine Stimme schon vergessen zu haben. Das liegt aber nur daran, dass man ihm zu Beginn der Behandlung die Zähne gezogen hat und er nicht mehr getrunken hat. Seine Stimme hat sich dadurch verändert. Ich weiß, dass er die letzten Monate schon eine andere Stimme hatte.
Ich bin wieder hin und her gerissen. Langsam habe ich geglaubt mich wieder im Alltag einzuleben. Der kommende Montag wirft diese harte Arbeit wieder um. Alles wird von vorn losgehen. Die meiste Angst habe ich aber nicht vor der beerdigung , sondern vor dem Moment, wenn ich zum ersten Mal den Grabstein sehe. Mit seinem Namen. Am liebsten würde ich wieder davon laufen, aber ich weiß, dass das nicht geht. Das tut mir nicht gut.
Verdammt...mir geht´s scheiße...

Liebe Grüße

Irina
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*1949 +2009
Mein lieber Papa durfte nur 60 Jahre jung werden

31.07.2008: Überweisung ins Krankenhaus
13.08.2008: Diagnose "Nasopharynx CA T4N2M0 G3". Chemo und Bestrahlung!
09.01.2009: 60.und letzter Geburtstag
02.02.2009: Diagnose "Frühprogression" und Einleitung einer Antikörpertherapie.
01.04.2009: Schlaganfall als Nebenwirkung der Antikörpertherapie. Papa hat Flügel bekommen

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