Einzelnen Beitrag anzeigen
  #28  
Alt 10.08.2009, 13:08
Stefans Stefans ist offline
Gesperrt
 
Registriert seit: 27.01.2007
Beiträge: 426
Standard AW: Suizid nach 1. Chemo-Block

Hallo Helmut,

Zitat:
Zitat von HelmutL Beitrag anzeigen
du hast Mut, das muss man dir lassen.
Nein. Oder allenfalls in der Theorie, weil ich ihn zum Glück nicht in der Praxis beweisen musste.

Meine Frau hatte fürchterliche Angst davor, im Krankenhaus (oder gar Pflegeheim) zu sterben oder als chronischer Pflegefall zu enden. Und sie wusste genau, warum sie davor Angst hatte: sie war im Erstberuf Krankenschwester und hat das allzu oft miterleben müssen.

Von daher war völlig klar, als meine Frau im Spätherbst in der Klinik lag und nur immer wieder sagte "Hol mich endlich hier raus!", dass ich das tun werde, wenn ich kann. Und es hat ja zum Glück noch geklappt, aller bürokratischen Widrigkeiten zum Trotz. Sie konnte Weihnachten Zuhause sein, mit Hund, Katze, Papagei und Ehemann, ihre Familie und Freunde noch mal sehen, und - nachdem sie das alles erledigt hatte - auch hier in Frieden sterben.

Ich habe meiner Frau nur versprochen, dass niemals das passieren wird, wovor sie so große Angst hatte. Nämlich "kurz vor 12" noch ins Krankenhaus gebracht zu werden. Zum Glück hatten wir hier eine verständige Hausärztin, mit der ich (bevor sie meine Frau erstmals gesehen hat) sofort Klartext geredet habe. Also der gesagt, das meine Frau zum Sterben nach Hause gekommen ist, und dass sie hier bleiben wird. Und dass ich, falls die Ärztin meint, den Notarzt rufen zu müssen, ohne vorher mit mir darüber zu sprechen, ich den am Hoftor wieder wegschicken werde; und die Konsequenzen auf mich nehmen.

Einige Menschen haben mich gefragt, ob meine Frau Angst vorm Sterben hatte. Nein, die hatte sie nicht. Sie hatte Angst davor, unwürdig zu sterben. Ich weiss noch, 3 Tage vor ihrem Tod, als sie nachts plötzlich Alpträume hatte, dass die "Leute" kommen und sie "wegholen". Das war so bitter. Weil ich an ihrem Bett sass und sie sich an meiner Hand festgekrallt hat und mir xx mal das Versprechen abgenommen hat, dass ich es nicht zulassen dürfe, dass man sie "wegholt". Und dass ich immer bei ihr sein muss und sie niemals allein lassen darf, weil sonst diese "Leute" kommen...

In der Nacht, als meine Frau Samstag früh um 4 gestorben ist, waren der beste Hund der Welt und ich bei ihr. Und Freunde fragen mich, ob ich daran denke und mich diese Erinnerung verfolgt. Ich denke an diese letzten Stunden mit meiner Frau jeden Tag, aber verfolgen tut mich diese Erinnerung nicht - auch, wenn das Sterben schon rein physisch unangenehm und schockierend war. Was mich verfolgt, ist die Nacht ein paar Tage vorher, als ich es nicht geschafft habe, meiner Frau die größte Angst zu nehmen, die sie hatte. Und ich ihr sagen musste, dass ich nicht rund um die Uhr bei ihr sein kann, weil ich doch auch mal schlafen, essen und aufs Klo gehen muss. Das nicht versprechen und leisten zu können, hat mir das Herz zerrissen. Und mit dem Versagen weiter zu leben, ist nach wie vor nicht so einfach.

Viele Grüße,
Stefan
Mit Zitat antworten