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Alt 21.01.2004, 19:28
Gast
 
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Standard seit ca. zwei jahren ausnahmezustand

Liebes Sterntalerchen,

auch ich kenne diesen Ausnahmezustand, auch wenn er bei mir schon etwas länger dauert und dadurch bereits zur "Normalität" geworden ist. Bei meinem Vater wurde ein inoperabeler Gehirntumor diagnostiziert, die Prognosen waren schlecht, 1-2 Jahre hat man ihm gegeben, keinerlei Therapien seien sinnvoll (also von Chemo wurde abgeraten, worüber wir nun alle sehr froh sind). Also haben wir es so belassen, er nimmt nur tegretal gegen die epileptischen anfälle.
Bei der Diagnosestellung war ich elf. Nun bin ich 20. Meinem Vater geht es so weit gut. Es ist wie ein Wunder. natürlich lässt seine Sprache nach, er kann nicht mehr schreiben, auch nicht mehr lesen, aber wir sind glücklich über seinen zustand. Er ist immer positiv gestimmt, hat keine Schmerzen, ist noch sehr eigenständig....
So weit also zur Dauer des Ausnahmezustands. Ich kann verstehen, dass du nicht in den Urlaub fahren magst aus Angst. ICh stand auch mal vor der Entscheidung, wollte allerdings ein ganzes Jahr weg... zum Austausch in die USA. Meine Mutter hat mir etwas gesagt, was sehr wichtig war: "Fahre auf jeden Fall wenn du es möchtest. Papa könnte auch sterben wenn du beim einkaufen bist, oder gerade kurz mal bei deiner Freundin. Das leben muss weitergehen und er würde nicht wollen, dass du dich wegen ihm so einschränkst." Ich bin wirklich gefahren.
Ich weiss, wir haben ja auch ein unheimliches Glück. Du sagst die Gesundheitssituation deines Bruders hat sich unheimlich verschärft... wie äußert sich das? Bei uns gab es auch viele Auf und abs, und immer die Angst: Nun fängt es an! Aber er hat sich immer wieder berappelt und dann war wieder alles gut. Wie lange wissen wir nicht. Es ist nun ja das zehnte Jahr. Und wir sind natürlich sehr dankbar. Doch wie lange es noch gut gehen wird, wissen wir natürlich nicht. Es kann ja ein Anfall kommen und alles ist vorbei.
Ich weiss nur, es ist gut, dass wir so gelebt haben, wie wir es getan haben. Meine Brüder waren auch jeweils ein Jahr im Ausland, wir sind nun alle von zu Hause weggezogen, studieren, werden selbstständig. Natürlich ist da immer Angst. Mal mehr mal weniger.
Liebes Sterntalerchen, dieser text ist ellenlang, sorry und ich habe viel von mir erzählt, dabei wollte ich doch was zu dir schreiben. Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass du mit dieser angst nicht alleine bist und dass du beherzigen musst, dass dein Bruder bestimmt nicht will, dass du dich so wegen ihm einschränkst. Du kannst auch nicht immer bei ihm sein. Die Angst kann dir wohl leider keiner nehmen, aber versuche gegen diesen Scheisskrebs zu trotzen. Wenn er schon die Gesundheit deines Lebens zerstört, so muss er nicht noch dein Leben zerstören. Diesen Triumph darfst du ihm nicht gönnen!
Ich weiss nicht, ob ich irgendwie helfen konnte, aber ich sende dir ganz liebe Grüße und fühle dich fest gedrückt! Und wenn du mal traurig bist: Lasse es zu! Sei schwach! Denn du kannst nicht immer stark sein!

Evi
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