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Alt 02.01.2006, 13:15
Brittavl Brittavl ist offline
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Standard AW: Hilfe, keine Chemo mehr

Hallo ihr alle,
erst mal ein frohes neues Jahr(!?!). Dieser Satz wird gedankenlos jedem entgegengeworfen, den man in den ersten Tagen eines neuen Jahres trifft. Ich denke mitterlweile über solche Floskeln irendwie anders. Naja, geht wohl vielen so, die hier im Forum rumwuseln.

Also zu Papa: Er ist jetzt seit Donnerstag, 29.12.05 in Bochum. Das kam ganz plötzlich. Wir hatten eigentlich einen Termin für heute. Am Donnerstag rief das Sekretäriat von Prof. Uhl an, ob wir den Termin vorziehen könnten (Prof. möchte gern am 02.01.06 Urlaub haben). Ich war erst mal total vor den Kopf gestoßen, wußte nicht, was ich machen sollte. Zum Glück war eine Freundin von mir hier, die mir etwas geholfen hatte. Papa war zu der Zeit in Dortmund im KH. Habe erst ihn angerufen, dann Mama, dann die Station in Dortmund, um einen Krankentransport zu organisieren. Dann meinen Mann, damit er unseren Kleinen hütet. Innerhalb einer halben Stunde war alles geregelt. Um halb drei bin ich los. Erst meine Mutter abgeholt, dann ins KH. Im nachhinein habe ich den Eindruck, daß Papa nach Bochum gelaufen wäre, wenn es ihm möglich gewesen wäre. Er hat noch nicht mal seinen Schlafanzug ausgezogen, nur Socken und Schuhe an. Wir konnten ihn kaum dazu bringen, noch einen Pulli unter die Jacke zu ziehen. Ich habe nur seine Sachen in den Koffer geschmissen, der Krankentransport war dann auch schon da. Dann ging es hintereinander her nach Bochum. Kaum eine halbe Stunde später waren wir da. Wir mußten auch keine 5 Minuten warten, dann waren wir schon dran. Erst der Oberarzt, Dr. Jochen. Wir mußten ja die Bilder vom CT und MRT mitnehmen. Doc fragte noch mal die komplette Krankengeschichte ab. War aber nicht viel zu erzählen, Papa war nie ernsthaft krank. Abgesehen von den beiden HüftOPs, die er aber absolut gut überstanden hatte. Er hat sich die Bilder angesehen und sich gewundert, daß diese alle aus August waren. Warum wir denn die neuen Bilder nicht mithätten? Es gibt keine Anderen. Hm, komisch. Dann kam der Prof. Stellte auch eine Menge Fragen. Haben die in Dortmund dieses gemacht oder jenes? Bestimmt 20 Fragen, die Papa alle mit "Nein" beantwortet hat. Das Schlimmste, was er sagte: Nach den Bildern zu urteilen, hätte er wohl vor 3 Monaten versucht, zu operieren. Jetzt wäre es zu spät. Ich war so wütend, als ich das gehört habe. Das einzige, was Papa unter Tränen sagte: "Schade."
Er war um 20 Uhr auf Station und wichtiger im Bett. Vorher kam der Stationsarzt und hatte noch Ultraschall gemacht. All drei Ärzte sind mir absolut symphatisch. Sie machen zumindest den Eindruck, daß sie menschlisch mit den Patienten mitfühlen. Ich habe ein sehr gutes Gefühl, Papa fühlt sich auch dort wohl (was ja das Wichtigste ist). Aber er hat jetzt seelisch ein absolutes Tief. Wir waren gestern da, habe wieder Mutter und Bruder abgeholt. Die Kinder habe ich zu Hause lassen können. Die Anstrengung von Donnerstag sitzt Papa ja noch in den Knochen. Er war sehr schlapp, hat auch wieder geweint. Aber das fand ich irgendwie auch toll. Ich konnte ihn in den Arm nehmen, ihn halten und trösten.
@ Sonja: Ich würde gern mit Papa auch über meine Ängste und Sorgen um ihn reden. Aber das würde ihm nicht gut tun. Daran würde er zerbrechen. Ich versuche in letzter Zeit, mehr auf mein Bauchgefühl zu hören. Ich glaube, wir haben über Generationen verlernt, auf unseren Körper und "Bauch" zu hören. Von allen möglichen Leuten (Werbung, Ärzte, Heilpraktiker, usw.) wird uns erzählt, was gut ist. Nicht falsch verstehen, bestimmt haben alle irgendwie recht, mit dem, was diese Menschen sagen. Aber ich glaube auch, daß es keine Wege gibt, die für ALLE Menschen gleich sind.
Für meinen Papa ist es der falsche Weg, mit ihm über unsere Ängste und Sorgen zu reden. Vielleicht im Moment auch die falsche Zeit. Vielleicht kommt diese Zeit noch. Jetzt habe ich aber auch keine Angst mehr, mit ihm darüber zu sprechen. Ich glaube auch, ich werde die Zeit erkennen.

Mama hat heute morgen angerufen. Sie hat mit Papa gesprochen. Er war wieder sehr traurig. Für ihn sieht es so aus, daß mit ihm nichts gemacht wird. Er bekommt jede Menge Infusionen, die ihn in einen besseren Allgemeinzustand versetzen sollen. Jede Untersuchung ist total anstrengend für ihn. Er war wieder am Weinen. Heute soll auch ein Psychologe zu ihm kommen. Hoffentlich kann Papa reden. Ich würde so gern jeden Tag bei ihm sein. Aber das ist leider nicht möglich. Wenn ich den Kleinen (fast 2 Jahre alt) mitnehme, freut er sich zwar. Aber momentan ist das zuviel für ihn. Ich hätte auch kein Problem, nur für 10 Minuten zu ihm zu fahren. Aber dann tut er mir auch wieder so leid, weil er ja gerne möchte, daß ich länger da bleibe. Ich kann den Kleinen ja schlecht zu Hause für ein paar Stunden in den Kleiderschrank hängen. Also versuche ich, ihn jeden 2. bis 3. Tag nachmittags ürgendwo unterzubringen, damit ich länger für Papa Zeit habe. Meine Große (fast 11 Jahre) ist dabei, der kann man auch ein paar Euros in die Hand drücken, dann macht sie sich auf den Weg in die Cafetria.
Ach, es ist alles so traurig. Aber ich schaffe es. Ich bin tagsüber für alle da. Ich kriege alles auf die Reihe. Wenn das Haus mal nicht perfekt ist, stört es keinen. Ich nehme mir auch die Zeit, mit dem Kleinen und unserem Hund durch die Gegend zu laufen. Wenn ich dann alleine durch den Wald gehe, kann ich fluchen, weinen und auch mal schreien, das hilft. Mein Mann hilft auch, wo er kann. Das ist zwar nicht viel (er ist selbständig; ständig und selbst), aber ich nehme es dankbar an. Zu Weinachten haben wir uns "Zeit" geschenkt. Weihnachten - das Fest der Liebe. Wie wahr!
Das einzig gute an dieser Sch... Krankheit: Wir sind alle näher zusammengerückt. Wir sehen so banale Dinge, die andere Menschen auf die Palme bringen, gar nicht mehr so eng. Irgendwie macht es das Leben leichter. Zumindest in diesen Dingen. Irgendwie ist die ganze Welt doch krank. Wie viele sich doch das Leben gegenseitig schwer machen...

So, jetzt wartet meine Wäsche. Macht sich leider nicht von alleine. Dann noch das Essen, ein bißchen die Bude auf Vordermann bringen, und wieder warten auf das abendliche Telefonat, um zu hören, was heute passiert ist und einfach nur Papa zu hören und ein bißchen mit ihm zu quatschen.

Bis die Tage, hoffentlich wird das neue Jahr besser als das alte.

Liebe Grüße, Britta

PS: Falls von euch jemand weiß, wo man Wunder bestellen kann, bitte melden...
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