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Alt 14.11.2010, 20:13
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HelmutL HelmutL ist offline
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Standard AW: Warum ist das so?

Hallo Tine,

warum solltest du dich schämen für Fragen, welche sich fast alle stellen, die in solch einer Situation gewesen sind? Mehr, als einen Sterbenden zu begleiten kann man nicht tun. Dazu braucht es viel Mut und Kraft. Du hast sie aufgebracht. Mehr geht nicht. Das ist einer der grössten Liebesdienste, die man einem Menschen angedeihen lassen kann.

Helfen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt eines jeden, wo das Leben zu Ende ist. Klar, möchte man "helfen", diesen Zeitpunkt möglichst lange hinaus zu zögern. Es ist aber auch "helfen", wenn der Zeitpunkt gekommen ist, für den Sterbenden da zu sein, ihn (oder sie) zu begleiten. Das letzte Stück des gemeinsamen Lebens gemeinsam gehen. In Menschenwürde. Nicht abgeschoben in ein kaltes Bett irgendwo, sondern im Kreise derer, die man geliebt hat.

Jede Situation ist anders. Dass Stefan es geschafft hat, seiner Frau diesen Wunsch zu erfüllen .... Hut ab! Ich weiss nicht, wie ich reagiert hätte. Ziemlich genau 3 Jahre zuvor hatte ich schonmal erlebt, dass ein Mensch (mein Schwiegervater) zum letzten Mal das Haus verliess. Als er in den Krankenwagen gehoben wurde, hat er mich angesehen: entsetzlich müde. 3 Jahre später, der gleiche Blick. Nur hab ich da genauer hingesehen. Meine Frau sass vor mir auf dem Sofa. Nach Luft schnappend, röchelnd, jeder Atemzug eine Qual. Was ich in ihren Augen sah, hab ich erst später so ganz begriffen: "Hilf mir. Ich bin müde. Ich kann nicht mehr. Ich will hier raus!" Ich hab sie in den Arm genommen. Sie lehnte sich schwer an mich. Sie wurde ruhiger. Sie hat mir überlassen, was zu tun ist.

Am Nachmittag hab ich zum Telefon gegriffen und den Notarzt gerufen. Fast genau 24 Stunden später ist sie im Kreis derer friedlich verstorben, die sie am meisten liebte: ihre beiden Töchter, ihre Freundin, deren Lebensgefährte und ich. Wir haben geweint, gebetet und Geschichten erzählt: "Wisst ihr noch? Damals, als .........." Meistens waren es Geschichten, die uns zum Lächeln brachten.

Sie, ihre Seele, wollte nicht mehr weiterleben mit diesen Qualen. Sie wusste genau, dass sie jetzt sterben wird und wollte das auch. Es war ihr Körper, der sich noch so lange wehrte. Als sie gestorben war, kam eine Krankenschwester ins Zimmer und hat das Fenster geöffnet. Draussen blinzelte die Sonne durch die dicken Wolken auf eine gefrorene Welt.

Man kann sehr viel tun. Da sein, helfen, die Hand halten.


Alles Liebe

Helmut
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