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Alt 07.09.2010, 11:30
Jurist98 Jurist98 ist offline
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Standard AW: Essentielle Thrombozythämie/Kontakte zu Betroffene

Zitat:
Zitat von Schnecke33 Beitrag anzeigen
Hallöchen,

ist denn keiner mehr da???? Ich bin soooo alleine hier !!!! Schreibt doch mal...
Liebe Schnecke33,

bei mir wurde ET im Juni 2010 rein zufällig diagnostiziert. Die Thrombozytenwerte lagen bei über 1,4 Mio. Wegen der hohen Zahl bekam ich unmittelbar Litalir verschrieben (zunächst 4x500mg). Nach der Diagnose und der Lektüre des Beipackzettels habe ich tagelang sehr viel Angst gehabt und konnte nächtelang nicht schlafen.

Da ich ebenfalls drei kleine Kinder habe, beruflich ziemlich engagiert und außerdem sehr sportlich bin, brach für mich eine Welt zusammen. Nach ein paar Tagen fing ich an, das gesamte Internet nach Informationen zu durchforsten und habe inzwischen mehrere tausend Seiten über die Krankheit gelesen, darunter mehrere wissenschaftliche Studien aus den letzten Jahren, die ich nach anfänglichen Schwierigkeiten ganz gut verstanden habe.

Stark vereinfacht kann man sagen, dass man mit ET eine praktisch normale Lebenserwartung hat. Dafür muss man die Entwicklung der Krankheit aber genau beobachten (regelmäßiges Blutbild) und ggf. entsprechend therapieren. Dafür gibt es zunächst das klassische ASS ("Aspirin"), das eine Verklumpung der Blutplättchen verhindern soll, allerdings nicht die erhöhte Zahl der Plättchen reduziert. Deren Zahl lässt sich nur mit Wirkstoffen reduzieren, die als Chemotherapie gelten. Dazu zählen unter anderem Interferon-Alpha (wird gespritzt) und Hydroxyurea ("Litalir", wird als Tablette geschluckt). Ein Patentrezept, wann man welches Medikament nehmen sollte, gibt es nicht. Tendenziell wird man bei jüngeren Patienten, die keine Symptome der ET haben und deren Thrombozytenwerte unter 1,0 Mio. liegen wohl zunächst nur ASS geben. Das ist aber nur eine Daumenregel und hängt evtl. auch von weiteren Faktoren ab (Übergewicht, Herz/-Kreislauferkrankungen, sonstiges Blutbild etc.)

Ich selbst (40 Jahre alt, 1,90m groß, 85 kg) habe keine Symptome von ET und glücklicherweise auch keine Nebenwirkungen von Litalir. Meine Belastbarkeit hat nicht gelitten und meine sportliche Leistungsfähigkeit ist nur geringfügig beeinträchtigt (konkret sind Ruhe- und Belastungpuls um 5% gestiegen).

Über die Nebenwirkungen von Litalir und anderen Chemotherapeutika ranken sich wilde Gerüchte, v.a. im Internet. Eine Behauptung ist, dass Litalir langfristig die Wahrscheinlichkeit einer sog. AML (Form der Leukämie) erhöht. Da die deutschen Studien immer nur mit geringen Fallzahlen arbeiten, sind die Ergebnisse kaum aussagekräftig. Die amerikanischen Studien haben einfach mehr Patientenzahlen und daher sind die Ergebnisse statistisch eher belastbar. Nach heutigen Kenntnisstand ist diese angebliche Nebenwirkung (Bildung einer Leukämie) sehr unwahrscheinlich ("very unlikely") und die ET-Patienten, die eine solche Leukämie bekommen sind unter 1% aller Patienten, also auch derjenigen, die keine oder andere Medikamente bekommen.

Ich hoffe, das hilft Dir ein bisschen weiter. Inzwischen habe ich meinen Lebensmut und meine Zuversicht jedenfalls wieder und kann jeden Tag mit meinem Kindern uneingeschränkt genießen.

Viele Grüße

Jurist98
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