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Alt 07.06.2001, 11:17
Gast
 
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Standard Hilfe für Hinterbliebene

Ihr Lieben,

meine Mutter - sie war erst 56 Jahre - ist im November 2000 gestorben und ich bin in das tiefste Loch meines bisherigen Lebens gefallen. Fast alles, was Ihr beschreibt, kenne ich aus eigener Erfahrung: Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, habe nachts zwar wie ein Stein geschlafen, war am nächsten Morgen aber trotzdem nicht erholt, ich habe mich zurückgezogen, obwohl ich eigentlich ein sehr kontaktfreudiger Mensch bin, im Job fielen mir die einfachsten Aufgaben unendlich schwer und ich hatte das Gefühl nichts zu können, zu wissen und zu sein ... Jeden Tag nach dem Aufwachen habe ich mir neu vorgenommen, mich zusammenzureißen. Das hat aber nur in sofern geklappt, dass ich nach außen halt irgendwie funktionierte. Dabei schämte ich mich auch noch ganz schrecklich für meine Unfähigkeit ins Leben zurückzufinden. Schließlich bin ich 37 Jahre alt und dachte immer, es kann doch nicht sein, dass der Tod der Mutter einen in diesem Alter so komplett aus der Bahn wirft.

"Sei froh, dass Deine Mutter nicht mehr leiden muss", war oft der einzige Satz, den ich von Kollegen und Bekannten hörte. Ich war froh, dass meine Ma sich nicht länger quälen musste, aber gleichzeitig musste ich mich damit auseinandersetzen, dass sie nie mehr da sein würde. Zwei Jahre lang haben wir alle zusammen gehofft, dass sie es schaffen kann und wieder gesund wird. Fast ein Jahr lang mussten wir hilflos zusehen, wie sie immer dünner und kraftloser wurde und die Krankheit sie schließlich besiegt hat. Das war eine furchtbar schmerzhafte Zeit und damals dachte ich, dass es schlimmer nicht mehr kommen kann. Ob die Zeit ihres Leidens oder die Zeit nach dem Tod "schlimmer" war/ist, mag ich nicht beurteilen. Vielmehr empfinde ich es so, dass die Angehörigen nach dem Tod in eine neue, nicht weniger kräftezehrende und schmerzvolle Phase eintreten. Das können viele Menschen, die das Glück hatten, noch nie einen geliebten Menschen verlieren zu müssen, oft nicht wirklich nachvollziehen. Für Außenstehende hat die Zeit eine ganz andere Dimension. Sie haben irgendwann das Gefühl, dass doch alles schon so lange her ist, während wir denken "sie ist doch erst sechs Monate tot". Die Krankheit, irgendwann die Ahnung, dass meine Ma es wohl doch nicht schaffen würde, erste Auseinandersetzungen mit dem Tod, ihr langsames Sterben und schließlich der Tod, das erfordert nicht nur vom Kranken, sondern auch von nahestehenden Menschen häufig mehr Kraft als man hat.

So langsam geht es mir jetzt ein wenig besser. Ich vermisse meine Ma schrecklich, denke jeden Tag an sie und weine auch noch oft. Aber es ist nicht mehr alles nur dunkel. Zum Teil liegt es daran, dass mir immer bewusster wird, dass der Tod nun mal zum Leben dazugehört und auch ich habe nur ein Leben und einen Tod. Jetzt ist meine Zeit zu leben! Ich habe kein Rezept, die alles überschattende Trauer dauert genauso lange, wie sie dauert. Man kann sich helfen lassen - ich habe bspw. eine Homoöpathin aufgesucht und das Mittel "Ignatia" eingenommen - aber letztendlich hilft nur der feste Wille und der Wunsch sein eigenes Leben, das auch nicht ewig dauert, leben zu wollen. Es hilft unseren Müttern, Vätern, Lebensgefährten und Kindern nicht, wenn wir unser Leben verneinen.

Ich wünsche Euch allen ganz viel Kraft bei Eurem Weg zurück ins Leben!

Alles Liebe, Josefine
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