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Alt 05.12.2008, 19:17
Lea S. Lea S. ist offline
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Standard AW: Witwenrente abgelehnt ...

Liebe Conny,

gerade bin ich zufällig auf Deine Fortsetzung hier gestoßen. Also, falls Du Dich gerade langweilst .... Hier noch ein paar frischere Entscheidungen, die ich gefunden habe. Kennst Du vielleicht schon, aber trotzdem für alle Fälle:

Landessozialgericht Hessen vom 30.11.2007, Az. L 5 R 133/07
Das Sozialgericht hatte in erster Instanz noch Witwenrente zuerkannt: „Die genannten Punkte sind jedoch keine pauschalisierten Widerlegungsgründe, die eine Versorgungsehe grundsätzlich ausschließen. Maßgeblich sind immer die Umstände des konkreten Einzelfalles“(Dopheide und andere: "Die Versorgungsehe" nach § 46 Abs. 2 a SGB VI in: Informationen der Regionalträger der Deutschen Rentenversicherung Bayern 06/2006, S. 2 ff.)“.

Anders aber das Landessozialgericht in der Berufung: „Es bestehen für den Senat Zweifel, ob nicht doch eine Versorgungsehe geschlossen worden ist. Es fehlt die volle richterliche Überzeugung dafür, dass der Versicherte die Klägerin nicht durch seine Heirat zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung versorgen wollte. Diese Zweifel gehen alleine zu Lasten der Klägerin.“ … „Bei Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalles konnte damit die gesetzliche Vermutung, dass es der überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, nicht von der Klägerin entkräftet werden. Die Klägerin als Hinterbliebene trägt die volle objektive Beweislast hinsichtlich der Widerlegung der Feststellung, dass es sich bei ihrer Ehe nicht um eine Versorgungsehe handelt.“ Die Entscheidung ist zu finden unter http://sozialversicherung-kompetent....rgungsehe.html


SG Würzburg 8. Kammer Urteil vom 15. September 2004, Az: S 8 RJ 697/02

… „Die Anknüpfung an eine Ehedauer von weniger als 1 Jahr enthält eine gesetzliche Vermutung, mit der unterstellt wird, dass beim Tod
des Versicherten innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war. Diese
gesetzliche Vermutung ist allerdings widerlegbar. Sie ist widerlegt, wenn Umstände vorliegen, die trotz kurzer Ehedauer nicht auf eine
Versorgungsehe schließen lassen. Die Widerlegung dieser Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG i.V.m. § 292
Zivilprozessordnung (ZPO) grundsätzlich den vollen Beweis des Gegenteils (BSG, SozR 3100 § 38 Nr. 5). Diese Beweisanforderungen
müssen aber auch mit dem erkennbaren Sinn und Zweck des § 46 Abs. 2 a SGB VI zu vereinbaren sein. Die Motive, die § 46 Abs. 2 a
SGB VI aufgrund äußerer Umstände vermutet, können auch durch entgegenstehende äußere Umstände widerlegt werden. So ist nach
Auffassung des Gerichts eine ausreichende eigene Versorgung des Hinterbliebenen grundsätzlich geeignet, die Rechtsvermutung eine
sog. Versorgungsehe zu widerlegen. Das legitime Anliegen des Gesetzgebers, einem Missbrauch der Ehe vorzubeugen und
manipulierte Folgen nicht eintreten zu lassen, ist bei einer solchen Fallkonstellation grundsätzlich nicht gefährdet.
Im vorliegenden Fall ist der Beklagten zuzugestehen, dass nach dem ersten Anschein die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe
zutreffend sein könnte. Die Klägerin hat den Verstorbenen wenige Tage vor dem objektiv vorhersehbaren Tod geheiratet. Die genaue
innere Motivationslage der Klägerin für die Eheschließung kann nicht eindeutig geklärt und nachvollzogen werden. Dies ist jedoch auch
nicht erforderlich. Es liegen ausreichende äußere Umstände vor, welche die gesetzliche Vermutung widerlegen. Die Klägerin hat bereits
vor der Eheschließung eigene Rentenleistungen in einer Höhe bezogen, die deutlich über dem Sozialhilfebedarf liegen. Bei einem
Betrag von ca. 800.- EUR monatlich kann grundsätzlich von einer ausreichenden und nicht unerheblichen eigenen Versorgung
ausgegangen werden. Hinzukommt, dass die zuletzt vom Verstorbenen bezogene Rente um mehr als die Hälfte niedriger gewesen ist.
Dies bedeutet auch, dass die von der Klägerin zu erwartende Witwenrente im Verhältnis zu ihrer eigenen Versorgung nur einen
geringen Teil beträgt. Allein diese Umstände lassen das mögliche Motiv einer Versorgungsehe deutlich in den Hintergrund treten.
Jedenfalls kann nicht mehr angenommen werden, dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen sei, einen Anspruch
auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.“
Ganzes Urteil gefunden unter http://209.85.129.132/search?q=cache...e&client=opera

Verwaltungsgericht Koblenz; Urteil vom 22.06.2007
[Aktenzeichen: 6 K 1937/06.KO]

Auch die sehr kurze Dauer einer Ehe mit einem Beamten rechtfertigt nicht in jedem Fall die Annahme, diese sei vor allem aus Versorgungsgesichtspunkten geschlossen worden. Das entschied das Verwaltungsgericht Koblenz.

Bei dem Lebensgefährten der Klägerin, einem Polizeibeamten, war ein Lungenkarzinom festgestellt worden. Nur 24 Tage, nachdem das Paar geheiratet hatte, verstarb der Beamte an seiner Krankheit.

Die Oberfinanzdirektion war der Ansicht, der Klägerin stehe in diesem Fall kein Anspruch auf Witwengeld zu. Habe die Ehe mit einem Beamten weniger als ein Jahr gedauert, würde gesetzlich vermutet, dass Hauptzweck der Eheschließung die Versorgung des Ehegatten gewesen sei. Damit war die Klägerin nicht einverstanden. Sie und ihr Mann hätten bereits seit zehn Jahren zusammengelebt und eigentlich schon früher heiraten wollen. Die Hochzeit habe sich aus verschiedenen Gründen aber immer wieder verzögert. Als die schwere Krankheit bekannt geworden sei, sei es ihrer beider Wunsch gewesen, ihre Zusammengehörigkeit über den Tod hinaus zu dokumentieren.

Die Klage hatte Erfolg. Ein Anspruch auf Witwengeld, so die Richter, sei nach dem Beamtenversorgungsgesetz aufgrund der kurzen Ehedauer zwar in der Regel ausgeschlossen. Etwas anderes gelte aber dann, wenn nach den besonderen Umständen des Falles der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gerade nicht in der Versorgung der Witwe zu sehen sei. Die Klägerin habe glaubhaft darlegen können, dass eine frühere Eheschließung geplant gewesen sei und warum sich diese immer wieder verzögert habe. Es fehlten auch typische Anhaltspunkte für eine so genannte „Versorgungsehe”. So sei der Altersunterschied zwischen den Ehegatten nicht sehr groß gewesen und die Ehe sei erst nach einer jahrelangen, engen Beziehung geschlossen worden. Eine Gesamtschau aller Umstände spreche daher dafür, dass die Eheschließung nicht in erster Linie von dem Versorgungsgedanken, sondern mindestens in gleicher Weise von anderen höchstpersönlichen Erwägungen bestimmt gewesen sei.

Dies hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe in einem jetzt veröffentlichten Urteil festgehalten (Aktenzeichen 12 U 207/07):
Auch bei einer Ehedauer von weniger als zwölf Monaten steht der überlebenden Ehefrau eine Witwenrente in Form einer Betriebsrente zu, wenn die Umstände der Eheschließung zeigen, dass die Versorgung nicht der wesentliche Grund zur Heirat war. Im Hinblick auf den damit angesprochenen Lebensbereich können die Umstände nicht schematisch ermittelt werden.

Die Klägerin hatte bereits zehn Jahre mit ihrem späteren Mann, einem Flugkapitän der Lufthansa, zusammengelebt, als sie Anfang 2005 heirateten. Im Mai 2005 nahm er sich wegen unerträglicher Krebsschmerzen das Leben.

Beide Partner hatten eine gescheiterte Ehe hinter sich und wollten sich deshalb mit einer Wiederverheiratung Zeit lassen. Etwa ab 2002 wurden Heiratspläne aber konkret besprochen. Im Frühjahr 2003 wurde bei ihrem Mann eine schwere Krebserkrankung festgestellt und behandelt. Anfang 2004 bescheinigte ihm ein behandelnder Arzt, dass er darauf hoffen könne, geheilt zu sein. Daraufhin machte ihr Partner der Klägerin einen Heiratsantrag, die Hochzeit sollte Anfang 2005 sein. Diese Vereinbarung wurde auch von Zeugen bestätigt.

Ende 2004 musste er erneut ins Krankenhaus, weil wieder eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war. Die Hochzeit fand wie geplant im Januar 2005 statt.

In den Wochen danach verschlechterte sich der Zustand ihres Mannes sehr, bis er schließlich aus dem Leben schied.

Unter den Formularen, welche die Witwe von der Lufthansa nach dem Tod zugeschickt bekam, um eine Witwenrente zu beantragen, befand sich auch ein Antrag für eine Betriebsrente durch die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL), bei der ihr Mann Ansprüche erworben hatte.

Diese lehnte den Antrag mit dem Verweis auf die zu kurze Ehedauer ab. Das OLG Karlsruhe als Berufsinstanz verwies auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nachdem die Einschränkung möglich sei, „dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Betriebsrente zu verschaffen.“

Die Witwe konnte glaubwürdig machen und durch Zeugen belegen, dass der Zeitpunkt der Eheschließung nicht unter dem Aspekt eines möglichen frühen Todes, sondern gerade durch die Hoffnung auf Heilung bestimmt worden sei.
Die zweite Behandlungsphase kurz vor der Heirat fiel dabei aus Sicht des Gerichts nicht ins Gewicht, weil ja auch während der ersten Behandlung keine Rede von Heirat war.

Deshalb spielte die kurze Zeitdauer der Ehe hier keine Rolle, ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Witwe noch andere Hinterbliebenenbezüge von der Lufthansa bekommt.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.07.2008, Az. L 8 R 583/08
Die Vermutung einer Versorgungsehe ist auch dann widerlegt, wenn der an sich schwer kranke Lebenspartner an einem unvorhersehbaren Akutereignis stirbt

Für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung einer „Versorgungsehe“ ist der volle Beweis des Gegenteils zu erbringen. Der Vollbeweis erfordert zumindest einen der Gewissheit nahe kommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Eine gewichtige Bedeutung im Rahmen der Gesamtbetrachtung der tatsächlichen Umstände ist in der Regel dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten beizumessen. Ein die Vermutung widerlegender besonderer Umstand ist anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten zum Beispiel bei einem Unfall unvermittelt eingetreten ist. Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Versorgungsehe geschlossen werden sollte. Das ist aber auch dann der Fall, wenn der schon durch schwere Krankheit gezeichnete Ehepartner an einem Akutereignis, das bis 24 Stunden vor dem Tode – auch im Hinblick auf die Todesfolge – nicht vorhersehbar war, stirbt. SGB-VI § 46 Abs. 2a

Und noch einige Hinweise auf neuere Rechtsprechung unter
http://www.jurion.de/trefferliste.js...&option.page=2



Fazit:

1. Beim überschlägigen Durchlesen der Entscheidungen fällt mir auf (nicht wirklich unerwartet): Die Gerichte machen es sich gern leicht und setzen die Hürde des Widerlegens der gesetzlichen Vermutung SEHR hoch. Es wird also nicht leicht.

2. Schlüssige Darstellung für die Liebesheirat samt Beweisen und Zeugen finden und vortragen.

3. Hinweis auf eigene Versorgung, die die Witwenrente in den Hintergrund drängt.

4. Doch noch mal Suche im medizinischen Bereich: Berichte von zwar schwer erkrankten, aber doch länger BSDK-Überlebenden finden. Von mindestens einem Fall - so meine ich zu erinnern - ist in dem Buch von David Servan-Schreiber, Das Antikrebsbuch, zu lesen. Zwar kein ausgewiesen wissenschaftliches Buch, aber eines mit wissenschaftlicher Fundierung. Ärzte auf Veröffentlichungen zu Langzeit-, zumindest Längerzeitüberlebenden ansprechen. Ärztliches Gutachten zur Prognose vorlegen.

5. Zum Aspekt "auf absehbare Zeit" habe ich so auch nichts weiter gefunden.

So, liebe Conny, das wars erst einmal. Ich habe mich gerade erfolgreich um das gedrückt, was ich jetzt eigentlich hätte machen wollen/ sollen/ müssen ...
Wie verquer die Sozialgerichte manchmal entscheiden, sehe ich z.Zt. an einem jungen Designer, der künstlerische Unikate herstellt und sich bei der Künstlersozialversicherung einklagt. Argumentation des Bundessozialgerichts: Kunsthandwerk, keine Kunst. Künstler könne nur sein, wer in "Fachkreisen als Künstler anerkannt" ist. Wie bitte, soll das bei einem erst jungen Künstler funktionieren? Ist ein Maler, der auf Leinwand ein Bild malt, dann auch erstmal nur Kunsthandwerker? Kann doch wohl nicht ganz richtig sein. Zeigt aber, wie begeistert sich Gerichte auf vermeintlich objektivierbare Kriterien stürzen.

Alles Gute, Lea