Einzelnen Beitrag anzeigen
  #28  
Alt 27.11.2017, 19:40
Verena_Gr Verena_Gr ist offline
Registrierter Benutzer
 
Registriert seit: 21.05.2017
Beiträge: 16
Standard AW: Meine Mama hat den kurzen Kampf verloren

Hallo Ihr Lieben,

gestern war eine Andacht auf dem Waldfriedhof, wo meine Mama beigesetzt worden ist. Die Pfarrerin hat einen ganz tollen Text gelesen, der mich sehr berührt hat. Habe ihn eben gefunden und möchte das gerne mit Euch teilen.
Der Text lohnt sich wirklich zu lesen, ich zumindest finde, es trifft es auf den Punkt.

@ rocketpocket: schön, dass Du über Weihnachten weg fährst. Das hatten mein Freund und ich eigentlich auch vor, aber ich kann das meinem Patenkind und meinen Neffen nicht antun und meinen Schwestern auch nicht...

Das der Geburtstag Deiner Oma schlimm war kann ich mir vorstellen. Ist das die Mutter Deiner Mama? Das muss ja schrecklich für sie sein.
Ich drücke Dich!

Ich wünsche Euch allen einen guten Wochenstart und viel Kraft in den regnerischen Tagen.


Sie ist, wie eine kleine graue Katze.
Sie kommt, wann sie will, manchmal bleibt sie tagelang weg, manchmal
ist sie anhänglich, liegt lange auf meinem Schoß, will gar nicht wieder
gehen.
Sie ist, wie eine kleine graue Katze.
Eine Katze, die ich mir nicht ausgesucht hat, die zu mir kam, ohne, dass
ich mitreden durfte, sie war einfach da und ich ahne, dass sie noch lange
bleiben wird.
Sie ist, wie eine kleine graue Katze – meine Trauer.
Sie kommt, wann sie will, manchmal bleibt sie tagelang weg, manchmal
ist sie anhänglich, liegt lange auf meinem Schoß, will gar nicht wieder
gehen.
Und manchmal, manchmal, da halte ich sie auch fest, die kleine graue
Katze, will sie nicht gehen lassen, halte sie fest und lasse den Tränen
freien Lauf, den Tränen, von denen ich gar nicht wusste, wie viele ich
davon besitze.
Ich weine, weil Du nicht mehr bist. Weil ich Dich für immer verloren
habe.
Seit Du weg bist, kommt die Katze, seit Du weg bist, kommen die
Tränen.
Ich weine, weil meine Mutter starb.
Ich weine, weil es weh tut,
obgleich ich weiß, dass meine Mutter nun dort ist, wo sie ohne Schmerz
sein darf, ohne Leid und ohne Tränen.
Das weiß ich, das glaube ich – und trotzdem tut es mir weh, trotzdem
weine ich,
obgleich ich fühle, da, wo meine Mutter ist, der Ort, den ich Gott nenne,
da wo sie ist, da werden ihr alle Tränen abgewischt. Jede Träne, die die
Krankheit brachte, jede Träne, die ihr ihre Lebensjahre brachten, jede
Träne wischt er ihr zärtlich von der Wange. Wie schön! …für sie.
Doch für mich, hier, fließen meine Tränen weiter,
denn die, die sie abwischte, die die meine Tränen Tag für Tag und Jahr
für Jahr abwischte, sie ist nicht mehr und meine Tränen fließen
hemmungslos.
Meine Tränen fließen, weil ich unendlich traurig bin und noch nicht so
recht weiß, wie es weitergeht. Nur: dass es weitergeht, das weiß ich
inzwischen, alles geht weiter, alles geht einfach so weiter, obwohl alles
anders ist, geht alles einfach so weiter.
Jeden Morgen geht die Sonne auf, jeden Abend geht sie wieder unter.
Der Sommer war wieder durchwachsen, der Herbst war wieder golden,
der November ist immer noch grau, alles wie immer.
Der Bus morgens ist voll, die Schlange an der Kasse ist lang, die
Menschen, die immer grüßten, grüßen weiterhin,
immer kommen Tage und immer wieder gehen die Tage wieder.
alles ist wie immer?
Nein!
Nichts ist wie immer.
Da ist die kleine graue Katze, die kommt, wann sie will und da fehlt die
Mutter, die anrief, wann sie wollte.
Nichts ist mehr wie immer, denn der Ehemann starb, unerwartet nach
jahrzehntelanger Ehe, er war immer da, schraubte und reparierte und
tat und machte und nun, ist alles furchtbar still.
Nichts ist mehr wie immer, denn die Tochter starb, unerwartet, viel zu
früh, noch mitten im Leben, sie lässt ihre Mutter zurück und ihre
Tochter, beide haben einander, doch sie, sie haben sie nicht mehr.
Nichts ist mehr wie immer, denn die Mutter starb, Anfang des Jahres
schon starb und dennoch hört die Tochter noch immer Geräusche im
Haus, und sie denkt: Sie ist noch da, meine alte Mutter, gepflegt zuhause
bis zum Ende.
Nichts ist mehr wie immer, egal wie lange man schon damit rechnete,
egal, wie lange der Mann, die Schwiegermutter, die Tochter, der Vater,
ganz egal wie lange sie schon nicht mehr sind.
Nichts ist mehr wie immer, denn unsere Liebe ist heimatlos geworden.
Unsere Liebe (zu ihnen) hat nun keinen Ort mehr, irrt umher und findet
nicht, was sie sucht, unsere Liebe irrt umher, sucht nach ihrer Heimat,
irrt und weint und weint und sucht…
Von Zeit zu Zeit findet sie etwas, für einen Moment nur, findet es und
hält sich daran fest:
den Pullover der Großmutter, sie schlüpft hinein und fühlt sich ihr ganz
nahe.
Von Zeit zu Zeit findet sie etwas, für einen Moment nur, findet es und
hält sich daran fest:
das Rezeptbuch der Mutter, sie weiß nun wieder wie der Hefeteig geht.
Apfelkuchen kauend ist sie wieder Kind und wieder wischt die Mutter
alle Tränen ab.
Von Zeit zu Zeit findet sie etwas, für einen Moment nur, findet es und
hält sich daran fest:
die Drechselbank des Vaters, er kennt fast jeden Handgriff, hatte ihm oft
genug zugeschaut, am Ende aber nicht alles gelernt, zu wenig
miteinander gesprochen.
Wenn meine Liebe umherirrt, bin ich froh, dass ich weiß, wo ich
hingehen kann:
Dorthin, wo sie begraben liegt, dorthin, wo er seine letzte Ruhe fand.
Und das mach ich nicht nur, mit der grauen Katze im Arm, sondern
auch ohne sie, dann wenn Mama Geburtstag hat, dann kaufe ich wie
jedes Jahr, einen großen bunten Blumenstrauß. Dann zünde ich wie
jedes Jahr eine Kerze an, dann stoße ich wie jedes Jahr mit einem Glas
Sekt auf sie an.
Mit ihr kann ich nicht mehr feiern, mit ihr kann ich nicht mehr
anstoßen, aber auf sie und auf ihr Leben.
Dann ist alles wieder ein bisschen wie immer,
obgleich doch alles ganz anders ist.
Es ist gut, die zu erinnern, die gestorben sind.
Es tut gut, ihre Namen zu hören.
Es ist gut, der heimatlos gewordenen Liebe wieder Halt zu geben.
Alles ist wie immer und zugleich ist alles anders …
Wir wissen, dass die Welt da draußen nicht untergeht, wenn ein Mensch
stirbt – aber hier drinnen (auf Herz klopfen) da ist eine Welt zu Ende.
Wir wissen, dass die Katze immer seltener kommen wird - aber hier
drinnen (auf Herz klopfen) da ist auch die Angst zu vergessen, zu
verstummen oder zu erkalten.
Wir wissen, dass jeder von uns eines Tages sterben wird - aber hier
drinnen (auf Herz klopfen) da ist auch die Freude und die Hoffnung,
wieder vereint zu sein, mit denen, die wir jetzt so sehr vermissen wieder
vereint zu sein und frei zu sein, frei von Schmerz und Leid,
denn dann ist da wieder einer, der die Tränen abwischt
Das glaube und hoffe ich
und das wünsche ich uns allen,
nicht, weil es uns hilft, leichter zu leben,
sondern weil es uns das Schwere ertragen lässt
nicht, weil es uns verführt, einfacher zu leben,
sondern weil es uns dankbar sein lässt für das, was wir hatten
miteinander
und weil es uns getröstet auf das zuleben lässt,
was wir haben werden, miteinander und mit Gott.

Geändert von Verena_Gr (27.11.2017 um 19:54 Uhr)
Mit Zitat antworten