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Alt 18.08.2009, 21:05
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Kerstin22 Kerstin22 ist offline
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Standard AW: Krebs und Studium

Hallo ihr Lieben!
Ich war heute endlich bei Dr. Blau, meinem Oberarzt (Hämatologe). Er hat sich über meinen guten Befund gefreut. Anscheinend war er nicht so optimistisch wie er getan hat, als es mir neulich nicht gut ging. Ich habe mich jetzt bzgl. meiner Schmerzen unterm Brustbein zum Kardiologen überwiesen lassen. Heute hatte ich da auch wieder Schmerzen.

Dr. Blau hat mit dem Gedanken gespielt mich damit zu beauftragen eine Patientin zur allogenen Stammzelltransplantation (fremde Stammzellen) zu überzeugen. Er meint ich sei ein Musterbeispiel für einen Beleg, dass es auch gut gehen kann. Sie hat wohl sehr schlimme Erfahrungen bei der Transplantation mit eigenen Stammzellen gemacht. Ich könnte natürlich versuchen ihr Mut zu machen und ihr zu beweisen wie es einem nach einer allogenen Transplantation gehen kann, aber jede Chemo und Transplantation ist ja ein "Überraschungsei" bei dem man nicht weiß, was man bekommt. Wenn ich bei der ersten Transplantation nur gekotzt hätte, hätte ich wahrscheinlich auch große Probleme gehabt haben bei der zweiten zuzustimmen.

Dr. Blau hat heute den Vorschlag gemacht, meinen Port auszubauen. Ich warte lieber noch ein Jahr oder so. Er stört mich nicht und manchmal benutzt ich ihn für Infusionen, die gegen irgendwelchen Nach- oder Nebenwirkungen sind. Ich will auch erstmal zwei Jahre krebsfrei sein bis ich ihn ausbauen lasse. Das muss man erstmal schaffen.

Ich darf jetzt wieder schwimmen, was ich vorher wegen meines geschwächten Immunsystems nicht durfte. Wahrscheinlich mache ich mit der Mama dann nächste Woche einen Wellnesstag.

Ich darf mich jetzt auch Influenza und Keuchhusten impfen lassen. Meine Impfungen sind ja mit meiner Transplantation flöten gegangen.

Danach war ich heute in der Uni und habe viele Bekannte getroffen. Unter anderem einen angehenden Arzt, den ich vorletztes Jahr in seinem Praktikum auf meiner Station hatte. Er hat mich umarmt und Transplantationsschauergeschichten, die ich hier nicht wiedergeben will, erzählt. Meine Komilitonin, die neben mir stand, war von dem sprachlichen Mediziner-Code beeindruckt in den ich dann auch gefallen bin.

Er hat mir erzählt, dass Dr. Blau wohl zwischenzeitlich nicht so von meiner Genesung überzeugt war. Obwohl ich das jetzt anscheinend hinter mir habe, ist es wahrscheinlich trotzdem nicht gut mir sowas hinterher zu erzählen. Wenn ich überzeugt bin, dass Dr. Blau an mich glaubt, kann ich auch besser an meine Genesung glauben. Wahrscheinlich sollten man einen Patientin wowieso nicht die desillusionierte Sicht des Mediziners zeigen, der ganz anders das Ausmaß der Todesfälle mitbekommt.

Ich habe euch auch noch gar nicht von meinem Erfolg mit der Rentenversicherung erzählt. Weil der Reha-Arzt mich Anfang das Jahres als voll berufsunfähig eingestuft hat, bekomme ich jetzt noch ein Jahr eine Berufsunfähigkeitsrente. Ich habe beim Antrag auch angegeben, dass ich teilweise studiere, trotzdem kommt es mir komisch vor, dass ich jetzt eine Rente bekomme. Sicherlich kann ich im Moment schlecht arbeiten, wenn ich noch nicht mal in der Lage bin voll zu studieren. Ich bin froh, wenn ich finanziell nicht von meinem Vater abhängig bin. Ich bin jetzt also auf dem Papier Behinderte, Studentin und Rentnerin. Wegen meines Stipendiums bin ich auch auf dem Papier begabt. Irgendwie lustige Mischung.

Ich kann euch also nur raten es mit einem Rentenantrag zu versuchen, falls ihr schon mal gearbeitet habt und eventuell die Anrechnungszeiten erfüllt.

Dann hatte ich heute noch Probleme mit der Anerkennung meiner Deutsch-Leistungen. Die Studienordnung hat sich geändert und ich studiere langsamer als die Übergangsregelung. Ich will aber eine 1,0 aus dem ersten Semester mitnehmen. Dann hat micht der zuständige Professor gefragt, warum ich so langsam bin und ich habe ihm erklärt, dass ich zwischenzeitlich zwei Stammzelltransplantationen bekommen habe.

Inzwischen ist es auch in meinem Hirn abgekommen (nachdem es alle anderen gerafft hatten), dass ich mir bei meiner gesundheitlichen Situation nicht so einen Stress machen muss, da es wohl jeder einsehen muss, dass Krebs ein Grund ist mal auszusetzen. Ich habe auch für mich anerkannt, dass ich wegen der schweren Behandlungen langsamer studieren darf und mir keiner einen Kopf abreißt. Bis zu diesem Bewusstseinzustand habe ich allerdings schon drei Krebserkrankungen gebraucht. Ich lerne in manchen Bereichen langsamer. Ich bin erst lange mit einem kranken Körper rumgelaufen mit Erwartungen an mich, die für einen gesunden Körper angemessen gewesen wären.

So ist die Krankheit eine Chance für mich zu lernen liebevoller mit mir umzugehen und dass es noch anderen Dinge im Leben gibt für die es sich lohnt zu leben.

Meine Psychologin meint sie sieht da Fortschritte, aber ich weine ihrer Meinung nach für meine Krankheitsverlauf äußerst selten. Ich weiß nicht, ob ich noch etwas verdränge. Ich habe fast nur bei frischen Diagnosen oder in zwei Phasen, in denen ich dachte wieder krank zu sein, wegen meiner Krankheit geweint. Ich weine, wenn ich hier von Todesfällen lese (am meisten, wenn es eine Mutter getroffen hat) oder wenn ich im Fernsehen Kinder bei Chemos sehe. Ich habe mir neulich die Jose-Carreras-Gala vom letzten Jahr im Internet angesehen und vor mich hingeheult. Ein zweijähriges Kind kann ja nicht wie ich verstehen warum es bei einer Transplantation so viel durchmachen muss. Ohne meine Erfahrungen hätte ich wahrscheinlich nicht bei dem Anblick eines Kleinkindes mit Mundschutz und Glatze geheult.

Ich glaube ich würde viel mehr heulen, wenn nicht ich der Patient wäre, sondern ein Angehöriger. Da hätte ich viel mehr Angst, dass er stirbt. So bin ich aber viel konkreter mit dem Aushalten der Behandlung und den Nebenwirkungen und deren Organisation beschäftigt, dass das eigentliche Problem der Krebserkrankung meistens in den Hintergrund tritt. Auch wenn es naiv ist, kann ich mir einfach auch nicht vorstellen zu sterben. ich war ja immer relativ schnell wieder einigermaßen fit, so dass wohl für mein Umfeld auch unvorstellbar ist.

Okay, genug Reflexionen für heute!
Ich wünsche euch eine gute Nacht!
Kerstin

P.S. Meine Kreislaufprobleme sind wieder etwas besser geworden.
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Morbus Hodgkin, II B mit Riskofaktor, ED 4/06, 8x BEACOPP eskaliert,Bestrahlung, 1. Rezidiv 03/07, 2x Chemo mit DHAP, 20.06.07 SZT; Bestrahlung;Reha, 2. Rezidiv, 18.04.08 allogene SZT, 03.06.08 komplette Remission , 2019: Knoten im Brustkorb, 03/19 ED Peripherer Nerventumor, 6 Zyklen Chemo, Bestrahlung, OP, bestätigte Remission 01/20
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