Thema: Myriam
Einzelnen Beitrag anzeigen
  #372  
Alt 17.09.2009, 05:18
Benutzerbild von HelmutL
HelmutL HelmutL ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 03.03.2007
Ort: Dreiländereck
Beiträge: 2.019
Beitrag AW: Myriam

Auch heute Nacht hör ich AC/DC. Naja, manchmal hat man so seine Vorlieben. Wird sich bestimmt auch mal wieder ändern.

Gestern Abend hatte ich ein gutes und wichtiges Gespräch. Ich hatte mich mit der besten Freundin von Myriam verabredet. Nach Feierabdend holte ich sie zu Hause ab. In einer kleinen Pizzaria in der Nähe haben wir dann gemütlich eine Pizza verdrückt und dabei über Gott und die Welt geredet. Nach dem Essen kamen wir dann auf den Punkt.

Was mich zur Zeit beschäftigt ist: was ging im Kopf von Myriam vor? Was dachte sie? Wie fühlte sie? Wann wusste sie, dass es zu Ende geht? Wie wurde sie damit fertig? Hab ich da was übersehen? War ich zeitweise zu sehr mit mir selbst beschäftigt und habe dabei nicht auf sie geachtet? Hab ich Fragen überhört, Zeichen übersehen? Ich weiss, dass es Dinge gibt, die auch eine Ehefrau nur mit ihrer besten Freundin bespricht. Der Ehemann bekommt davon in der Regel nichts mit. Warum sollte das bei uns anders sein. Ich erhoffte mir von diesem Gespräch mit I. Antworten auf meine Fragen. Wenn jemand was weiss, dann sie. So dachte ich.

Ich hatte I. zwar vorgewarnt, dass ich mit ihr über Myriam reden wollte. Es hat sie dann trotzdem umgehauen. Sie vermisst sie sehr. Klar hatte Myriam mit ihr geredet, über Ängste, Sorgen. Hatte sie gefragt, was sie wann tun soll. Bei den beiden Operationen, den Bestrahlungen, der Hirnmeta.......... Doch auch ihr gegenüber war sie immer voller Hoffnung, Gewissheit, es zu schaffen. Das erstemal wurde sie nachdenklich, als die Diagnose Hirnmeta gestellt wurde, hatte das jedoch sehr schnell wieder zur Seite geschoben um der Zuversicht Platz zu machen.

"Ich lass' mich nicht unterkriegen!" war ihr Motto. Sie war sich der Gefahr durchaus bewusst, in der sie sich befand. Etwas anderes als die Hoffnung liess sie jedoch einfach nicht zu. Sie war grenzenlos optimistisch. So gut konnte sie nicht schauspielern, dass I. das nicht gemerkt hätte. Wann kam bei ihr die grosse Angst? Wir können es nur vermuten.

I. und ich verlassen das Lokal. Gehen jedoch nicht an's Auto, sonderen laufen noch durch die Strasse. Es ist kalt und der Wind bläst heftig. Es macht uns nichts aus.

Ende Januar waren I. und ihr Freund bei uns zu Besuch. Er und ich mussten eine Besorgung machen. Die Beiden waren alleine, sassen auf dem Sofa. Wie I. erzählt, umarmten sie sich wortlos und weinten. Zum erstenmal seit der Diagnose. Myriam stand die Verzweiflung in den Augen. Als wir Männer mit dem Sauerstoffgerät nach Hause kamen, war nichts mehr zu sehen davon. Vielleicht hab ich's auch übersehen. Ich weiss es nicht mehr.

Ein paar Tage später, Anfang Februar, waren wir für eine Woche in der Klinik. Die akuten Atembeschwerden waren GsD nicht durch den Pleuraerguss bedingt, sondern durch eine Darmblähung, die das Atmen erschwerte. Danach war sie wieder optimistisch wie zuvor. Bis Mittwochs vor dem 24. Februar. Das Atmen fiel ihr plötzlich zusehens schwerer und sie veränderte sich. Draussen schien die Februarsonne, es war windstill und auf unserer Terasse spürte man die Kraft der Sonne. Sie wollte nach draussen, in die Sonne. Dick eingemummelt sass sie dort, den Kopf nach hinten an die Mauer gelegt. Die Augen geschlossen genoss sie die Wärme. Ganz entspannt sass sie da.

Nach einer viertel Stunde wurde es ihr doch zu kalt. Wir brachten sie nach drinnen auf's Sofa. Sie war müde von der Anstrengung, sie wollte ausruhen. In eine Decke gehüllt sass sie da. Ihr war jetzt kalt, obwohl der Kaminofen fast glühte. Heute weiss ich warum. Als ich sie so sitzen sah, klein und zerbrechlich, diese vormals so stolze, starke Frau, kroch die Angst in mir hoch. Ich bin nach draussen. Nein, das darf nicht sein. Ich hab es nicht zugelassen.

Obwohl das Wetter schön blieb, wollte sie nicht mehr nach draussen. Heute weiss ich, dass sie sich bereits an diesem Mittwoch verabschiedet hatte. Auch als sie starb schien die Sonne für ein paar Minuten.

Der eine oder andere von euch denkt sich: "Warum tut er sich das an?" Ich tue es, ich MUSS es tun, da ich sonst keine Ruhe finde. Ich muss diese Gedanken zu Ende denken, ihnen auf den Grund gehen. Zumindest versuchen. Sonst platzt mir irgendwann der Schädel. Und ich muss sie niederschreiben. Warum nicht in ein Tagebuch? Weil ich weiss, dass ihr hier lest, euch in diesem Moment eure eigenen Gedanken darüber macht. Weil ich weiss, dass ich zumindest für diesen kurzen Augenblick nicht alleine mit meinen Gedanken bin. Danke.


Du warst und bist meine Sonne. Ich liebe dich,

Helmut
__________________
Zeit zum Weinen, Zeit zum Lachen.
http://www.krebs-kompass.org/howthread.php?t=31376
http://www.krebs-kompass.de/showthread.php?t=48070

Die von mir im Krebs-Kompass verfassten Texte dürfen auf anderen Homepages und in anderen Foren ohne meine ausdrückliche Zustimmung weder verwendet noch veröffentlicht werden. Auch nicht auszugsweise.

Geändert von HelmutL (17.09.2009 um 05:32 Uhr) Grund: Schreibfehler
Mit Zitat antworten