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Alt 26.06.2010, 00:34
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HelmutL HelmutL ist offline
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Daumen hoch AW: Warum so schnell einen neuen Partner???

Liebe Clarissa,

du bist verzweifelt, verstehst die Welt und deine Schwiegermutter nicht mehr. Darf ich dich mal, provozierend, fragen: hast du sie je verstanden? Was weisst du denn von ihr? Woher willst du wissen, was sie fühlt, was sie denkt, wie sie sich vielleicht quält? Woher wollen das ihre Kinder wissen?

Ihr macht es euch da ein bisschen zu einfach, denke ich. Ihr projiziert einfach eure Trauer auf sie. Das geht nicht. Ihr habt euren Schwiegervater/Vater verloren, sie ihren Mann. Ich will damit keine Wertung abgeben, auf keinen Fall. Doch das lässt sich überhaupt nicht vergleichen.

Ist es ein ausschliessliches Recht der Jugend, sich zu verlieben? Ihr nehmt für euch in Anspruch, euch vom Blitz treffen lassen zu können. Wieso beschneidet ihr dieses Recht bei einer Frau von Mitte 50 (schätz ich mal)?

Sollte sie tatsächlich eine neue Liebe gefunden haben, so hat sie prinzipiell das gleiche Recht darauf, wie die Jugend. Die Zeiten, da Witwen und Witwer sich in ihr Schicksal ergeben und mit gesengtem Kopf alleine durchs Leben gehen mussten, sind Gott sei Dank vorbei. Dass es diesen Brauch (es war keineswegs offiziell!) des Trauerjahres so gut wie nicht mehr gibt finde ich absolut in Ordnung. Das ist in der Regel eh scheinheiliges Getue und Äusserlichkeit gewesen. Wie kann es sein, dass ich heute noch schwarz trage und dann morgen einfach wieder fröhlich bunte Kleidung? Die Trauer endet nicht nach einem Jahr. Nicht die Kleidung und auch nicht die Zeit trauert sondern der Mensch.

Wie sie sich fühlt könnt ihr nicht nachempfinden. Schon garnicht dann, wenn ihr nicht mit ihr darüber geredet habt. Versucht es mal, ihr Einverständnis vorausgesetzt. Verena hat es sehr treffend beschrieben und ich wiederhole das: ihr trauert, weint um den Verstorbenen. Dann geht ihr nach Hause und lasst euch in den Arm nehmen und trösten. Wie geht es dann deiner Schwiegermutter? Du glaubst doch nicht, dass die Kinder, Freunde oder Bekannte ihr das geben können. Ihr habt eure Partner, seit nicht allein. Sie kommt zurück in die leere, kalte Wohnung.

Könnt ihr euch vorstellen, wie das ist? Nachts im Bett liegen und ins Leere zu greifen? Morgens aufstehen, niemand sagt "Guten Morgen"? Niemand sagt "Pass auf dich auf", wenn sie mit dem Auto wegfährt? Niemand sagt "Schön, dass du wieder da bist", wenn sie zurück kommt? Niemand sagt "Guten Appetit" wenn das Essen auf dem Tisch steht? Niemand sagt "Gute Nacht"? Ja, es gibt sogar nicht einmal mehr eine Diskussion um das Fernsehprogramm am Abend? Wenn das Ehepaar in der Nachbarschaft sich sonnend im Garten sitzt, dann zieht sie die Vorhänge zu. Wenn diese Ehepaar fröhlich ist und lacht, feiert, dann stopft sie sich Watte in die Ohren. Wisst ihr, wie schwer es ist, auf eine Feier zu Bekannten zu gehen, wenn ihr wisst, dass dort nur Paare zugegen sein werden?

Und, was auch wichtig ist: Zärtlichkeit! Ich weiss, dass z.B. meine Töchter ihre Schwierigkeiten damit hatten und haben, dass Menschen in diesem Alter noch Sehnsucht nach Zärtlichkeit und, ich sag es rundheraus, durchaus sexuelle Bedürfnisse haben und sich diese auch erfüllen möchten. Junge Menschen können sich das selten vorstellen. Das ist ein Tabu-Thema für euch. Auch mir ging es so, als ich 30 war. So frisch und frei von der Leber weg, wie ihr untereinander darüber redet, bei Mama und Papa, erst recht bei Oma und Opa, da seit ihr befangen, geniert euch. Das geht doch nicht, das ist irgendwie "pfui", ist die Meinung. Quatsch mit Sosse!

Soll deine Schwiegermutter diesen Blitzeinschlag ignorieren und damit vielleicht zwei Menschen unglücklich machen? Nämlich sich selbst und den, der diesen Einschlag verursacht hat. Wenn deine Schiegermutter eine neue Liebe gefunden hat, so heisst das noch lange nicht, dass sie ihre verstorbene erste Liebe vergessen hat, dass sie nicht mehr oder auch vielleicht nur weniger um diese trauert. Hast du dir von deinen Eltern nicht in deine Liebe hinein reden lassen, dann versuch es auch nicht andersrum. Die Liebe ist nicht endlich und wer will bestimmen, wann der Blitz einschlägt? Etwa Ihr? Etwa die Gesellschaft?

Ich kann euch nur raten: redet miteinander. Versucht sie zu verstehen. In dieser Angelegenheit seit ihr nicht Kinder sondern lediglich Freunde, die das Beste wollen. Und das Beste ist das, was ihr gut tut. Bestimmt nicht das, was ihr euch im Moment vorstellt. Ihr könnt sie begleiten, sie unterstützen und, wenn nötig, helfen. Nicht mehr und nicht weniger.


Ich drück euch allen die Daumen

Helmut
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