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Alt 02.02.2011, 02:14
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Rudolf Rudolf ist offline
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Standard AW: Mutmach-Geschichten - Erfahrungsberichte Nierenzellkarzinom

Heute nun endlich ein einfacher, kurzer Nachsatz:
Seit Juli 2018 bin ich völlig krebsfrei.
Nachdem meine einsame Lungenmetastase angefangen hatte zu wachsen,
mit 35 mm auch für Cyberknife zu groß war, entschloss ich mich zu einer operativen Entfernung.
Dies geschah ohne jede Komplikation durch einen renommierten Thoraxchirurgen in der Nähe meines Heimatortes.
So können meine Urenkel mich vielleicht noch kennen lernen.
.....

Krankheit ist nicht im Außen,
dem ich im Gegenüber begegne.
Krankheit ist in mir,
sie kommt aus mir,
sie ist Begegnung mit mir selbst.

Gesundheit ist mehr als ein funktionierender Körper

Es beginnt an einem wunderschönen Herbsttag des Jahres 2000 auf einer noch schöneren Wanderung im Hirschbachtal. Ohne erkennbaren Grund bekomme ich an diesem Tag einige Male Nasenbluten.

Meine Lebensgefährtin meint, ich solle mal zum Arzt gehen, vielleicht ist mein Blutdruck erhöht. Zum ersten Mal gehe ich also zu einer Vorsorgeuntersuchung und allgemeinem Gesundheits-Check. Beim Ultraschall meint der Arzt, an der Niere könnte eine Zyste sein, er möchte es aber genauer wissen und schickt mich zum CT. Der Radiologe, den ich bitte, ehrlich zu sein, sagt mir schlicht: es ist ein Tumor. 8 cm.
Bin ich erschrocken? Ich weiß es nicht.
Zunächst einmal bin ich leer.
Bin ich verzweifelt? Nein!
Habe ich Angst? Nein!
Nur die Frage: Warum? Nicht: warum ich? Sondern: warum ich?

Mir wurde schnell bewußt, daß ich vor einiger Zeit in ein psychisches Loch gefallen war. Darin hatte dann der Krebs auch noch Platz. Ich wußte, was mir „an die Nieren gegangen“ war. Sehr viel später lautete meine Frage anders: welche psychischen oder emotionalen Erfahrungen haben möglicherweise meinen Krebs vorbereitet? Lange vor diesem psychischen Loch?

Mein nächster Gedanke war: das Ding muß raus! Bereits 6 Tage später geschah es. Ohne jede Komplikation, auch völlig ohne postoperative Schmerzen. Eine Glanzleistung des damaligen Oberarztes der Urologie am Uni-Klinikum in Gießen.

„. . . und wegen der Lungenmetastasen machen Sie eine Immun-Chemo,“ sagte der Stationsarzt bei der Entlassung aus der Klinik. Nanu, woher kommen die denn? Vor der Operation waren doch keine da!
Natürlich waren die schon da, nur wurde es mir nicht gesagt.

„Krebs braucht nicht besiegt zu werden - er muß nur verstanden werden,“ sagt der Arzt und Psychologe Dr. Rüdiger Dahlke. Das gilt im Grunde für jede Krankheit. Diesen Weg wollte ich gehen. Ich wollte verstehen. Ich wollte meine Kraft nicht im Kampf gegen etwas verschwenden, sondern im Kampf für etwas sinnvoll einsetzen, nämlich für das Leben. Ich sagte nicht: ich will nicht sterben. Ich sagte: ich will leben. Ich wollte nicht einfach überleben, sondern leben.
Leben! Mit all seiner Schönheit, Freude, Phantasie, Begeisterung.
Es hilft nicht, gebannt auf das zu starren, das man los sein möchte.
Man muß sich dem zuwenden, das man haben will!

Der verständnisvolle Arzt fragt: Was fehlt Ihnen denn?
Der Patient antwortet: Ich habe . . . , z. B. Kopfschmerzen.
Verkürzt wird daraus: Was fehlt? . . . Kopfschmerzen.
Hier müssen Arzt und Patient gemeinsam herausfinden, was ihm wirklich fehlt. Was er hat, weiß er ja.

„Ob ich das wohl schaffe, ohne Chemo?“ fragte ich mich in einer ruhigen Minute, in meditativer Stimmung. „Das schaffst du!“ meldete sich unerwartet eine Stimme in mir. Meine innere Stimme? Mein Unter- oder Überbewußtsein?
Allein mit der Kraft der Gedanken?
Und wirklich ohne Anstrengung? Ohne Krampf?

Als ich aus der Klinik zurück bin, sagt mir eine Schwägerin: „Rudolf, wir sind enttäusch von Dir!“ „Wieso, was habe ich verbrochen?“ „Wir haben gedacht, du bist der gesündeste Mensch in der Familie, und jetzt machst du so was!“ Voller Übermut antworte ich: „Na und? So ein kleiner Tumor wird rausgeschmissen und das Leben geht weiter!“ Mir wird klar, daß das nicht nur Übermut ist, sondern aus einer überzeugten Tiefe kommt. Wenn so ein Satz einmal ausgesprochen ist, dann bekommt er eine eigene Dynamik, Kraft und Wahrheit.

„Wer Angst hat vor dem Sterben, hat Angst vor dem Leben,“ sagte jemand.
Im Hinblick auf die schweren Nebenwirkungen und die geringen Erfolgsaussichten der Immun-Chemo (20 - 40%) sagte ich damals aber auch: „Lieber gesund sterben als krank leben.“
Meine Lebensgefährtin sagte dazu schlicht: „Egal, wie du dich entscheidest, ich begleite dich.“
Schlicht?
Großartig!

In den folgenden neun Monaten ging ich noch zweimal zur CT-Kontrolle in die Klinik. Ergebnis beide Male: Die Metastasen sind mehr und größer geworden. Aus anfangs 12 waren vielleicht 15 oder 20 geworden, ich weiß es nicht. Die größte war von anfangs 7 mm auf 14 mm gewachsen, also ziemlich langsam.

Dann kam mal wieder der Zufall in mein Leben. Zufall, die Absicht des Schicksals. Von einer Krebspatientin, die vor vielen Jahren schulmedizinisch „austherapiert“ war, erhielt ich den Hinweis auf einen damals 80jährigen anthroposophischen Arzt, der ihr u.a. mit einer Misteltherapie wieder auf die Beine geholfen hatte. Ich fuhr sofort zu ihm, 600 km. Von der Mistel hielt ich bis dahin gar nichts, aber er verschrieb sie mir, ich begann die Anwendung, ohne Skepsis, ohne Euphorie, einfach so.

Erst sieben Monate später traute ich mich wieder zu einer CT-Kontrolle. Der Radiologe fragte mich überrascht und ungläubig: „Was haben Sie gemacht? So etwas habe ich noch nie gesehen!“ Nichts, antwortete ich, denn die Mistel ich ja „nichts“, jedenfalls für viele Ärzte der Schulmedizin. Was war geschehen? Die Metastasen waren weg!

Wieder einige Monate später zeigte ein weiteres CT, daß eine einzelne Metastase neu entstanden war. Ich intensivierte die Misteltherapie. Die Metastase stagnierte. Sie wuchs, wenn ich mit der Mistelanwendung nachlässig war. Ich lernte die Mistelinfusion kennen. Damit intensivierte ich die Behandlung weiter. Vor fast fünf Jahren erlitt ich fast einen Schock, als ich abends sah, daß meine Bank einen hohen Betrag von meinem Konto abgebucht hatte. Es verursachte mir eine schlaflose Nacht. Beim nächsten CT war die Metastase ein deutliches Stück gewachsen.
Nun führte ich ein ernsthaftes Gespräch mit der Metastase, ein Abschiedsgespräch. Ich bedankte mich für ihren Besuch und die lebenswichtige Botschaft, die sie mir gebracht hatte, und bat sie dringend, jetzt endlich zu gehen. Seitdem ist sie nicht mehr gewachsen, auch nicht während einer dreimonatigen Mistelpause. Inzwischen ist sie sogar ein wenig geschrumpft.

Mir ist aber auch bewußt geworden:
Es war eine Zelle in meinem Körper, die mutiert oder entartet ist und sich vermehrt hat. Es war mein Immunsystem, welches das nicht bemerkt hat, das Immunsystem auch als Schaltstelle zwischen Seele und Körper, zwischen meiner Seele und meinem Körper. So kann meine Frage nur lauten: Warum habe ich das zugelassen? Womit war meine Seele nicht einverstanden? Warum mußte sie mir das über meinen Körper mitteilen? Hatte ich ihre direkten Hinweise nicht wahrgenommen?
Ich will verstehen!

Nun lebe ich seit 10 Jahren mit Krebs und habe mich nie krank gefühlt.
Glück gehabt? Ja, vielleicht. Mein Schicksal hat mir Phantasie und Kraft gegeben, einen anderen Weg zu gehen als viele andere Betroffene.
Glück gehabt? Nein. Ich habe mich auf den ungewöhnlichen Weg eingelassen.

Das Leben ist schön! Drei Monate nach der Operation haben wir geheiratet.
Das Leben ist schön! Wenige Monate später sind wir in ein eigenes Häuschen eingezogen. Das Leben ist schön!

Das Loch, in das ich vor der Diagnose gefallen war, habe ich mit Lebensfreude zugeschaufelt.

Das Leben eines Menschen ist das, was seine Gedanken daraus machen. (Marc Aurel)

Es ist der Geist, der sich den Körper schafft. (J. W. v. Goethe)

Es ist unglaublich, wie viel Kraft die Seele dem Körper zu leihen vermag. (Wilhelm von Humboldt)

Die Fröhlichen gesunden immer! (Rabelais)

Ich möchte in Kopf und Herz gesund sein, dann wird der Körper schon folgen.
„Ich habe Krebs, aber ich bin gesund.“ Das ist eine meiner Devisen.
Und: In der Stille liegt die Kraft.

Die Kraft der Gedanken ist keine Anstrengung.
Die Kraft der Gedanken ist keine Angst.
Wovor sollte ich Angst haben? Niemand kann mir nehmen, was ich bin.
Ich bin unsterblich, meine Seele ist unsterblich.
Meine Seele, das bin ich.
Meinen Körper brauche ich, mit all seinen wunderbaren Organen und Empfindungen, um in dieser Welt mit anderen Seelen in Beziehung treten zu können.
Und auch um das Leben genießen zu können.
Ohne Körper werde ich irgendwann weiterleben. Man wird dann sagen, ich sei gestorben. Aber es ist dann nur der Körper, der seine Funktionen einstellt.
Ohne Gedanken und ohne Gefühle wäre ich wirklich tot.

Wenn in den einsamen Bergen,
in der endlosen Wüste,
im tiefen Erleben der Musik
meine Grenzen sich auflösen,
ein Hauch von Ewigkeit mich berührt,
dann bin ich mir am nächsten.
Dann spüre ich mich am intensivsten.
Dann bin ich,
ohne Vergangenheit,
ohne Zukunft,
nur Gegenwart.

Rudolf



Strom des Lebens

Der Strom meines Lebens fließt breit und ruhig.
Ich schwimme mit dem Strom, dem Strom des Schicksals und des Lebens.
Ein Wirbel, eine Unachtsamkeit im Strom meines Lebens brachte einen Krebs zu mir, meinen Krebs.
Die Leute sagten mir: das ist eine Krankheit.
Die Leute sagten mir, jetzt müsse ich Angst haben, Angst um mein Leben, Angst vor dem Sterben.
Die Leute sagten mir, der Krebs sei ein Feind.
Die Leute sagten mir, jetzt müsse ich kämpfen, kämpfen gegen den Krebs, der im Strom des Lebens zu mir kam.
Ich wollte nicht kämpfen wegen der Leute, die Angst haben.
Ich wollte nicht kämpfen gegen den Strom des Lebens, meines Lebens.
Ich wollte nicht gegen den Strom schwimmen, gegen den Strom meines Lebens.
Ich wollte meine Kraft nicht verbrauchen, um gegen den Strom meines Schicksals zu schwimmen.
Ich brauche meine Kraft, im Strom des Lebens meinen Platz zu finden und zu erhalten.
Ich brauche meine Kraft, meinen Krebs zu verstehen.
Ich brauche Kraft und Ruhe, meinem Krebs zuzuhören.
Ich höre, was der Krebs mir über das Leben erzählt.
Ich höre und sehe und erlebe und staune: das Leben ist schön.
Ich höre und sehe und erlebe und spüre: ich werde geliebt.
Ich höre und sehe und erlebe und weiß: ich liebe.
Ich will mich nicht rechtfertigen müssen dafür, daß ich nicht mit dem Strom der Krebsfeindschaft schwimme.
Ich schwimme mit dem Strom meines Lebens, der mein Schicksal ist; er fließt breit und ruhig.

Und wenn der Strom am Ende meiner Tage in das große Meer münden wird,
dann werde ich viel erlebt haben, viel gelernt und viel Liebe erfahren.

Und irgendwann wird vielleicht ein Nebel aufsteigen aus dem großen, weiten Meer,
eine Wolke wird über das Land ziehen
und Regentropfen werden eine Quelle speisen, einen Bach bilden und einen Strom,
den neuen Strom meines neuen Lebens.
.
__________________
Ich habe Krebs - aber ich bin gesund!
(Nieren-Op. Nov. 2000, Mistel seit Sept. 2001, anfangs >15 Lungenmetastasen, seit 2003 noch eine, seit 2006 ruhend, 2018 operativ entfernt)

Ich kämpfe nicht gegen den Krebs, sondern für das Leben.
Nein, ich kämpfe nicht, ich lebe!
Mein Krebs ist nicht mein Feind, er ist Teil meines Körpers. Ich will ihn verstehen.
Angst ist Gift für den Körper . . . . . und noch mehr für die Seele.
Entscheiden Sie sich für das Leben, sagte eine Psychologin . . .

Geändert von Rudolf (20.07.2019 um 14:39 Uhr) Grund: Formatierungen