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Alt 08.11.2012, 20:06
monika100 monika100 ist offline
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Standard AW: Mein Mami ist tot

Liebe Anja,

ich glaube, man quält sich nach einem Todesfall bei einem nahen Angehörigen immer mit Fragen und Zweifeln. "Warum habe ich nicht...?" "Wäre ich doch", "Hätte ich doch...".

Mir ist es auch so gegangen als mein Vater gestorben war. Mein Vater war nicht krebskrank sondern hatte eine schwere Herzerkrankung. Er war immer wieder im Krankenhaus, hatte Wasser in der Lunge und schwere Atemnot, kippte zuhause einfach so um usw. Es waren lange Jahre, in denen es ihm nicht gut ging, aber er lebte noch und ich war so froh, ihn noch zu haben.

Beim letzten Mal, als er in die Klinik kam, half nichts mehr. Sein Herz schlug zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig...
Keine entwässernden Mittel brachten das Wasser noch aus seine Lunge, er bekam keine Luft, konnte nicht mehr essen und trinken, erbrach selbst eine kleine Ecke Keks, iinnerhalb von ein paar Tagen konnte er nicht mehr schlucken und nicht mehr reden.
Ich habe diesmal genau gespürt, dass er nicht mehr nach Hause kommen wird. Es war furchtbar ihn so verfallen zu sehen. Das Schlimmste für mich war seine Angst, ich konnte seine Angst wegen der Atemnot und Angst vor dem Tod fast körperlich fühlen.

Und dann bin ich - obwohl es meine Mutter noch gab - zum Leiter der Intensivstation, auf der mein Vater lag, gegangen und habe was verlangt, was es ihm leichter macht.
Von da an bekam mein Vater Morphium, er dämmerte vor sich hin, war meist im Halbschlaf, war entspannter, konnte wieder besser atmen, aber man konnte dadurch natürlich nicht mehr mit ihm reden und sich nicht mehr richtig mit Worten veranbschieden.
Weißt du wie oft ich mir das hinterher vorgehalten habe, dass wir nicht mehr reden konnten durch das Morphium.?
Dabei war das Unsinn, denn durch seine vorherige Atemnot konnten wir ja auch nicht mehr reden und er hat sich furchtbar gequält. Nur das Medikament hat es ihm - und damit auch uns - etwas erleichtert.

Und dann kam sein letzter Tag, die Intensivmediziner konnten ihn mangels Aussicht auf Besserung nicht mehr dort behalten und dann sollte er auf die Innere verlegt werden.
Wir wussten nur den Tag, aber keine Uhrzeit. Morgens war meine Mutter noch bei ihm und ich bin an diesem Tag nur einmal bei ihm zu Besuch gewesen und nicht wie sonst zweimal am Tag.
Es war soviel liegen geblieben und ich habe mein sch... Haus geputzt und eingekauft, um dann die nächsten Tage noch mehr Zeit bei ihm verbringen zu können.
Nachmittags gegen 3 bin ich dann zum Krankenhaus, zu der Zeit sollte er eigentlich noch auf Intensiv liegen, lag er aber nicht.
Genau an diesem Tag haben sie ihn ohne uns zu informieren gegen Mittag auf ein kleines Abstellzimmerchen auf die Innere geschoben.
Da lag er nun seit Stunden, allein, konnte sich nicht mehr allein bewegen, konnte nicht mehr sprechen, war völlig hilflos - und er hatte sein Morphium nicht bekommen, wodurch er seit Stunden wach war und seine ganze Misere voll mitbekommen hat.
Ich finde das heute noch soo schrecklich, dass ich in Tränen ausbreche, wenn ich daran denke und 1000 mal habe ich mich gefragt, warum das so gelaufen ist.
Ich habe ihn im Arm gehalten, aber ich kriegte kein einziges Wort raus, habe ihn nur gestreichelt. Dieses Bild sehe ich heute noch.

Nach 2 Stunden kam meine Schwester mit ihrer behinderten Tochter, an der mein Vater sehr gehangen hat. Ich bin dann kurz nach Hause, wollte schnell meine Familie versorgen und dann Sachen für die Nacht einpacken und bei ihm bleiben, damit er ja nur nie wieder so allein da liegt wie an dem Mittag.
Ich war kaum zuhause angekommen, da schellte das Telefon, meine Schwester, mein Vater war gerade verstorben...

Wär ich doch auch an dem Tag 2 mal bei ihm gewesen... Wär ich nur nicht nach Hause gefahren sondern da geblieben... Warum hatte keiner der Ärzte oder Pfleger dafür gesorgt, dass er seine Medikamente kriegt... Warum haben sie uns bei der Verlegung nicht angerufen...

Siehst du liebe Anja, du bist nicht allein mit deinen Vorwürfen, Fragen und Zweifeln.
Komisch ist, dass genau die Menschen sich noch mit diesen Dingen rumquälen, die alles Menschenmögliche getan haben.

Mittlerweile ist das 9 1/2 Jahre her, man lernt besser mit dem Schmerz umzugehen, lebt damit weiter. Auch bei dir wird es noch besser werden.

Quäl dich nicht so, sei stolz auf dich. Du warst immer DA und hast alles getan, was du konntest.

LG Monika
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