Einzelnen Beitrag anzeigen
  #126  
Alt 26.04.2009, 13:36
Benutzerbild von Erle
Erle Erle ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 10.03.2006
Ort: Düren, NRW
Beiträge: 595
Standard AW: Ich wurde amputiert.........

Mein geliebter Schatz,
ja, das Leben ändert sich. Es gibt so viele Veränderungen und ich lerne täglich dazu.

Mein Herz, das Wichtigste ist sicher... ich gehe ab dem 1.Mai wieder arbeiten. Angst, es nicht zu schaffen, ist bannig groß. Aber ich bete für ein Stück Normalität, für ein Stück Alltag, ein bißchen Zukunft und "einfach Leben".
Es ist nur ein Anfang, aber für mich der riesengrößte Schritt!
Ich musste ihn tun, Angst überwinden und mich dem Leben und damit dem Wettbewerb wieder stellen. War wirklich nicht so leicht. Wann hab ich das letzemal mit 15 FRauen zusammen auf einem Flur gestanden und um 5 Stellen gekämpft, die vergeben wurden? Dieses Taxieren, sind sie besser als ich? Hab ich Chancen? Werde ich demnächst in der Lage sein, meine Familie zu ernähren? Nun, ich habe eine dieser Stellen bekommen. Ein erster Schritt!

Mein Herz, sei bei mir und hilf mir!

Das nächste, was mich sehr sehr nach vorne gebracht hat, ist die hiesige Trauergruppe. Ich lerne bei jedem Besuch etwas Neues, es hilft mir unglaublich. Ich kann über Alfred reden, ich darf weinen, ich spreche von meinen Empfindungen und werde verstanden, ohne dass ich das Gefühl habe, jemandem damit auf die Nerven zu gehen.
Das allerwichtigste ist, zu akzeptieren, wenn man einen schlechten Tag hat. Ich darf mich und meinen Charakter, meine menschlichen Qualitäten, nicht immer gleich in frage stellen, wenn ich mal einen "Heul-Tag" habe.

Es kann nicht jeder Tag gleich gut sein, es gibt tatkräftige und inhaltsreich-erfolgreiche Tage.... und eben die anderen, wo ich schreien und toben möchte, wo ich Gott anklage und wütend bin, dass ich alleine bin.
Aber ich bin ständig besser in der Lage, dass auch so hinzunehmen.

Es geht mir nicht nur gut oder nur schlecht, ich lebe. Und das Leben hält jeden Tag veränderte Empfindungen für mich bereit.

Ein weiterer Schritt war der Urlaub über Ostern, der erste "richtige" Famlienurlaub ohne Alfred. Eine ganze Woche lang. Schwer-schön-anstrengend-erholsam-ANDERS.
Ach Alfred, wo warst Du nur? Ich hab Dich so unendlich vermisst.
Wir waren wie so oft in einem CenterParcs, aber mal in einem "fremden", wo wir mit Alfred noch nie waren.
Aber natürlich sind die alle irgendwie gleich. Und als ich am ersten Abend im Market Dom saß, der LiveMusik lauschte und einen Cocktail trank, da setzten die unglaublichen Schmerzen ein. Es weinte nicht einfach nur mein Herz und ich war traurig, nein, ich hatte richtig körperliche Schmerzen.
Wie konnte ich da sitzen, die Lovesongs hören und Urlaub genießen... ohne Alfred? Wo war er? Urplötzlich sah ich ihn vor mir, so real wie nie zuvor im letzten halben Jahr. Ich sah ihn regelrecht auf dem Stuhl neben mir sitzen und lächeln. Ich konnte dieses Lächeln bis in die Augen hoch sehen. Mein Magen zog sich zusammen und verursachte unglaubliche Krämpfe. Ich hätte schreien können vor realen körperlichen Schmerzen.
Neben mir saßen meine besten Freunde, das Päärchen, die mir in den letzten Monaten unglaublich geholfen haben. Wir sind bewusst gemeinsam in Urlaub gefahren mit den Jungs (und mit 3 Katzen, einem Hund und einem Auto voll Katzenzubehör von Katzenklos bis Kratzbaum-Hilfe!!).
Es war gut, hatte aber auch einen Nachteil. Die beiden sind erst 2 Jahre zusammen, doll verliebt und busseln und herzen sich ständig. Nun sollten sie das ja auch nicht unterlassen, Gott bewahre. Schließlich hatten die beiden auch Urlaub und waren nicht als mein Babysitter mitgefahren.
Aber an diesem Abend war es kaum auszuhalten. Ich wollte auch geküsst und geliebt werden... HImmel, es tat so weh. Und dann sah ich Alfred auch noch so genau vor mir--- wie sollte ich das aushalten????

Am nächsten Tag im Schwimmbad wurde noch einer draufgesetzt. Oh Herr im Himmel, was hattest Du da mit mir vor?
Ich hatte an diesem Tag meinen absoluten Heultag. Aber im Schwimmbad, na was solls? Ma kurz abtauchen, und es ist sowieso alles nass und niemand fällt meine Weinarie auf.
Diese Paare um mich herum genossen verschmust die Sonne. Ich war neidisch. Ständig dachte ich an die letzten Urlaube, als wir, Alfred und ich, gemeinsam im Wasser rumbalgten, uns küssten und schmusten. Ich ließ den Tränen diesmal freien Lauf und alles in mir schrie "Ich will ihn wiederhaben, ich will ihn sofort wiederhaben, ich will nicht alleine sein" und tauchte einen Moment unter. Als ich wieder hochkam (muss sagen, ohne Brille im Wasser bin ich blind wie ein Maulwurf) schwamm hinter mir ein Mann, der eine ähnliche Kopfform hatte wie Alfred und einen dichten Vollbart, eben wie Alfred vor seiner Krebserkrankung!!!!
Erschrocken tauchte ich wieder unter und als ich wieder hochkam, schwamm der Mann an mir vorbei, er sah natürlich doch ganz anders aus als Alfred. Aber ich war extrem geschockt. Meine Gefühlswelt war total durch den Wind.
Meine real gespürten Magenschmerzen drohten mich umzubringen, es zerriß mich förmlich.
Aber ich hab mich durch diesen Urlaub durchgekämpft, es war, wie oben erwähnt schön-schwer.

Meine Sehnsucht nach ein paar starken Armen, die mich fürsorglich umschlingen, wuchs allerdings ins unermeßliche.
Und dann passierte das Wochenende in Köln.

Direkt nach dem Urlaub hatte ich in Köln Treff mit meinen Reha-Kollegen. Mein Gott, war das schön, mal wieder als "Mensch" wahrgenommen zu werden. Was ein Zufall, dass mein Lieblingsverein, die Stuttgarter just an diesem Tag in Köln 3:0 gewannen. Die ganze herrliche Altstadt voll von sympathischen Schwaben-Jungs, ich hab gefeiert und Freude gehabt. Und auf einmal war da einer, der mit mir Brüderschaft trinken wollte, ein kurzer Kuss und ein herzlicher Drücker, es war wirklich schön. Ein toller Abend.
Ich wünsche mir keinen neuen Partner, oh weh bewahre, aber mal für einen Abend jemanden, der mir seine starken Arme anbietet, mich hält und sagt, "lass Dich heute fallen, ich führe Dich heute".

Ich hab so Sehnsucht nach Schutz und Stärke, nach Liebe und Verständnis, nicht nach Partnerschaft und Sex. Das war so einmalig mit Alfred, ich werde es niemandem gestatten, nochmal so nah an mein Herz zu kommen. Meine Ehe ist und war einmalig, es gibt für keinen die Chance, die Nr. 2 werden, es wäre nämlich auch nur 2. Wahl.
Da kann ich nur sagen--- nein danke.

Und dann war da noch dieser Mittwoch, unser Jüngster wurde 18. Vorgestern wurde groß gefetet, ach ja, und das alles ohne Alfred. Mein Gott, war das schwer. Aber der "Kleine" hat Spaß gehabt an seiner Fete, das hat mich doch sehr getröstet.

Mein neues Leben fängt jetzt an, mit der Arbeit, mit hoffentlich neuem Alltag. Ich will nach vorne sehen. Ab und zu will ich ausbrechen, wie an diesem Wochenende in Köln, will nur Mensch und Frau sein.

Mein Liebster, mein Alfred, heute hänge ich auch wieder Dein großes Bild ins Wohnzimmer. Ich brauche es, ständig mit Dir Blickkontakt zu halten und Dir in die Augen zu sehen, wenn ich mit Dir rede. Mein Geliebter, bleib bei mir, hilf mir auf meinem Weg. Es ist irgenwie gerade ein Neustart, aber auch der geht nur mit Dir, mit Dir für immer und ewig im Herzen.
Ich liebe Dich
Mit Zitat antworten