Einzelnen Beitrag anzeigen
  #83  
Alt 01.01.2010, 17:14
vintage vintage ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 29.05.2009
Beiträge: 745
Standard AW: Unsere Tochter, unser Engelchen (17) hat es nicht geschafft

liebe ute,

dem neuen jahr und dir und deinem mann möchte ich ein motto mitgeben.

wenn du verzweifelt bist und glaubst, es geht nicht mehr weiter,
wenn doofe menschen dich unabsichtlich verletzt haben,
weil sie deinen schmerz nicht einmal ahnen können,
wenn du nur einen tunnel ohne licht und ausgang siehst,
dann suche dieses motto noch einmal auf und schöpfe daraus kraft.

in der ersten zeit des verlustes ist der schmerz fast unaushaltbar,
das bleibt er auch bis zum schluss, aber er wandelt sich,
und das leben wird *irgendwann* wieder aushaltbar
und ohne schlechtes gewissen lernt man wieder zu lachen.
das habe ich von anderen verwaisten eltern erfahren, von ihren internetseiten.
und wenn sie das schreiben, dann wird es so sein.
sie sind auch den weg gegangen.
ihr gebt euch sicherlich gegenseitig am meisten kraft.


aber nun das motto für dieses ganz neue jahr:




************************

Beppo der Straßenkehrer

Beppo der Straßenkehrer tat seine Arbeit gern und gründlich.
Er wußte, es war eine notwendige Arbeit.
Wenn er die Straße kehrte, tat er es langsam, aber stetig:
bei jedem Schritt einen Atemzug und bei jedem Atemzug ein Besenstrich.
Schritt - Atemzug - Besenstrich, Schritt - Atemzug - Besenstrich...
Dazwischen blieb er manchmal eine Weile stehen
und blickte nachdenklich vor sich hin.
Und dann ging er wieder weiter - Schritt - Atemzug - Besenstrich...
Während er sich so dahin bewegte, vor sich die schmutzige Straße
und hinter sich die saubere, kamen ihm oft große Gedanken...
Nach der Arbeit, wenn er bei dem Mädchen Momo saß,
erklärte er ihr seine großen Gedanken.
Und da sie auf eine besondere Art zuhörte,
löste sich seine Zunge, und er fand die richtigen Worte.
"Siehst du Momo", sagte er dann zum Beispiel, "es ist so:
manchmal hat man eine lange Straße vor sich.
Man denkt, die ist schrecklich lang;
das kann ich niemals schaffen, denkt man."
Er blickte eine Weile schweigend vor sich hin, dann fuhr er fort:
"Und dann fängt man an, sich zu eilen.
Und man eilt sich immer mehr.
Jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man,
daß es nicht weniger wird was noch vor einem liegt.
Und man strengt sich noch mehr an,
man kriegt es mit der Angst,
und zum Schluß ist man ganz aus der Puste
und kann nicht mehr.
Und die Straße liegt immer noch vor einem.
So darf man das nicht machen."
Er dachte einige Zeit nach.
Dann sprach er wieder:
"Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken,
verstehst du? Man muß nur an den nächsten Schritt denken,
an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich.
Und immer wieder nur an den nächsten."
Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte:
"Dann macht es Freude, das ist wichtig,
dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein".
Und abermals, nach einer langen Pause fuhr er fort:
"Auf einmal merkt man, daß man Schritt für Schritt
die ganze Straße gemacht hat.
Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste".
Er nickte vor sich hin und sagte abschließend: "Das ist wichtig".



Aus: MOMO von Michael Ende
__________________
lieben gruß, vintage



Mein geliebter Mann wurde nur 49 Jahre alt und
starb knapp fünf Monate nach der Diagnose.
* Juli 1965 - + Mai 2015

ED Weihnachten 2014 Darmkrebs mit zu vielen Lebermetastasen,
dann auch Lungenmetastasen...
Mit Zitat antworten