Thema: Für Michael
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Alt 13.10.2004, 00:10
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Standard Für Michael

Liebe Birgit,

wenn ich bloss wüsste, was ich dir schreiben könnte, was dir helfen könnte. ersteinmal mein aufrichtiges mitgefühl.

ich habe genauso viel angst vor diesen tagen gehabt wie du. aber die angst davor war schlimmer als der tag selbst.
ich bin an seinem ersten todestag mit meiner freundin zum grab gegangen. es hat in strömen geregnet und wir haben seine cd mit seinen liedern, die wir auf der trauerfeier gespielt haben ("unser" lied, ein italienisches, die deutsche übersetzung lautet: alles was ich brauche bist du, in gedanken von pur, und max bruchs adagio aus dem 1. violinkonzert) gespielt auf einem ghettoblaster. und auch die lieder, die mir nach seinem tod geholfen haben, der weg, abschied nehmen, dein lied und hope.
wir haben rigo getrunken und uns geschichten von ihm erzählt und es hat in strömen geregnet. wir haben auf seiner bank gesessen (sein grab ist allein in dem gang nur mit meiner mutter neben sich, die drei monate nach ihm starb) und direkt daneben eine bank. mir hat diese "trauerfeier" auf dem friedhof immens geholfen. wir haben gelacht bei den alten geschichten und geweint.
in diesem jahr bin ich mit seinem lieblingsneffen und meinem freund hingegangen und wir haben wieder seine cd gespielt und geschichten erzählt.
es war ein blick in die verangenheit und ein blick in die zukunft. ich bin überzeugt, dass er ihn mir geschickt hat. und trotzdem. ich habe kein schlechtes gewissen, weil ich ihn habe, eher ist das gefühl, auf der einen seite ihn so geliebt zu haben und auf der anderen seite wieder jemanden zu lieben, wenn auch anders. und der gedanke, zu wissen, dass, wenn er nicht gestorben wäre, ich ihn nicht kennengelernt hätte. ich krieg das nicht richtig zusammen.
und was mir richtig angst macht, ist, dass die erinnerung mehr und mehr verblasst. noch kann ich mich an seine stimme und jeden leberfleck erinnern. aber mir fehlen immer mehr daten, dinge, die ich früher aus dem ff in erinnerung hatte.
es ist alles so weit weg und doch irgendwie so nah. kurz gesagt, ein bisschen gefühlchaos. noch kann ich mein neues leben nicht richtig geniessen. ich bin es nicht gewohnt, keine probleme mehr zu haben. ich muss mich nicht mehr kümmern. ich muss theoretisch auch keine angst mehr haben. aber ich kann mir diese gefühle einfach nicht abgewöhnen. ich habe immer noch angst, wenn ich geniesse kommt irgendjemand und nimmt es mir wieder weg. das storybook, wie ich meinen neuen freund kennengelernt habe, tut auch einiges dazu, aber das ist eine lange und andere geschichte.

ich kann dir leider auch kein patentrezept geben, nur soviel, gib dir und deiner neuen liebe zeit. zeit, das vergangene zu verarbeiten und zeit, das neue erleben und geniessen zu können.
setz dich nicht unter druck und sei gewiss, dein thimmy gönnt dir dieses glück von herzen.

dir auch alles liebe

heike
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