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Alt 10.07.2014, 16:09
Stoerchin Stoerchin ist offline
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Standard AW: Trauern um verstorbene erwachsene Geschwister

Ihr Lieben,

danke für Eure guten Reisewünsche; ich war auf der US-Konferenz für familiären Brust- und Eierstockkrebs und habe dort unser deutsches Netzwerk vertreten. Es war unglaublich interessant! Dort hatte übrigens auch annähernd jeder Teilnehmer schon eine oder mehrere weibliche Angehörige verloren, so dass man in der Hinsicht mal nicht so alleine dastand (wenngleich ich mit meinem verstorbenen (männlichen) Bruder dann irgendwie wieder doch). Aber ich bzw wir -ich flog mit einer Freundin- traf auf Menschen, die schon viel im Leben mitgemacht, Verluste erfahren und trotzdem ihre Zuversicht nicht verloren hatten. Es ist ganz anders, mit solchen Menschen ins Gepräch zu kommen, von daher, Waldkäuzchen, verstehe ich Dich seeeeehr gut:

Zitat:
Was mir zur Zeit ab und zu auffällt an Gefühlen, ist seltener Verzweiflung aufgrund des Verlusts meiner Schwester, aber vielmehr ein tiefer Hass/ eine tiefe Aggression gegenüber Menschen, die solches oder ähnliches NICHT erlebt haben oder für die im Job UND im Privaten alles super läuft.

Habt Ihr manchmal auch solche Gefühle??? Ich bin ein recht friedfertiger Mensch (schon immer) und dennoch übermannt es mich häufig. Kann mich dann meist mit Sport abreagieren. Die Grundstimmung bleibt dann öfter über einige Tage und vergeht meist, wenn ich mit meinem Freund oder Freunden schöne Ausflüge mache.
Von diesen Heile-Welt-Leuten kenne ich wahnsinnig viele und meine oft, sie nicht mehr ertragen zu können. Eine (ganz liebe) Kollegin, die mir jahrelang gegenüber saß, war z. B. sehr auf ihre Mutter fixiert. Sie hat mir selbst mit 35 Jahren 10 Mal am Tag freudig von ihrer geliebten Mutter erzählt, wo sie doch wusste, dass ich keine mehr habe. Ja, ich habe mich mehr als einmal bei dem Gedanken ertappt, dass ich ihr wünschen würde, auch einmal erfahren zu müssen, wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren.

Auch hier
Zitat:
Seit der Geschichte mit meiner Schwester bin ich in so einer "hab-acht-Stellung". Ich erwarte jeden Moment, dass die nächste Katastrophe/Krankheit/Tod über uns hereinbricht. Kennt Ihr auch solche Gefühle?
schreibst Du exact über meine Gefühle. Ich sehe Leute an wie z. B. meinen Freund und frage mich, wann bei ihm wohl Zellen entarten. Komischerweise beziehe ich das auf mich selber nie und das, obwohl ich diesen blöden Angelina-Gendefekt habe. Vielleicht wäre es so gesehen eher ein Fluch für mich, alt zu werden? - nein, wenn ich so drüber nachdenke, würde ich mich trotz allem freuen, alt zu werden, meine Oma z. B. ist 98 Jahre alt geworden!

Aber lass Dir doch erst einmal gratulieren, Frau Dr. Waldkäuzchen!!! Super!!!

Und Du, liebe Birgit: die nächste Beerdigung - oh jeh. Sicherlich anders, wenn jemand 93 Jahre alt werden durfte, aber trotzdem ein Verlust und vor allem in dieser Zeit auch nicht gerade einfach. Mein Beileid. Ganz, ganz großes Respekt, dass Du die Beerdigung Deines Schwiegervaters durchgestanden hast. Ich habe ja bei einer Hochzeit im Oktober letzten Jahres in der Kirche nur geheult dadurch, dass die Kirchenorgel, die mein Gehirn zuletzt auf der Beerdigung meines Bruders gehört hatte, gespielt hat.

Zu mir selber: Jeden Morgen nach dem Aufwachen denke ich an meinen Bruder. Wie zu Liebeskummerzeiten, wenn ich an einen Kerl gedacht habe. Nur dass es hier niemals wieder gut werden wird. Was sich etwas geändert hat ist, dass ich mich wohl schon ein klitzekleines Bisschen daran gewöhnt habe, dass mein Bruder bei Familientreffen nicht mehr dabei ist. Am Allerschlimmsten war seine Abwesenheit auf seiner eigenen Beerdigung. Er war immer einer der Geselligsten. Ansonsten habe ich festgestellt, dass ich in meinen letzten Posts irgendwie meiner Familie Unrecht getan habe. Wir halten schon fest zusammen und treffen uns oft, nur irgendwie sind die anderen immer nur gut drauf und versuchen so, ins Leben zurückzufinden, wohingegen ich lieber über meinen Bruder und die Trauer sprechen möchte.

An dieser Stelle nochmal eine Geschichte zum Thema "Außestehende verstehen es einfach nicht": Ich war gestern beim Friseur, die Friseurin kenne ich recht gut und weiß auch einiges Privates über sie. Sie weiß, dass mein Bruder gestorben ist. Als sie mich fragte, wie es mir so geht, sagte ich, dass die Trauer um meinen Bruder halt das Vorrangige in meinem Leben sei, ich aber ansonsten recht normal lebe. Kurze Zeit später sprechen wir über Schützenfestbesuch. Ich sage ihr, dass mir nicht nach Party zumute ist. Da fragt sie: "Wieso"???? Es kann sich einfach niemand vorstellen, wie man sich fühlt.

Zu einem möglichen Treffen: Hmm, damit haben wir Nordbayern, Rostock und Hannover im Angebot, schön verteilt, würde ich sagen Hätte noch jemand Interesse? Es ist wirklich mein Traum, sich in dem Thema "Geschwistertod" noch mehr auszutauschen und am liebsten auch regelmäßig -es ist ja momentan das größte Thema in meinem Leben- aber wie gesagt gibt es eben solch eine Trauergruppe in meiner Stadt nicht und zu den "Vorarbeiten" zum Gründen einer solchen Gruppe hatte ich noch keine Zeit, in letzter Zeit war ich neben meinem Job eben vestärkt aktiv im Thema "fam. Brust- und Eierstockkrebs". Aber ich bin sehr froh, dass es Euch gibt.

So, meine Lieben, ich würde mich freuen, wieder von Euch zu hören. Solange schicke ich Euch ganz viel Kraft, möge derjenige oder das, woran Ihr glaubt, über Euch und Eure Geschwister wachen.

Herzlichst,
Störchin

PS. Ich habe meinem Bruder eine Deutschland-Fahne aufs Grab gesteckt, sowas hat da sonst keiner. Und: sie hat Glück gebracht!!
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