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Alt 10.07.2010, 09:20
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annika33 annika33 ist offline
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Standard AW: Betroffen?! Angehörig?! Herzlich Willkommen!

Liebe Mariesol,

Zitat:
Annika, ich hoffe Du kannst in und zwischen meinen Zeilen lesen, dass diese riesen Story aus Besorgnis und nicht aus bösem Willen geschrieben ist...alles Liebe von Mariesol
Da sei unbesorgt. So empfinde ich das keineswegs.

Ich möchte eines aber unbedingt klarstellen, da ich nicht möchte, dass der Eindruck entsteht, ich sei höchst depressiv und könne mit meinem Leben nichts mehr anfangen. Vielleicht habe ich mich dahingehend auch in Jasmins Faden falsch ausgedrückt. Hier, beim Schreiben im Forum, können wir ja immer nur einen Bruchteil dessen kommentieren, was sich in unserem Leben bzw. in uns abspielt.

Ich sehe das so. Ich habe einen Menschen verloren, der mir unheimlich viel bedeutet hat. Als meine Mutter seinerzeit ihre Diagnose erhielt, da war ich unsäglich traurig und verzweifelt, denn von Beginn an stand ja fest, es ist kein kurativer Erfolg erzielbar. Nur noch Linderung. Im übertragenen Sinne stand für mich, egal wie ich das Blatt drehe und wende, sie muss sterben! Und das eben verhältnismäßig jung.

Ich war sehr traurig und weinte viel, meine Verzweifelung war groß und ständige Infekte, das Kranksein der Kinder, welches die Besuche bei Mama ausschloss, wegen des Infektionsrisikos unter der Chemo, all das führte zu noch größerer Traurigkeit. Ich ging zu der Hausärztin, welche mein volles Vertrauen genoss. Rausspaziert bin ich aus der Praxis, mit einer Packung Tabletten. Ein "leichtes" Antidepressivum. In der Packungsbeilage stand unter den Anwendungsgebieten: bei krankhafter Traurigkeit.

Und genau das ist der Punkt. Krankhaft wäre es aus meiner Sicht gewesen, wenn ich nicht traurig gewesen wäre, angesichts der Umstände. Und ähnlich sehe ich es jetzt auch mit meiner Traurigkeit. Für mich wäre es undenkbar, wenn ich heute, nach noch nicht einmal einem Jahr ohne meine Mama, in der Lage wäre mein Leben wieder in vollen Zügen zu genießen. Denn genau davon, von meinem Leben war meine Mama ein ganz wichtiger Bestandteil, den ich loslassen musste.

Ich habe mich mit dem Thema Depressionen befasst, viel über die Symptomatik bzw. die Begleiterscheinungen (Gewichtsverlust <----man, das wäre dann zumindest mal ein wünschenswerter Nebeneffekt , Libidoverlust *räusper* - da sag ich mal nüscht zu ) gelesen. Sicher, ich will nicht bestreiten, dass ich "niedergeschlagen/niedergedrückt" bin. Aber wer wäre das angesichts des Verlusts nicht? Ob das aber nun krankhafte Züge aufweist, das möchte ich bezweifeln. Es ist schon so wie Du sagst. Dem gebrochenen Arm, dem gibt man auch die Zeit zum Heilen. Ich denke unser Seelenleben regeneriert sich auch wieder ein Stück weit, aber es bleiben eben "Narben".

Wenn man mich so sieht, also unter anderen Menschen, dann sieht man mich nicht trübsalblasend in der Ecke sitzend. Ich bin eher so der lustige Typ (sagen zumindest immer alle ). Innerlich trauere ich aber. Denn die Funktionalität, die der Alltag einem abverlangt, die ist ja gegeben. Ich kümmere mich um meine Kids, ich erledige den Haushalt, beabsichtige demnächst wieder zu arbeiten usw. Aber meine Lebensqualität hat sich in seelischer Weise drastisch reduziert.

Ich kenne viele denen es so geht. Viele Menschen wären dann depressiv. Und ich bewundere Dich, wenn Du es anders händeln kannst. Es ist eine positive Eigenschaft und die bewahre Dir.

Zitat:
Der Mensch ist so konzipiert, dass er nach vorne sieht. Sich auf die Seite des Lebens schlägt, den Frühling sieht, die Sonnenuntergänge und die Regenbögen genießt, die Hand eines geliebten Menschen nimmt und lächeln kann..Wenn aus all den schönen Dingen des Lebens keine Freude, kein Lebensmut mehr erwächst...dann braucht man Hilfe!
Möchte da mal das Zitat einer Trauerbegleiterin anwenden:

Alle trauern also anders. „Wichtig”, sagt ihre Begleiterin, „ist nur, dass sie es überhaupt tun.”

Ich stehe auch heute noch auf der Seite des Lebens, ich sehe den Frühling, die Sonnenuntergänge und betrachte auch den Regenbogen - aber eben mit anderen Augen. Denn die geliebten Hände (Oma & Mama), nach denen ich mich sehne, die sind unerreichbar. Die Hände meiner Kinder, meines Mannes, die strecken sich mir jeden Tag entgegen - darum bin ich dankbar, aber nichts schmälert diesen für mich unermesslichen Verlust.

Abschließend vielleicht ein Auszug aus "Geboren um zu leben" - finde, das spiegelt dieses derzeitige Empfinden ganz gut wieder:

Es tut noch weh wieder neuen Platz zu schaffen
Mit gutem Gefühl etwas neues zu zulassen
In diesem Augenblick bist du mir wieder nah
Wie an jedem so geliebtem vergangenem Tag

Es ist mein Wunsch wieder Träume zu erlauben
Ohne Reue nach vorn' in eine Zukunft zu schauen

Ich sehe einen Sinn,seitdem du nicht mehr bist
Denn du hast mir gezeigt wie wertvoll mein Leben ist


Liebe Mariesol, danke nochmals für Deinen Beitrag, zeigt er mir doch, dass Du Dich sehr sorgst.

Liebe Grüße

Annika
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